„Mit ihm kann ich reden wie mit einem Freund,
obwohl er doch der HERR ist…“
(Theresa von Avila)
Was bedeutet das: „mit Gott leben“ ?
1. „These: Ein geheiligtes Leben führen“ heißt die Freundschaft mit Gott im Lebensstil zu zeigen
2. Heiligung ist keine nur private Angelegenheit !
3. Die Echtheit der Heiligung ist an der Qualität (!) der Früchte zu erkennen !
4. Der Weg aus der Werkgerechtigkeit
5. Zerrbilder der Heiligung
1. These: „Ein geheiligtes Leben führen“ heißt, die Freundschaft mit Gott im Lebensstil zu zeigen
Wer sich von Gott geliebt weiß, möchte nun auch seinerseits den Segen dieser Liebe mit seinem Lebensstil zum Ausdruck bringen. Diese Einstellung heißt „Heiligung“ oder „Nachfolge“ (dem Vorbild Jesu nachfolgen). Gott möchte, dass Seine Gläubigen Ihn mit ihrem Lebensstil ehren (Eph 4,1). Er möchte, dass ihr Charakter immer mehr von der Liebe geprägt wird (Rö 8,29, 2.Kor 3,18), sodass andere Menschen ermutigt werden, Gott ebenfalls ihr Vertrauen zu schenken.
Auf diesem Weg werden beim Gläubigen selbst Glaubensgewissheit und Gotteserkenntnis verstärkt: „Gott schenke euch aus seinem unerschöpflichen Reichtum Kraft, damit ihr durch seinen Geist innerlich stark werdet, und Christus durch den Glauben in euren Herzen wohnt und ihr in der Liebe eingewurzelt und fest gegründet seid. Denn nur so könnt ihr mit allen anderen Christen das ganze Ausmaß seiner Liebe erkennen, die wir doch mit unserem Verstand niemals fassen können, die aber uns selbst und unser Leben völlig ausfüllen kann. “ (Eph 3,16-19).
Heiligung = in der Liebe fest eingewurzelt sein, die innere Kraft haben, sich in allem Denken und Tun von dem Motiv der Liebe zu Gott und dem Mitmenschen leiten zu lassen.
Das ist das pädagogische Programm Gottes, sein Weg mit dem Gläubigen.
Trotz aller Einsicht, dass es inneren Reichtum und Freiheit bedeutet, und die Gemeinschaft enorm bereichert, wenn es Menschen gibt, denen es gelingt, ihre Bedürfnisse hinter die Not des Mitmenschen zurückzustellen, so drängen sich doch unangemessene Bedürfnisse, Zukunftsangst und Selbstsucht auch beim Gläubigen immer wieder in den Vordergrund. So schreibt der Apostel Paulus über Timotheus: „Denn ich habe keinen, der so ganz meines Sinnes ist, der so herzlich für euch sorgen wird. Denn sie suchen alle das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist.“ (Phil 2,21)
Wie geht man mit dem Defizit um?
Obwohl der Apostel Paulus die Formung der christlichen Persönlichkeit sehr positiv beschreibt, ist der Begriff „Heiligung“ leider bei vielen Gläubigen eher mit Missverständnissen und negativen Emotionen verbunden.
Leider kommt es in christlichen Gruppen gar nicht selten vor, dass man sich vom Antreiben durch Schuldgefühle, durch ständig schlechtes Gewissen, gar durch Drohungen mit dem Unsegen Gottes oder Schlimmerem Besserung verspricht. Es ist der Weg der Werkgerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit, der keine Verheißung hat (Gal 4!) . Denn alles was mit dem Motiv der Liebe geschieht, ist immer freiwillig und macht die Seele reich und nicht arm.
Negative Definition der Heiligung:
Nicht wenige Gläubige bringen mit dem Begriff „Heiligung“ eher negative Verhaltensweisen in Verbindung: überzogene Bravheit und Servilität, Unselbständigkeit im Denken, moralinsaure Überheblichkeit und selbstquälerischen Perfektionismus. Auch wenn man immer wieder einmal unter Gläubigen auf solche „Vorbilder“ trifft – ist das wirklich mit „Heiligung“ gemeint ?
