Wie hast du deine Lebenszeit bisher nutzen können? Viele von uns werden sich gegen Ende ihres Lebens diese Frage stellen. Wie gut, wenn man dann nicht bedauernd feststellen muss, dass man den größten Teil seiner Lebenszeit sinnlos vertan hat. Und das, obwohl doch alle sich nach Kräften mühen, ihren Nutzen zu mehren und Schaden abzuwenden.
Morgen, und morgen, und dann wieder morgen,
So kriecht’s im Schneckenschritt von Tag zu Tag
Im Lebensbuch zur letzten Silbe hin;
Und das, was gestern war, macht hell den Weg für Narren
Und führt zum Untergang. Aus, kleines Licht!
Was ist das Leben denn?
Ein Schatten, der vorüber streicht!
Ein armer Komödiant, der seine Zeit
Abstolzt und abschnauft auf der Bühne und
Danach nie mehr gehört wird. Dummes Zeug
Aus eines Tölpels Mund, voll von Getön
Und Toben, und bedeutet nichts.
Weniger dramatisch als Shakespeares Macbeth äußert sich Johann Wolfgang von Goethe am 27.1.1824 im Rückblick: „Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen, auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe und Arbeit gewesen, und ich kann wohl sagen, dass ich in meinen fünfundsiebzig Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war das ewige Wälzen eines Steines, der immer von neuem gehoben sein wollte.“
Jesus verheißt seinen Jüngern kein bequemes, aber ein sinnvolles Leben. Er lädt uns ein, solange wir leben, viel in den Glauben und in die Liebe zu investieren, um sich an einer reichen Ernte zu erfreuen. (Gal 6,4)
Ein kluger Mensch fragte einmal: „Wie würdest du heute leben, wenn du wüsstest, dass der heutige Tag dein letzter Tag ist auf Erden?“
Sich diese Frage erst am Ende des Lebens stellen, nennt die Bibel „schlafen„. Jesus Christus ruft seine Jünger auf, „wach zu bleiben„, und in diesem Zustand die Ankunft ihres Herrn zu erwarten: „Bleibt wach, denn ihr wisset nicht, in welcher Stunde euer Herr kommen wird.“ (Mt 24,42)
Wie sähe ein Tag aus, von dem wir wüssten, dass es unser letzter Tag wäre? Wäre es dann nicht sinnvoll, dafür zu sorgen, dass jede Minute in einer würdigen Weise gelebt und mit Liebe und Dankbarkeit erfüllt werden würde?
Wer „schläft„, ist taub und blind und versäumt, die für ein segensreiches Leben notwendigen Entscheidungen zu treffen.
Wenn wir „wach bleiben„, halten wir die Augen offen und unser inneres Auge, unser Geist, blickt auf die Tatsachen der unsichtbaren Welt. „Richtet euer Interesse auf das, was droben ist, nicht auf das, was irdisch ist.“ (Kol 3,1)
Paulus erläutert diese innere Haltung mit dem Bild eines Wettläufers, der sich selbst diszipliniert und trainiert, um das Ziel zu erreichen. (1.Kor 9,27)
Der Gläubige braucht geistliche Übungen, gute Gewohnheiten, um sein inneres Auge zu öffnen und sein Leben im Blick auf die unsichtbare Welt vernünftig zu führen. Diese Übungen sind mit der Zusage Gottes verbunden: „Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch“ (Jak 4,4) Du möchtest starke Glaubensgewissheit haben und Gottes Nähe spüren? Die Bibel zeigt dir den Weg dorthin: Treue in den geistlichen Übungen!
Geistliche Übungen sind keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Ohne geistliche Übungen gibt es kein kein Wachstum im Glauben. („Heiligung“ / grüne Seite im Fünf-Farbenbuch der Heilstatsachen)
Was geistliche Übungen nicht sind: ein Regelwerk, das perfektionistisch einzuhalten ist, um die Liebe und den Segen Gottes zu erzwingen. Sind solche Übungen von seelischer Erpressung vergiftet, sind sie ohne jeden Wert.
Es ist genau umgekehrt: das Erkennen der Liebe Gottes und der Wunsch Ihn zu erfreuen, ist die Grundlage, in der Anwendung geistlicher Übungen treu zu sein. Geistliche Übungen machen nur Sinn, wenn Freiwilligkeit und Einsicht in den Gewinn vorhanden sind.
Grundlage der geistlichen Übung ist die Erkenntnis, dass Gottes Liebe auch im Fall der mangelhaften Erfüllung nicht ins Wanken gerät.
Umgekehrt wachsen Liebe und Vertrauen durch fleißiges geistliches Üben mit der richtigen inneren Einstellung.
