Heiligt der Zweck die Mittel?

Partei für Gott ergreifen? Ist das nicht immer heilig und gut?

Wollt ihr Gott verteidigen mit Unrecht und Trug für ihn reden? Wollt ihr für ihn Partei ergreifen? Wollt ihr Gottes Sache vertreten? Wird’s euch auch wohlgehen, wenn er euch verhören wird? Meint ihr, dass ihr ihn täuschen werdet, wie man einen Menschen täuscht? Wird er euch nicht hart zurechtweisen, wenn ihr heimlich Partei ergreift?” (Hiob 13,7-10).

Offenbar nicht! Der Zweck heiligt bei Gott eben nicht die Mittel! Wer fragwürdige Methoden benötigt, damit „Menschen besser glauben können“ und glaubt, damit Gott zu ehren, irrt sich sehr.

Weshalb fällt es etlichen Menschen so schwer, in einer fairen Weise zu argumentieren? Jedem von uns fallen spontan einige Beispiele ein, wie der Nutznießer des DDR-Systems, der von den Vorzügen der DDR gegenüber der BRD restlos überzeugt zu sein scheint und sogar den eisernen Vorhang samt Todesstrafe als humanitäre Errungenschaft verteidigt. Solange es  nur genug Menschen in seinem Umfeld gibt, die genauso fühlen wie er, wird er auch nicht davor zurückscheuen, lächerlich dumme Argumente und Ausreden zu verwenden. Dumme Argumente sind immer noch besser als gar keine – dass bessere Argumente gegen seine Ansicht sprechen, wird er niemals zugeben. („Semmmelweiß-Reflex„) Dabei kann der Nutznießer durchaus ein Mensch mit sehr großen intellektuellen Fähigkeiten sein. Er kann z.B. Wissenschaftler oder Philosoph sein, und dennoch wird er keinen Gegenbeweis gelten lassen, schon gar nicht den Hinweis, wie viele Menschen unter diesem System leiden. Das muss ihn nicht stören, solange wenigstens er für ihn selbst die Vorteile überwiegen. Und Nutzen zieht er aus seiner Haltung eben gerade deshalb, weil das System auf seine kritiklose Unterstützung rechnen kann.  Somit ist sein Verhalten trotz aller dummen Argumente sinnvoll, wenn es nur ihn selbst auf der Welt gäbe. Betrachtet man die Nebenwirkungen, insbesondere die negativen Auswirkungen auf andere Menschen, dann kommt man zum gegenteiligen Urteil: sein Verhalten ist absolut egozentrisch, gewissenlos und dumm.

Ähnliches lässt sich über die Nutznießer in der nordkoreanischen Diktatur sagen. Oder über die Securitate-Soldaten des rumänischen Diktators Ceausescu, der wie ein Vater für sie sorgte. Die behinderten Kinder in Temesvar ließ er verfaulen. Es ist immer derselbe Vorgang. Auch dort konnte man  viel profitieren, solange man nicht danach fragte, wie es anderen ergeht.

Ist es bei Sekten anders? Die Sekte bietet ihren Mitgliedern eine Weltanschauung, die eine positive Gefühlswelt entstehen lässt und störende Unsicherheit abbaut.  Kaum jemand der Mitglieder stört sich daran, wenn die Argumente, mit denen man die Weltanschauung der Sekte verteidigt,  fragwürdig oder bösartig sind. Jedes Mittel ist gerade recht, wenn Kritik an der Weltanschauung mit Verlustangst verbunden ist, mit der Panik, den Nutzen der religiösen Gefühlswelt zu verlieren.

Der Nutzen dieser Gefühlswelt ist so groß, dass man bereit ist, für ihn alles und jeden zu opfern, auch alle Werte und Tugenden, wenn es nicht anders geht. Luther hat es auf den Punkt gebracht: „Ich glaube Teuflisches“ und hat die Preisgabe der Vernunft in der Tat als Tugend verteidigt. Helge Stadelmann, Ex-Chef der FTH Gießen, hat diese Maxime in seinem Buch „Evangelikales Schriftverständnis“ als allgemeine Richtschnur für evangelikales Denken festgelegt. Evangelikale sollen genauso denken wie Luther! Luther indes  ist diese Sicht nicht gut bekommen: an seinen Händen klebte am Ende viel Blut, auch das von Glaubensgeschwistern.

Was soll man da viel argumentieren? Es ist immer dieselbe Tatsache im Hintergrund: man hat nie verstanden, wie eng und unauflöslich Liebe und Wahrhaftigkeit miteinander verbunden sind. Stattdessen hat man hat sich kaufen lassen. Es ist so primitiv: Wenn ich nur meine frommen Gefühle bekomme, dafür tue ich alles. Wirklich alles ! Ich bin bereit, dafür auch auf einfachsten und klarsten Grundsätzen der Fairness, der Barmherzigkeit, der Vernunft und Mitmenschlichkeit herumzutrampeln. Die Intensität des Gefühls rechtfertigt alles! Die Intensität des Gefühls entscheidet über den Rang jedes anderen Gedankens! Die Intensität des Gefühls ist die Wahrheit! Die Intensität des Gefühls macht jedes Nachdenken und Prüfen überflüssig.

Doch was ist die Gefühlsbezogenheit wirklich? Ist sie wirklich das, was Gott unter „heilig“ versteht oder ist sie religiöse Egozentrik? Nicht wenige Gläubige sind fest davon überzeugt, dass Gott Menschen mit dieser Haltung reich belohnen wird.

Denkt nicht wie Kinder, liebe Brüder! Im Tun sollt ihr unschuldig wie Kinder sein, aber DENKEN müsst ihr WIE ERWACHSENE Menschen!” (1.Kor 14,20)

Wie wäre es, wenn ideologiebeflissene Gläubige einmal anfangen könnten, gegenüber diesem Gotteswort gehorsam zu sein? Erwachsen, vernünftig und nicht kindisch denken! Die Grundsätze der Barmherzigkeit und Fairness – gerade gegenüber Geschädigten und Angefochtenen – konsequent beachten! Das ist anstrengender als die erlernten frommen Ausreden, langfristig aber solide. Dann können sie anderen kindische Argumente und blödsinnige Therapien  ersparen.

Dann sind sie vielleicht in der Lage, zu verstehen, warum ihre oberflächlichen Ratschläge Menschen, die nicht oberflächlich denken, nicht helfen. Bisher hat sie das nicht im geringsten interessiert. Wer aus der Reihe tanzt, ist selber schuld. Der Fehler kann ja grundsätzlich nur bei den anderen liegen, die nicht angepasst sind und nie bei einem selbst.

Wenn Gläubige beginnen erwachsen zu denken, dann gehen sie auf Gottes Weg, den Glauben zu stärken. Es ist ein zuverlässiger Weg, der ohne Selbstbetrug auskommt. Sie werden frei zu sorgfältiger Beobachtung und zu verantwortlichem Urteil. Sie werden frei von der Sklaverei unter dem Buchstaben und frei vom Götzen „Irrtumslosigkeit“, den sich unvollkommene Menschen für alle ihre Sekten und Ideologien selber erwählen. Wie leicht sind doch die „Schriftbeweise“ für „Irrtumslosigkeit“ zu widerlegen, sofern man nur bereit ist, sie endlich auch einmal auf den Prüfstand zu stellen: „Prüfet alles!“ (1.Thes 5,21)

Artikel aktualisiert am 16.02.2022

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