Typisch für viele Gläubige, die diese Version von Heiligung anderen schmackhaft machen wollen, ist die Tatsache, dass sie sich auf einen kleinen Katalog von Geboten beschränken, mit denen sie sich äußerlich von der Welt unterscheiden können. D.h. es genügt, eifrig die Bibel zu lesen, zum Gottesdienst zu gehen, nicht die Ehe zu brechen, nicht zu stehlen, nicht zu betrügen, eifrig zu spenden, Bibelverse und apologetische Texte zu posten, neben der beruflichen Arbeit in der Gemeinde Dienste zu übernehmen oder sich an Aktionen zu beteiligen.
Zuviel Forderungen dürfen es nicht sein, denn der Sinn der Gebotserfüllung ist ja zum einen der erfolgreiche Abbau der Bedrohungs- und Schuldgefühle, sowie zum anderen eine Profilierung gegenüber der Welt, die diese Leistung nicht erbringt und daher den Zorn Gottes zu fürchten hat. Beide Ziele konkurrieren miteinander.
Wer jedoch unter Heiligung hauptsächlich äußerliche Verhaltensweisen versteht und das innerliche Geschehen als zweitrangig betrachtet, der verfällt sehr leicht in den Wahn, dass er Gott mit seiner äußerlichen Leistung zufriedengestellt habe. Dann sieht er auf andere von oben herab, die seiner Meinung nach weniger „leisten“: „Der Pharisäer betete : Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner da.“ (Luk 18,11)
Durch moralischen Hochmut wird Gott nicht würdig repräsentiert. Ein fataler Irrtum und Mangel an Selbsterkenntnis ! Der Pharisäer gab sich selbst die Ehre, denn er hatte ja alles nicht der Liebe, sondern seiner eigenen Willenskraft (vgl Joh 1,13) zu verdanken. Echte Heiligung ist aber eine Frucht der Liebe, ein Werk des Heiligen Geistes, das allein Gott ehren soll. „Kann man da noch selbst auf etwas stolz sein? Das ist ausgeschlossen.“ (Rö 3,27 / Eph 2,9)
Das moralische Überlegenheitsgefühl und die Lust, Mitmenschen mit dem moralischen Knüppel auf den Kopf zu hauen, ist eine leider weit verbreitete und sehr traurige und schäbige Sache. Wie blind muss man sein, um dieses Verhalten mit der Heiligung, dem Werk des Heiligen Geistes, zu verwechseln! Wie blind muss man sein, um zu glauben, dass man mit diesem trostlosen Verhalten Gott würdig repräsentiert !
In Krisensituationen ist häufig eine Verschärfung der Ethik zu beobachten. Schon in der christlichen Urgemeinde war das der Fall. Von Anfang an bestand eine scharfe Konkurrenz zwischen ihr und dem Judentum, eine Konkurrenz, die sich gelegentlich zur Verfolgung ausweitete. Das Judentum konnte seine Bedeutsamkeit mit dem prächtigen Tempel und einer ehrfurchtgebietenden Tradition frommer Gelehrsamkeit betonen. Was hatte das Christentum vergleichsweise in die Waagschale zu werfen? Eine Demonstration der spirituellen Überlegenheit und besonderen Bevollmächtigung ließ sich am ehesten durch eine Verschärfung der mosaischen Ethik in allen Bereichen, die mit menschlichen Beziehungen zu tun hatten, herstellen. An die Stelle der kultischen Reinheitsethik trat die Forderung sexueller Reinheit in einer Schärfe der Formulierung, die für uns heute z.T. schwer nachvollziehbar ist. Diese Verschärfung wurde im Laufe der Kirchengeschichte immer rigoristischer betrieben, um Gläubige leichter beeinflussen und lenken zu können. So gibt es von Anfang an neben Vorbildern echter Liebesnachfolge eine wirkmächtige Tradition der Schein-Heiligkeit.
Objektiv ist die moralische Leistung absolut ungenügend – ausnahmslos bei jedem Menschen. Die Bibel hat die Kraft in die dunkelsten Ecken der Seele hineinzuleuchten und alle Illusionen restlos zu zerstören (siehe den Beitrag: „Wie finster ist die Seele?„) Sie deckt auf, dass diese Art Frömmigkeit die größte Fäulnis und Unfreiheit in der Seele duldet und hinter einer äußerlichen moralischen Fassade versteckt. (Mt 23,27-28)
Etliche „Gesetzesknechte“ bewerten werkgerechte Verhaltensweisen eher als Bagatelle, die ihnen sogar entschuldbar scheinen, wenn sie dazu dienen, die eigene Rechtgläubigkeit anderen aufzuzwingen. Von den Gedankensünden ganz zu schweigen.
