Ein altes Problem!

Unser Arbeitskreis bearbeitet eigentlich ein sehr altes Problem, das bereits Martin Luther vor 500 Jahren erkannte: die Instabilität der Heilsgewissheit und der Schwund der Glaubensfreude aufgrund verunsichernder Aussagen im Bibelkanon.

Dieses Problem nehmen allerdings nur relativ wenige Gläubige wahr, die ihre Bibel gründlich lesen und ihre Aussagen konsequent durchdenken.

In der bibeltreuen Szene ist es üblich zu bestreiten, dass es sich um ein objektives Problem handelt.

Wenn jemand chronische Angst vor der Hölle hat, so sieht man die Ursache dafür ausschließlich in persönlichen Mängeln des Betroffenen: entweder ist er depressiv veranlagt (muss das Problem also mit Psychopharmaka behandeln) oder er hält an irgendwelchen Sünden fest, die nicht auffallen aber die gewissmachende Wirkung des Heiligen Geistes behindern. In letzterem Fall ist der Gläubige also selber schuld.

Tatsache ist nur, dass Martin Luther ähnliche Ängste hatte, von dem wir nun wissen, dass er sich mit größtem Eifer um die Einhaltung der Gebote bemühte. Diese Ängste konnte er überwinden – somit war auch keine unheilbares Hindernis durch depressive Veranlagung gegeben.

Luther ist also ein guter Kronzeuge für das objektive Vorhandensein der durch biblischen Text verursachten Höllenangst oder Heilsgewissheitsnot. Warum wird immer noch bestritten, was Luther richtig festgestellt hatte, nämlich dass die vier Drohungen im Hebräerbrief, die sagen, dass es möglich ist, dass reuigen (!) Sündern nicht mehr vergeben wird (Hebr 3,8-19 / 6,4 / 10,28 /  12,17) ein schwerer Schlag gegen Glaubensfreude und Heilsgewissheit sind und die Zusicherungen, die Jesus Christus seinen Jüngern gab, aufzulösen drohen?

Es ist kein Ruhmesblatt der bibeltreuen Theologie, wenn Theologen heute noch harmlos tun, als ob sie das nicht wüssten!

Die Frage liegt doch auf der Hand! Wie passen diese schrecklichen Drohungen zusammen mit der in den Evangelien bezeugten Einladung Jesu: „Wer immer zu mir kommt, den werde ich niemals hinaus stoßen…“ (Joh 6,37) „Kommt her zu mir ALLE, die ihr mühselig und beladen seid…  (Mt 11,28) ???

Ist das der Grund, warum es immer wieder gläubige Christen gibt, die sich nach einer anfänglichen Phase der Begeisterung für den Glauben unentrinnbar und endgültig in einem Gefängnis religiöser Depression eingesperrt sehen?

Wer definiert, was „unverzeihlicher Unglaube“ (Hebr 3,8-19)   , „vom Glauben abfallen“ (Hebr 6,4), „mutwillig sündigen“ (Hebr 10,28), „unwiderrufliches Verkaufen des Erstgeburtsrechts“ (Hebr 12,17) ist? Trotz mancherlei Erklärungsversuche: es bleibt offen!

Lässt sich die Reaktion eines Gottes auf längeres Versagen überhaupt zuverlässig einschätzen? Dazu müsste der Gläubige eine zuverlässige Vorstellung von Seinem Charakter haben. Hat er das?

Ist es nicht vielmehr so, dass die Annahme der Irrtumslosigkeit und Vortrefflichkeit aller Bibelstellen den Charakter Gottes widersprüchlich  erscheinen lässt? Einerseits bekundet Gott seine große Liebe zu den Menschen, andererseits hat Er – so wie bibeltreue Theologen die Bibel üblicherweise „verstehen“  – offenbar von vornherein geplant, fast die gesamte Menschheit mit ewigen Höllenqualen zu foltern. Angesicht dieser alles vorstellbare Maß übersteigenden Grausamkeit fallen einzelne unverständlich grausame Problemstellen des Alten Testamentes kaum noch ins Gewicht.  Die Mehrzahl der Gläubigen kennt sie ohnehin nicht (die Bibellesepläne werden sich hüten, sie zu erwähnen).