Deswegen ist es so wichtig, dass Gläubige, die der Bibel aufgrund der hier bearbeiteten Missverständnisse („giftige Theologie“ / „Problemstellen“ ) nur eine verstörende, verunsichernde Gottesvorstellung entnehmen, durch einen verbesserten Zugang zur Bibel wieder Klarheit erlangen, dass „Gott Licht ist, und dass in Ihm keine Finsternis ist.“ (1.Jo 1,5)
Die erste und wichtigste Übung ist das morgendliche Gebet. „Das Gebet in der Frühe entscheidet über den Tag. Vergeudete Zeit, deren wir uns schämen, Versuchungen, denen wir erliegen, Schwäche und Mutlosigkeit in der Arbeit, Unordnung und Zuchtlosigkeit in unseren Gedanken und im Umgang mit anderen Menschen haben ihren Grund sehr häufig in der Vernachlässigung des morgendlichen Gebetes.“ (Bonhoeffer). Wir danken Gott für den neuen geschenkten Tag und bitten, dass wir ihn in der richtigen Einstellung Jesu zur Freude des Vaters im Himmel bestehen können, dass wir alle uns heute von Ihm gestellten Aufgaben erkennen und treu bearbeiten können. Wir bitten um Segen für die Menschen, die uns anvertraut sind und für die, mit denen wir heute zu tun haben werden. Wir bitten um Bewahrung und Schutz vor den Anfechtungen, die uns vom richtigen Weg abzubringen drohen.
Ebenso wichtig ist das betende und hörende Bibellesen. Es ist gut, sich bereits am Morgen dafür Zeit zu nehmen, bevor die Gedanken des Alltags auf die Seele einstürmen. So wie man morgens, mittags und abends etwas isst, so ist auch sinnvoll, tagsüber und abends die Seele mit dem Wort Gottes in Kontakt zu bringen.
Das Lesen in der Bibel reinigt die Seele und richtet den Sinn auf die unsichtbare Welt Gottes. „Ihr seid bereits rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“ (Jo 15,3)
„Nur wenn wir es einmal wagen, uns so auf die Bibel einzulassen, als redete hier wirklich der Gott zu uns, der uns liebt und uns mit unseren Fragen nicht allein lassen will, werden wir an der Bibel froh … Seit ich gelernt habe die Bibel so zu lesen – und das ist noch gar nicht so lange her – wird sie mir täglich wunderbarer. Ich lese morgens und abends darin, oft auch noch über Tag, und jeden Tag nehme ich mir einen Text, den ich für die ganze Woche habe, vor und versuche mich ganz in ihn zu versenken, um ihn wirklich zu hören. Ich weiß, dass ich ohne das nicht mehr richtig leben könnte. Auch erst recht nicht glauben. “ (Bonhoeffer)
Dem Staatsmann Daniel waren diese Zeiten der Stille und des Gebets so wichtig, dass er sie dreimal am Tage einhielt und sich durch nichts davon abbringen ließ. (Dan 6,10)
Zusätzlich zum Bibellesen kann es auch hilfreich sein, morgens und abends etwas aus der Bibel vorlesen zu lassen (Hörbibel).
Wer möchte, dass die Gedanken Gottes in der Seele Früchte bringen, der sollte sie in einer Haltung des Vertrauens lesen. „Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben!“ (Mark 9,24)
Um dem Geist Raum zu geben, müssen die natürlichen Bedürfnisse auf ein vernünftiges Maß zurückgedrängt werden: „die Wünsche des Geistes widerstreben dem Fleisch“ (Gal 5,17)
Deshalb sind Übungen der Enthaltsamkeit wichtig. Sie helfen, die Zügellosigkeit des Geistes und des Körpers zu überwinden.
Wir haben gewisse natürliche Bedürfnisse. Die Bibel verteufelt sie nicht. Wir müssen essen und schlafen, arbeiten und ruhen, wir brauchen Gemeinschaft. Wir sollten diese natürlichen Bedürfnisse nicht ignorieren – wir dürfen ihre Erfüllung auch aus Gottes Hand entgegennehmen und sie genießen.
Dennoch sollen uns unsere Bedürfnisse nicht gängeln und beherrschen. Wenn wir nur noch auf die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen fixiert sind, wird unser Denken zugemüllt mit überflüssigem Ballast und mit Negativem, das die leise Stimme des Heiligen Geistes übertönt, mit ständiger Unzufriedenheit, mit ziellosem Suchen, mit der Angst zu kurz zu kommen, mit der Sorge um die Zukunft. Für die Liebe zum Nächsten bleibt nicht mehr viel übrig. Was kann solch ein Leben wert sein? Ein Leben in Unfreiheit!