Zerrbilder der Heiligung entstehen durch eine falsche oder unklare Beziehung des Gläubigen zum Gesetz. Der gläubige Christ ist „tot für das Gesetz„. (Gal 2,19) Wäre er noch dem Gesetz unterworfen, so müsste er es komplett einhalten, um Gottes Wohlgefallen zu erhalten. „Die sich von der Beachtung des Gesetzes Gottes Segen versprechen, sind verflucht. Denn so steht es im Gesetz: Verflucht ist jeder, der nicht alles ausnahmslos einhält, was im Gesetz gefordert wird.“ (Gal 3,10).
Paulus weist deutlich darauf hin: auch der Gläubige, der ganz viele Gebote einhält, ist kein bisschen besser dran als der, der nur wenige einhält. Um verflucht und für die Nähe Gottes unwürdig zu sein, genügt es bereits, wenn ein einziges (!) Gebot übertreten wird! (Gal 3,10) Wozu dann die Quälerei?
Wer kann alle Gebote einhalten ? Nur Jesus konnte das. (Jo 8,46) Selbst Paulus, der sich aufopferte wie selten jemand, sagte, dass er sich lieber nicht auf seine Gerechtigkeit verlassen wolle. (Phil 3,9) Wieviel Gläubige sonst schaffen es denn, vollkommen selbstlos zu leben, täglich ihr Leben zu riskieren und alles zu einzusetzen, was sie haben, um Menschen zu retten ? Auch wenn es vereinzelt solche Gläubige gibt – wenn sie es tun, ist es ganz und gar freiwillig. Sie sind nicht gezwungen, es zu tun.
Der Segen Gottes, seine Liebe, die Erlösung wird ganz und gar aus Gnaden geschenkt und ist nicht von der moralischen Leistung des Gläubigen abhängig. „Ganz aus Gnaden seid ihr gerettet worden – nicht etwa aufgrund treuer Gesetzeserfüllung, deren sich irgendjemand rühmen könnte.“ (Eph 2,9-10)
Echte Heiligung ist ein durch Freundschaft und Liebe motiviertes Verhalten und hat nichts mit quantitativer Leistung zu tun.
Die innere Befreiung und Heilung ist dabei die Grundlage des äußerlichen Tuns. Der Apostel bezeichnet Heiligung als ein Geschehen in der Seele des Gläubigen („innerlich stark werden„). Das ist das Entscheidende.
Positive Definition der Heiligung:
Heiligung ist eine frohmachende Lebensweise, die den Gläubigen selbst, seine Mitchristen und Gott erfreut. Heiligung hat viel mit Glaubensfreude zu tun.
Paradoxerweise ist die Voraussetzung dieser Freude ehrliche Selbstprüfung und Selbsterkenntnis. Wenn der fromme Moralist sich eines Tages zu dieser Haltung entschließt, dann steht auch ihm der Weg zu dieser Freude offen.
„Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meiner menschlichen Natur, nichts Gutes wohnt. Es fehlt mir nicht am Wollen, aber das wirklich Gute bringe ich nicht zustande.“ (Rö 7,18)
Mit Selbsthass oder Selbstverachtung hat diese Einsicht nichts zu tun. Jeder Mensch kann durchaus sehr gute Dinge tun, er kann Hungernde speisen, Durstige tränken, Gefangene besuchen usw. und wird auch von Gott dafür gelobt und belohnt. (Mt 25).
Paulus meint spricht hier von der unangemessenen Fixierung auf sich selbst, auf die eigenen Wünsche, von der egozentrisch verbogenen Perspektive, kurz: von der allzu menschlichen, „alten Natur“, die bei jedem Menschen mit seiner Einsicht im Streit liegt, was denn wirklich gut und richtig wäre.
Man kann es das erste Werk des Heiligen Geistes nennen, dass er den Menschen von diesem grundsätzlichen Mangel, m.a.W. von ihrer Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit überzeugt (Jo 16,8). Das Geschenk überzeugender Selbsterkenntnis ist die erste der fünf ewig gültigen Glaubenswahrheiten, der „Heilstatsachen.“
Diese Einsicht aber ist nur eine kurze Durchgangsstation, die die Seele des Gläubigen nicht belasten darf. Ihre Aufgabe ist, ihm zu einem Perspektivwechsel zu verhelfen: Zeiten, in denen kaum Platz für Liebe und Freiheit war, sind vergeudete Lebenszeit.