Ist es da erstaunlich, wenn diejenigen Gläubigen, die ihre Bibel gut kennen, keine stabile, zuverlässige Vorstellung vom Charakter Gottes bilden können?

Und werden nicht den Gläubigen Forderungen auf das Gewissen gebunden, deren Strenge gar nicht mehr zu überbieten ist? Wie soll sich der Gläubige den Freiraum zur Prüfung bewahren, wenn er gelehrt wurde, dass der Wortlaut eines biblischen Satzes grundsätzlich irrtumslos und unantastbar ist? Wenn nun „der Gerechte nur mit knapper Not gerettet wird“ (1.Petr 4,18), liegt da der Gedanke nicht sehr nahe, dass die Vergebungsbereitschaft Gottes nur für kurzfristige Sünden („kleine Ausrutscher“) erwartet werden kann, dass aber längeres Versagen den endgültigen Verlust des Heils zur Folge haben könnte?  Wie viele treue, sorgfältige Gläubige werden ihr Leben lang von der Angst begleitet, sie könnten doch eines Tages „eine Sünde zuviel“ begehen, eine „mutwillige Sünde“ (Hebr 10,26), die ihnen nicht mehr vergeben werden kann und die sie eines Tages unfehlbar in die Hölle bringt!

Sitzt man erst mal auf der schiefen Ebene, ist das weitere Abrutschen wahrscheinlich. Das ständige Wechselbad zwischen Drohung und Tröstung macht es schwer, Jesus zu lieben, und jeder, der „Jesus nicht liebt, ist verflucht“ (1.Kor 16,22). Er ist schon mit einem Bein in der Hölle.

Was können da noch die Beteuerungen wohlmeinender Ausleger garantieren? Wer garantiert, dass sie mehr als subjektive Wunschvorstellung sind? Wie soll man mit widersprechenden Aussagen zum Heil leben: wer kann sich damit „trösten“, dass er „wahrscheinlich nicht“ in die ewige Qual kommt?

Das ist ein wirkliches Problem – zwei Wahrheiten in der Bibel, die einander aufzulösen scheinen.

Martin Luther hat gesehen, dass hier ein Ausweg gefunden werden muss, wenn Gläubige nicht verzweifeln sollen.

Der Ausweg indes, den er seinen Lesern vorgeschlagen hat, wird vom evangelikalen Establishment nicht an die große Glocke gehängt. Ja, es dürfte wohl kaum eine evangelikale Gemeinde geben, in der die Gläubigen darüber informiert werden. Luther hat einfach den Hebräerbrief, dessen bedeutungsvollstes Sondergut eben vier grenzenlos brutale Drohungen sind,  als apokryphe Schrift (!) klassifiziert (in seiner Vorrede zum Hebräerbrief) d.h. als eine Predigt mit Mängeln, die das Niveau der anderen biblischen Texte nicht erreicht, . Er konnte sich bei seiner Einschätzung sogar auf „die Alten“, d.h. auf etliche bedeutende Kirchenväter berufen, die das offenbar auch so sahen. (Details / Kanon Muratori)

Luthers Lösung werden viele Gläubige nicht übernehmen können – die meisten werden einen Eingriff in den Kanon für zu schwerwiegend halten und dadurch erst recht verunsichert werden.

Sehr viele Gläubige „lösen“ das Problem auf altbewährte und nicht gerade seriöse Weise: mit Verdrängung. Bei einer Neigung zu oberflächlichem Bibelstudium und zum Optimismus gelingt das recht gut. Macht man es so, dann entsteht der irreführende Eindruck, dass gar kein Problem vorhanden ist  bzw. dass Luther die Not mit der Verdammungsangst auf der Basis des heute gültigen und als „absolut zuverlässig“ proklamierten Kanons gelöst hat. Das ist leider die Unwahrheit! In sehr vielen evangelikalen Gemeinden wird dieser Unsinn leider immer weiter – zum Teil wider besseres Wissen – behauptet. 

