In der menschlichen Seele ist viel Finsternis, viel mehr als man gewöhnlich meint.
Ja sogar noch in der rechtgläubigen Seele ist viel mehr Finsternis zu finden als rechtgläubige Gläubige meinen.
Der Vorwurf, dass die etablierten Kirchen, die Freikirchen, und sonstige religiöse Gruppen Menschen überflüssige Schuldgefühle eingeredet haben, um sich dann als Verwalter der Erlösung zu präsentieren – leider ist er wahr. Wem schwerfällt das zu glauben, dem seien die Beiträge zur „Giftigen Theologie“ empfohlen, die für diese Tatsache viele Beispiele zeigen.
Dieser Manipulation setzen etliche Leute den Slogan entgegen: „Der Mensch ist gut“. Wenn er bekommt, was er zum Leben braucht, dann lohnt sich für ihn auch Freundlichkeit. Eine sehr naive und oberflächliche Sicht, schon deshalb, weil die meisten Menschen nicht bekommen, was sie brauchen. Während sich die, die vergleichsweise viel haben, immer weiter die Taschen vollstopfen, leben die meisten Menschen in bitterster Armut. Oft helfen sich eher die Armen untereinander. Menschen, denen es gut geht, sind weniger sensibel. Erst wenn sie selbst in eine Notlage geraten und die Hilfe anderer ausbleibt, wird ihnen bewusst, wie wenig gut ihr früheres Verhalten war.
Die Angst vor Verlust krallt sich in der Seele fest. Und Angst entschuldigt doch fast alles. Denn mit Angst wird das Leben unerträglich. Schade nur, dass Habgier und Geiz zu immer stärkerer Fixierung auf sich selbst führen, zu immer größerer Blindheit und ständig selbst neue Verlustängste erzeugen. Froh und frei wird der Mensch auf diesem Weg nicht, selbst wenn er meint, dass diese Art zu leben, lebenswert sei. Im Rückblick erkennt er es irgendwann vielleicht. Manche erkennen es erst am Ende ihres Lebens.
Es liegt viel Wahrheit in dem Satz: „Weniger ist mehr!“
Die Angst vor Verlust kann sich auch in der rechtgläubigen Seele etablieren. Auch wenn etliche in solchen Kreisen meinen: „der Gläubige ist gut!“ Er habe ja ein „neues Herz„, einen „neuen Geist“ (Hes 36,26) empfangen. Doch ist er deshalb besser als der Nichtgläubige? Warum schrieb Paulus dann der Gemeinde: „Ich habe sonst niemand, der so ganz meines Sinnes ist und sich so aufrichtig um euch kümmern wird wie er. Alle sind ja nur auf sich selbst bedacht und nicht auf das, was Jesus Christus wichtig ist.“ (Phil 2,20-21) Es ist angemessener, vom Saatkorn eines guten Herzens zu sprechen, von einer guten Chance auf ein verwandeltes, neues Leben. Ist der Freudenrausch des Glaubensanfangs verflogen, der es leicht macht, nur an Gott zu denken, drängen wieder andere Emotionen in den Vordergrund. Bei manchen ist es dieselbe materielle Verlustangst, bei anderen die Angst vor dem Verlust religiöser Sicherheitsgefühle, wieder bei anderen beides. Deswegen lohnt sich die Frage „Wie will ich werden?“
Das biblizistische Denksystem mindert bei den meisten seiner Anhänger religiöse Verlustängste, bei anderen hingegen verstärkt es sie extrem. Insbesondere der Hebräerbrief hat viele Christen in grausame Angst vor ewiger Verdammnis gestürzt, weil er behauptet, dass Gott einen Christen, der die nicht näher definierte „mutwillige Sünde“ begeht trotz seiner Reue unrettbar in die Hölle stürzen lässt.
Das ist das genaue Gegenteil der Verheißung Jesu, „niemand abzuweisen, der zu ihm kommt“ (Jo 6,37). Luther hat das erkannt, deshalb diesen Briefes als apokryphe Schrift eingestuft und so seinen Seelenfrieden wiedergefunden. Die evangelikale Fraktion der Christenheit ist jedoch weiterhin nicht bereit, Luthers Warnung ernstzunehmen und bekanntzumachen. Auch wenn immer weniger Gläubige die fragwürdige Chikago-Erklärung offensiv vertreten wollen, man drückt sich dennoch weiter um die nötige Klarstellung herum. Auch nach 500 Jahren Bedenkzeit hat man nichts dazugelernt. Die Folge ist, dass etliche sensible Christen ihr ganzes Leben lang in Angst vor einer möglichen Höllenstrafe verbringen, wie einst viele Gläubige zur Zeit des Mittelalters.
Hier haben wir also dieselbe Situation wie im materiellen Bereich: sorgfältig denkende Gläubige zahlen einen hohen Preis für die Sicherheitsgefühle einer leichtgläubigen Mehrheit – sie zahlen mit ihrer Gesundheit und ihrer Lebensfreude.