Solange der Gläubige lebt, wird ihm hängt ihm zugleich noch die „alte Natur“, die allzu menschliche Sichtweise, wie ein Klotz am Bein. Weil er das erkennt, bleibt er vor moralischem Hochmut bewahrt. Selbsterkenntnis wird er immer positiv als Chance sehen. Sie macht ihn nicht mehr depressiv, weil er darauf hoffen darf, dass die „alte Natur“ nur etwas Vorläufiges ist.
Der Kraft der Liebe kann im Gläubigen neuartige Interessen schaffen. Sie helfen ihm, die Minderwertigkeit vermeintlicher Bedürfnisse zu erkennen, die auf Kosten der Freiheit und Liebe gehen.
Neuartige Interessen entstehen, sobald der Gläubige der Kraft der Liebe mit geistlichen Übungen Raum zum Wirken gibt.
Die Maßstäbe Jesu „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ ermöglichen es dem Gläubigen, das eigene Tun „von außen“ mit den Augen Jesu zu sehen. So kann er die Qualität seiner Entscheidungen verbessern und seinem Tun „Ewigkeitswert“ verleihen. Alles, was ein Mensch mit dem Motiv der Liebe getan hat, wird von Jesus Christus gewürdigt und belohnt. (Mt 24,45-47 / Lk 12,37 / 19,17-19) Nichts davon wird vergessen. (Mt 11,42)
Auf diesem Weg wird das Glaubensleben entspannt und froh: Liebe, Vertrauen, Gewissheit, Freude an Gottes heilsamen Ordnungen, Vorfreude auf die Ewigkeit bestimmen das Denken. Der Glaube wird kostbar! Der Gläubige wünscht sich von Herzen, Gott zu ehren, ihn zu lieben und zu loben, über ihn und sein Wort nachzudenken, ihm für alle Hilfe, Bewahrung und Führung dankbar zu sein.
Auf diese Weise bildet sich Charakter, eine Beständigkeit der Seele, die nicht mehr von Verführungen oder Provokationen hin- und hergeworfen oder gar aus der Bahn geworfen wird. „es ist eine gute Sache, wenn das Herz zuverlässig wird durch die Gnade Gottes.“ (Hebr 13,9).
Durch solche Gläubigen wird Gott am würdigsten repräsentiert.
2. Heiligung ist keine nur private Angelegenheit !
Nicht nur der Gläubige selbst soll „geheiligt“ werden, sondern auch die Gemeinde, die Gemeinschaft der Heiligen:
„So wie Christus die Gemeinde geliebt und sein Leben für sie gegeben hat, um sie zu heiligen und zu reinigen im Wasserbad des Wortes. Wie eine Braut soll seine Gemeinde sein: wunderschön und frei von jeglichem hässlichen Merkmal, weil sie zu Jesus Christus gehört.“ (Eph 5,25-27).
Da die Gemeinde Jesus Christus repräsentiert, muss sie sich reinhalten vom Bösen, und das Böse in ihr aufdecken und überwinden (Eph 5, 11).
„Heiligung“ ist also nie eine rein private Angelegenheit, sondern beinhaltet zugleich immer die Sorge für die Gemeinschaft, für die jeder Gläubige mitverantwortlich ist.
Leider ist die Gleichgültigkeit gegenüber offenbarem Unrecht in der Gemeinde weitverbreitet. Wenn Gläubige Konflikte unbearbeitet lassen und Böses in der Gemeinde dulden, dann missachten sie wichtige Gebote Gottes und leben keinesfalls in der Heiligung, wie sie vielleicht meinen. Die Weigerung, sich für den geistlichen Zustand seiner Gemeinde mitverantwortlich zu sehen, wird gerne als „geistliche Einstellung“ getarnt: als „Friedfertigkeit“. Umgekehrt wird der Versuch, Unrecht nach Mt 18,17 „vor die Gemeinde zu bringen„, als „fleischliche Unversöhnlichkeit“, als „Schalksknecht-Gesinnung“ diffamiert. Dass der Geschädigte weiter unter dem Unrecht leidet und sich von der Gemeinschaft im Stich gelassen fühlt, interessiert nicht. Kain, der Sohn Adams war gottgläubig und religiös. Und doch leuchtete ihm diese Tatsache nicht ein: „Soll ich meines Bruders Hüter sein“ (1.Mose 4,9). Dank mangelhafter „Erziehung in der Gerechtigkeit“ (2.Tim 3,16) zeigen die Gewissen vieler Gläubiger bei diesem falschen Verhalten gar nichts an.