Die Gläubigen aber, die nicht wegschauen, wenn sie mit dieser Not konfrontiert werden, sondern gründlich und ehrlich nachdenken wie einst Martin Luther, um einen Ausweg zu finden, können sich mit dieser Oberflächlichkeit nicht behelfen. Muss es nicht auch für sie eine überzeugende Antwort auf diese quälenden Widersprüche geben?

Von Theologen herkömmlich-bibeltreuer Prägung können Gläubige nur bitter wenig an Hilfe erwarten: die übliche Antwort ist die Behauptung, dass das Problem nicht existiere, dass es in der Bibel „keine wirklichen Widersprüche gäbe“, dass der Gläubige sich daran genügen lassen müsse, dass sich alles „später im Himmel“ „zufriedenstellend“ klären würde.

Wahrlich eine gefühllose, unmenschliche Antwort! Dem sorgfältigen Gläubigen, der hier und jetzt Angst hat, wird eben deshalb in diesem Leben der Zugang zu Glaubensfreude und seelischer Gesundheit BIS ZUM LEBENSENDE versperrt bleiben. Kann er wirklich „warten“? Welcher Unsinn! Er braucht hier und jetzt eine verlässliche Antwort, die nicht von menschlicher Meinung und von der Fähigkeit zur Verdrängung abhängt, vom Nachplappern einer seelenlosen, kalten Dogmatik, die sich naheliegenden Befürchtungen nicht ehrlich stellt.

Das führt uns zu einer Frage grundsätzlicher Art.

Wenn die Bibel, die über die Liebe Gottes informieren soll, stattdessen immer wieder gutwillige Menschen in die Verzweiflung und in psychische Krankheit treibt, so kann das ja wohl nicht der Fehler Gottes sein. Hieran sind Menschen schuld, die Mitchristen keinen unbefangenen, vorurteilsfreien Zugang zur Bibel erlauben, sondern sie zwingen, die Bibel nur durch ihre schiefe theologische Brille zu lesen (Idealisierung). 

Für das Vertrauen in die Bibel ist damit nichts gewonnen! Offensichtlich soll Glaubensgewissheit bei Christen auf andere Weise entstehen. Es kann doch nicht sein, dass viele Gläubige etwas für den Glauben als unverzichtbar betrachten, was anderen Gläubigen den Glauben zerstört und sie ihr Leben lang quält.

Doch wie kann man zu einer Sicht der Bibel kommen, die dem Gläubigen eine differenzierte Bewertung erlaubt, ohne dabei die Funktion der Bibel als verlässliche Glaubensurkunde zu beschädigen?

Auf der Grundlage unseres Glaubens sind wir fest davon überzeugt, dass es für dieses Dilemma eine Lösung geben muss, da der Gott der Bibel, der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit liebt,  nie einen Menschen aufgrund genauerer Bibelkenntnis von der Freude des Glaubens und Gewissheit des Heils ausschließen wird. 

Es wäre andernfalls ganz unfair, wenn die Bibel gläubige Menschen auffordert, biblische Texte eifrig und genau zu erforschen. (Jo 5,39 / Apg 17,11)

Es lohnt sich deshalb, nach einer überzeugenden Lösung zu suchen. 

Eine überzeugende Lösung wird notwendigerweise keine komplizierte Konstruktion sein, sondern ein einfaches Verfahren (!), da Jesus keine exklusive Lehre für Theologen verkündet sondern sich mit seinen Worten an jedermann, also überwiegend an wenig gebildete und einfache Menschen gerichtet hat. (1.Kor 1,26).

Als verträglichere Lösung, die innerhalb des bibeltreuen Denkrahmens bleibt, bietet sich in erster Linie an, die Warnung Luthers vor dem Hebräerbrief ernst zu nehmen und einen zumindest Hinweis in jede Bibel einzufügen, dass die Autorität dieses Briefes stark umstritten ist. Allein dieser Schritt würde bereits viele gutwillige Gläubige vor dem psychischen Absturz oder gar dem völligen Glaubensverlust bewahren.