Ist diese Rücksichtslosigkeit keine Finsternis?
Wenn man wenigstens darüber eine offene Diskussion führen könnte! Unsere Webseite „Glauben ohne Angst“, die selten gründliche Untersuchungen zur unvergebbaren Sünde anbietet und keine Zensur übt, könnte sehr gut dazu dienen. Doch warum ist bis heute kaum eine evangelikale Institution, kaum eine evangelikale Gemeinde bereit, diese Webseite, die über beobachtbare Wirkungszusammenhänge berichtet, tatkräftig zu unterstützen und sie den Gläubigen vorzustellen ? Obwohl dort keine Dogmen aufgestellt, die man zu glauben hätte, sondern nur in allgemein verständlicher Weise Vorschläge gemacht werden?
Das Nachprüfen, ob allgemein akzeptierte Aussagen, die belasten und überfordern, wirklich wahr und zuverlässig sind, wird in solchen Kreisen als Angriff auf die heiligsten Güter empfunden. Die Lüge „um des Glaubens willen“, die schnell beruhigt, die einschläfert und ausweicht, wird dagegen gerne gehört und sofort weitergegeben. („Verbreitung von Falschmeldungen„) Da der eigene Standpunkt leicht zu widerlegen ist, muss dafür gesorgt werden, dass Gläubige, die nachprüfen, gar nicht erst zu Wort kommen. Dies erreicht man, indem man sie ignoriert, kaltstellt, ihnen gegenüber desinteressiert, unfreundlich und abweisend ist, solange bis sie still sind und sich wieder angepasst haben. Was ist das anderes als tiefste Finsternis!
Diese Misere hat auch eine materielle Komponente. Die Belehrung mit der Bibel erfolgt ja sehr oft nicht uneigennützig. Sie ist eine Tätigkeit, mit der die Gemeindemitarbeiter ihr Einkommen erwirtschaften. Je erfolgreicher die Mitgliederanwerbung, desto reichlicher fließen Spenden und Arbeitsleistungen, desto größer auch die materiellen Vorteile für die Gemeinde. Nicht nur die Bibel, die vor der „tödlichen“ Kraft des Buchstabens warnt (2.Kor 3,6b), sondern auch zahllose Krankengeschichten bezeugen die Tatsache, dass die Belehrung mit der Bibel eine gefahrengeneigte Arbeit ist. Wenn das so ist, dann ist es doch eigentlich selbstverständlich, dass jeder, der Einkommen aus der religiösen Gemeinschaft bezieht, regelmäßig in eine Haftpflichtversicherung einzahlt, die wenigstens dann eintritt, wenn religiöse Belehrung zu einer seelischen Schwerbehinderung geführt hat. Hier ist auch der Staat gefordert, das religiöse Nötigungsprivileg abzuschaffen und religiöse Gemeinschaften zur Vorsorge zu verpflichten. Bisher wird jedoch so gehandhabt, dass der Betroffene den seelischen Schaden, den Verlust der Arbeitsfähigkeit und Verarmung ganz allein tragen muss. Wie mag es in der Seele der Betroffenen aussehen, die sich zugleich das ständige Reden von Liebe und Verantwortung in der frommen Gemeinschaft anhören müssen?
Offenbart die Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, was aus Geschädigten wird, nicht auch ein gerüttelt Maß an Finsternis?
Das Nachdenken über das Schädigungspotential des hauseigenen Denksystems kann durch Bekehrungsaktionismus im Keim erstickt werden. Je erfolgreicher das Bemühen, möglichst viel Menschen zur eigenen Sichtweise zu „bekehren“, desto stärker wird auch der Wahn, dass diese Sichtweise von Gott selbst bestätigt wird. Ein starkes Sendungsbewusstsein, das Gefühl, damit allen anderen weit überlegen zu sein, kann auch die Sorge um das Heil erheblich eindämmen. Auch das ständige Herumnörgeln an Gläubigen, die nicht hundertprozentig linientreu sind, dient der Überwindung der Zweifel an sich selber. Doch wirkt sich blinder Narzissmus wirklich heilsam auf die eigene Seele und auf die Beziehungen zu anderen Menschen aus?
Oder zeigt auch dieser Weg einen Aspekt der Finsternis in der Seele?
Wahr erscheint mir dies: Auch wer sich für den Glauben an Jesus entschieden hat, hat damit noch nicht die Erleuchtung gepachtet. Es ist und bleibt ein schmerzhafter Prozess, das Licht des Heiligen Geistes in die dunklen Bereiche unser Seele hineinleuchten zu lassen.
Je mehr er hineinleuchten darf, desto klarer wird die Erkenntnis , dass die Seele und der Glaube auf diesem Weg viel gesunder und freier werden können.
Der Entschluss, diesen Prozess zuzulassen, kann nicht durch Dogmatismus ersetzt werden. So gilt auch hier der Grundsatz: „Weniger ist mehr“. Hilfreicher Glaube ist mit erstaunlich wenig Annahmen möglich. („Heilstatsachen„).