3. Die Echtheit der Heiligung ist an der Qualität (!) der Früchte zu erkennen !
Da Heiligung eine Wirkung des Heiligen Geistes ist, hat sie auch entsprechende Qualität.
Der Gläubige, der durch Gottes Geist motiviert wird, handelt völlig freiwillig, weil er vom Wert seines Tuns restlos überzeugt ist. Sowie Jesus völlig freiwillig handelte – selbst beim Opfern seines Leibes (Jo 10,18). Nur positive Motive können auch andere überzeugen, schlechte nicht.
Das Gewissen ist uns als „treuer Wachhund“ gegeben, der uns ohne großen gedanklichen Aufwand warnen soll, wenn wir uns gegen Gott und gegen Mitmenschen versündigen.
Das Gewissen muss richtig eingestellt, “geeicht” werden, denn es wird durch die Erziehung geformt, womit menschliche Fehleinschätzungen Einfluss nehmen können. Manche Gewissen zeigen unangemessen eng, andere wieder viel zu oberflächlich an.
Für die Überprüfung des Gewissens braucht der Gläubige einen Verstand, der durch den Heiligen Geist erleuchtet ist. Er benötigt dazu „Christi Sinn.“ (1.Kor 2,14) Eine Interpretation, die sich möglichst nahe am Buchstaben und an der Tradition der Auslegung orientiert, genügt keinesfalls.
Einen schädlichen Einfluss haben Prediger, die die biblischen Forderungen stark übertreiben (Mt 23, 4) um das Gewissen aufs Äußerste zu beschweren und mit einer möglichst großen Zahl an Neubekehrten auftrumpfen zu können. Diese Prediger binden Menschen an die eigene Person, sodass sie nur ihm selbst, der ihnen das schlechte Gewissen auflud, zutrauen, sie “ in Vollmacht“ wieder davon zu befreien.
Wenn das schlechte Gewissen die zentrale Rolle im Glaubensleben spielt, so ist das Bibelverständnis gründlich krank und zeugt von einem Mangel an Gotteserkenntnis. Gutes tun – um die Pein des schlechten Gewissens zu vermeiden – ist ein übles Motiv, das mit dem Geist der Liebe unvereinbar ist. Nicht der andere und seine Freude ist im Blick, sondern man ist hauptsächlich um das eigene seelische Wohl besorgt. Auch wenn man dieses Motiv nach außen hin verbirgt, so bleibt doch das Tun deshalb wertlos. Werkgerechtigkeit ist nur eine scheinbare Heiligung. Sie ist nicht die Frucht tatsächlicher innerer Erneuerung, sondern kommt nur durch eigene Willenskraft zustande. Sie lässt keine Glaubensfreude entstehen, sondern entmutigt und schädigt den Gläubigen.
Sie ist auf keinen Fall eine notwendige Vorstufe zu wirklicher Heiligung. Von diesem Wahn können sich leider etliche betroffene Christen nur sehr schwer verabschieden! Diese Theologie ist lebensgefährlich und kann den ganzen Glauben zerstören. Paulus warnte: „Ihr habt Christus verloren, die ihr euch durch die Erfüllung göttlicher Normen retten wollt.“ (Gal 5,4) Er spricht von einem Entweder – Oder. Entweder Sohn der Sklavin oder Sohn der Verheißung. (Gal 4,22 ff) Es gibt keine Vermischung und keinen allmählichen Übergang. Werkgerechtigkeit ehrt Gott nicht, da sie ihn als jemanden hinstellt, der Menschen mit seelischer Erpressung Leistungen aufzwingt, die sie ohne diese Drohungen niemals geben würden.
4. Der Weg aus der Werkgerechtigkeit:
1. Entschärfe das überstrenge Gewissen, indem du seine Funktionsweise erkennst: es ist nicht die Stimme Gottes, sondern ein notwendiger Mechanismus der Seele (siehe: Details), um allzu schädliche Aktionen möglichst frühzeitig abzubremsen. Dieser Mechanismus kann durch theologische Erpressung falsch programmiert werden und gibt dann grundlos Daueralarm.
2. Unterscheide zwischen frommen Menschengeboten (Giftige Theologie) und dem, was Gott wirklich will, und was in überzeugender Weise der Liebe entspricht. Wenn in deiner Glaubensgemeinschaft äußerliche Regeln und Traditionen mehr Bedeutung als die Qualitätsmaßstäbe Christi „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ (Mt 23,23) erlangen, dann wird die Persönlichkeit Gottes nur noch verzerrt wahrgenommen. Halte zu solchen Gruppen in Zukunft eine gesunde Distanz.