Darüber hinaus konnte man die Irritation durch andere grausame Bibeltexte weitgehend durch ein UPDATE des bibeltreuen Schriftverständnisses reduzieren, das Gläubigen ermöglicht, den Rang biblischer Aussagen mit Hilfe der Qualitätsstandards Jesu in Mt 23,23 nachvollziehbar und überzeugend zu bestimmen. Auf diese Weise ist es möglich, destruktive Bibelstellen aus der Sicht Jesu Christi zu beurteilen und als irrelevant bzw. verbesserungsbedürftig einzustufen. Sie verlieren damit ihre scheinbare Autorität und Wirkungsmacht, und können die  Heilszusagen Jesu Christi nicht mehr relativieren.

Mit diesem einfachen Verfahren wird die scharfe Kritik Luthers am Jakobusbrief überflüssig und eine weitergehende  Auflösung des tradierten Kanons – so wie sie Martin Luther vornahm – wäre vermieden.

Wir haben diesen Vorschlag an die theologischen Institute geschickt, die sich an einer buchstabenhörigen Sicht der Bibel verpflichtet sehen und gebeten, die Vorschläge zu diskutieren und zu bewerten. Gläubige könnten dann beide Schriftverständnisse kennenlernen und Vor- und Nachteile vergleichen (siehe auch die Grafik dazu), um sich dann für das zu entscheiden, was ihren Glauben und ihre seelische Gesundheit am ehesten fördert:

Wir haben auch 6 dramatische Seelsorgefälle (die wichtigsten Bedrohungen von insgesamt ca. 30 Stück, die unter „giftige Theologie“ aufgelistet sind) zusammengestellt, die deutlich die ausweglose Situation der Betroffenen aufzeigen.

An diesen Beispielen sollte man eigentlich erkennen können, wie hilflos die übliche sich als „bibeltreu“ verstehende Theologie ist! Was tut ein vernünftiger Seelsorger dann? Er macht sich auf die Suche nach unorthodoxen Lösungen oder probiert zumindest vorgeschlagene Lösungen aus, ob sie vielleicht helfen könnten.

Die etablierten angeblich „bibeltreuen“ Institute sind von dieser Haltung leider noch weit entfernt. Sie wollen nicht, dass Gläubigen erlaubt wird, biblische Aussagen eigenständig zu bewerten.

Dafür nehmen sie es in Kauf, dass Gläubige sich weiter quälen. Falls die Angst vor der Hölle chronisch wird, können die Betroffenen ja etwas Erleichterung durch den massiven Einsatz von gesundheitsschädlichen Psychopharmaka  bekommen. Verträgt sich das dem Gebot:  „Wenn ein Glied des Leibes Christ leidet, so leiden die anderen mit“ ? (1.Kor 12,26) 

Warum kann man diesen neuen Lösungsversuch nicht offen diskutieren und praktische Erfahrungen damit sammeln?

Offenbar macht man sich mit diesem Versuch unbeliebt. Die übliche  angeblich „bibeltreue“ Sicht ist ein Geschäftsmodell, dass eine gewisse Monopolstellung in der theologischen Landschaft garantiert. Die Bekanntmachung einer verbesserten Sichtweise ist unliebsame Konkurrenz, und deshalb stellt man sich taub, und versucht das Bekanntwerden dieser Sichtweise möglichst zu verhindern.

Ist unterlassene Hilfeleistung ein Weg, in der Nähe und Liebe Gottes zu bleiben? Ich glaube kaum.

Deshalb hat Jesus auch von der theologischen Hierarchie, von Doktor- und Professorentiteln nichts wissen wollen, nichts vom Geschäfte machen mit dem Glauben, ja überhaupt diese ganze Art der lukrativen Gläubigkeit strikt verboten. (Mt 23,7-12)

Seelsorgern, die Menschen ernsthaft helfen wollen, die in der Angst vor Gott und der Bibel gefangen sind (mit ähnlichen Fragestellungen wie in den 6 Seelsorge-Beispielen), werden Lösungen am ehesten auf Webseiten wie der unseren finden, die sich an die Erwartung höheren Orts nicht gebunden fühlen, auf vordefinierten Schienen zu denken.

Wir sind deshalb auch ganz offen für die Lösungsvorschläge unserer Besucher und Leser zu den 6 Seelsorgefällen oder auch zum Thema „Fast alle in der Hölle?“ und wir machen auch gerne ihre Thesen hierzu bekannt.

 

Artikel aktualisiert am 30.04.2022

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