3. Denke viel über die Gebote nach, die Jesus Christus für die wichtigsten hielt: „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ (Mt 23,23) und die der Glaubensfreude dienen. Interpretiere jedes Gebot so, dass diese Maßstäbe respektiert werden.
4. Halte fest, dass Jünger Jesu freie Menschen sind und dass du dich nicht bestechen oder erpressen lassen darfst. Werkgerechtigkeit zerstört den Glauben gründlich ! Tue dann lieber nichts, sondern bete um die richtige Einstellung.
5. Glaube daran, dass Jesus grundsätzlich große Geduld mit dir hat, auch wenn du nicht perfekt bist. Geduld mit dem, der schwach ist, ist ein Kennzeichen echter Liebe. (1.Kor 13, 4-7) Wenn es heißt, dass Jünger Jesu „vollkommen sein sollen“ (Mt 5,48), so ist dies ein großer Wunsch Jesu, aber nicht ein Gesetz, das die Nichterfüllung unter Strafe stellt. Man kann nicht befehlen, vollkommen zu sein, man kann es nur wünschen, weil das wesentliche Element der Vollkommenheit die Freiwilligkeit ist. Der Vollkommene tut das Gute um seiner selbst willen, weil er davon restlos überzeugt ist und nicht weil er Belohnung erhofft oder Strafe fürchtet. Halte also fest, dass du unvollkommen sein darfst.
Nicht nur für den Gläubigen des alten Testaments, sondern auch für den Christen heute können äußerliche Regeln, die er dem Neuen oder Alten Testament entnimmt, eine Glaubenshilfe sein und ihm ermöglichen, sich an die Notwendigkeiten der unsichtbaren Wirklichkeit zu erinnern. Es gibt Gemeinden, die mehr äußerliche Regeln beachten als andere, wobei dieser äußerliche Unterschied nicht zu Qualitätsunterschieden in der Liebe und Treue führen muss. Für manche Gläubigen sind viele äußerliche Regeln eher störend, für andere eher hilfreich.
5. Die Zerrbilder der Heiligung
Parallel entstehen die typischen Zerrbilder der Heiligung:
a) Man befolgt den Wortlaut der Gebote in sklavischer Weise, auch wenn man damit einem anderen Menschen Schaden zufügt,
b) Man glaubt, Gott durch sklavischen Gehorsam gegenüber dem Wortlaut der Bibel in Dienst nehmen, verpflichten, manipulieren zu können (Werkgerechtigkeit),
c) das ständig schlechte Gewissen ist der Motor des Handelns, der Gläubige fühlt sich erniedrigt und terrorisiert,
d) Die biblischen Begriffe der Freiheit und Mündigkeit des Gläubigen sind nur noch inhaltsleere Propaganda,
e) die Leitung erwartet von Gläubigen kritiklosen Gehorsam auch dort, wo sie selbst sich nicht an biblisches Recht hält,
f) Weisheit und Urteilen nach bestem Wissen und Gewissen werden als sündige Anmaßung, als gottlose Autonomie diffamiert,
g) Gebote werden missbraucht, um über den Glauben anderer zu herrschen, statt zur Freude zu helfen (2.Kor 1,24),
h) man ist hochmütig (Lk 18,9 ff) und lieblos gegenüber allen Gläubigen, die sich an die eigene Glaubenstradition nicht anpassen, sogar dann, wenn sie es aus Gewissensgründen gar nicht können,
i) Gläubige verletzen und verdächtigen einander unnötig (Gal 5,15), Feindschaften, Rivalitäten, Spaltungen und Parteiungen entstehen (Gal 5,20), der Umgangston und das Klima in der Gemeinde ist durch Unfreundlichkeit geprägt.
Die Zerrbilder der Heiligung führen bei Nichtgläubigen zum Fehlschluss, dass der ganze Glaube unglaubwürdig ist. Sie sind für ihn ein objektives Glaubenshindernis, ein Fallstrick. „Denn »euretwegen wird Gottes Name gelästert von den Heiden«, wie geschrieben steht“ (Jesaja 52,5).
Gotteserkenntnis ist nicht durch philosophische „Gottesbeweise“ herzustellen. Der einzige Weg dorthin ist echte Heiligung. Heiligung, d.h. Treue in den geistlichen Übungen ist der „sechste Sinn“, mit dem jeder, der will, die unsichtbare Wirklichkeit wahrnehmen kann. Deswegen sind Glaubensvorbilder so wichtig.