Jesus gönnt uns mehr. Christen sind dazu berufen, ein Leben in Freiheit zu führen. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Lasst euch nicht mehr in ein Sklavenjoch einspannen!“ (Gal 5,1) „Alles ist mir erlaubt – aber nichts davon soll mir die Freiheit rauben!“ (1.Kor 6,12) Wenn der Gläubige merkt, dass ihm seine Freiheit auf irgendeine Weise kaputtgemacht wird, dann sollte er sich entschieden dagegen wehren: „Menschen, die zu Jesus gehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt seinen Wünschen und Begierden.“ (Gal 5,24) Paulus formuliert hier sehr radikal, um die Entschlossenheit zu betonen. Wir dürfen seine Worte nicht so verstehen, dass Christen nichts wünschen dürfen oder dass Gott ihnen ihre Freude missgönnt. Ein schreckliches Missverständnis, dass so manchen Gläubigen krank gemacht hat. Genau das Gegenteil ist wahr. Der Gläubige ist durch die Gnade Gottes ein befreiter Mensch geworden. Doch diese Freiheit darf das geistliche Leben und die Liebe nicht ersticken. Denn damit geht auch die Freude kaputt. Über diese Tatsache täuscht „der Betrug des Reichtums“ hinweg. (Mt 13,22) Das Leben wird todlangweilig. Es verliert seinen Sinn.
Habsucht hat die Tendenz, den sinnlosen Zustand zu verlängern. Sie kann das Samenkorn des göttlichen Wortes völlig überwuchern, sodass das Hören und Lesen unfruchtbar bleibt. Die „Sorgen dieser Welt und der Betrug des Reichtums ersticken das Wort„. (Mt 13,22) Sie machen es stumm. Sie machen den Leser blind. Zu guter Letzt kann er den Wert des Glaubens nicht mehr erkennen. (2.Ko 4,4) Der Mensch bleibt ganz allein bei sich selbst und sich selbst ausgeliefert.
Deswegen der gute Rat: „Lasst die Habsucht nicht in euer Leben. Lasst euch genügen an dem, was da ist. Denn Gott hat gesagt : »Ich will dich nicht verlassen noch vernachlässigen. Wir dürfen sagen : »Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten; was sollte mir ein Mensch tun ?« (Hebr 13,4-6)
Der Fixierung auf kurzlebige eigene Wünsche steht die Bemühung um ein einfaches Leben entgegen. „Wünsche, an die wir uns klammern, rauben uns leicht etwas von dem, was wir sein sollen und können. Wünsche, die wir um der gegenwärtigen Aufgabe willen immer wieder überwinden, machen uns – umgekehrt – reicher. Wunschlosigkeit ist Reichtum. In meiner jetzigen Umgebung finde ich fast nur Menschen, die sich an ihre Wünsche klammern und dadurch für andere Menschen nichts sind; sie hören nicht mehr und sind unfähig zur Nächstenliebe.“ (Bonhoeffer)
Immer mehr zu wünschen, und dabei blind zu sein für all das, was bereits geschenkt und empfangen worden ist, das ist krank und macht krank.
Dagegen helfen die geistlichen Übungen des dankbaren Erinnerns, des Dankgebetes und der Anbetung Gottes. Wir können danken für Bewahrung vor Unfällen, vor Krankheit, Sünde und Krieg,für die Versorgung mit Nahrung und vielem Guten darüber hinaus, für beglückende Begegnungen mit befreundeten, bekannten und unbekannten Menschen, für ewige Hoffnung und Geborgenheit, Leitung, Ermutigung und Trost in schwierigen Situationen, für Gebetserhörungen usw. usw.
Ist das alles selbstverständlich? Für viele Menschen nicht. Wie arm, bettelarm machen wir unsere Seele, wenn wir all dies selbstverständlich nehmen, als wäre es keiner besonderen Beachtung wert.
Eine wichtige Übung ist auch das Fasten. (1.Kor 7,5 / Luk 5,35) „Wo immer der Christ erkennt, dass er in seinem Dienst versagt, dass seine Bereitschaft erlahmt, dass er schuldig geworden ist an fremder Schuld, dass seine Freude an Gott ihm ermattet, dass die Kraft zum Gebet nicht mehr da ist, dort wird er den Angriff auf sein Fleisch unternehmen, um sich durch Übung, durch Fasten und Beten, zu besserem Dienst zu bereiten.“ (Bonhoeffer)
Auch das Fasten dient der Freiheit – es befreit von der Gängelung durch körperliche Bedürfnisse, von dem Wahn, dass körperliche Bedürfnisse wichtiger sind als die Bedürfnisse der Seele. Die Bibel sagt nicht, dass regelmäßig gefastet werden muss. Die Regelmäßigkeit von Übungen kann eine Hilfe sein. Für andere Gläubigen, die sich dadurch leicht unter Druck gesetzt sehen, mag es hilfreicher sein, körperliche und andere Bedürfnisse immer wieder eine Zeitlang vor sich her zu schieben. Es ist wichtig zu erkennen, dass es bei den Übungen nicht um ein neues Gesetz geht, gegen das man nicht straflos verstoßen kann, sondern um praktische Hilfen mit dem Ziel, sich der Einstellung Jesu anzunähern. „Jesus sagte zu ihnen: »Ich habe eine Speise, von der ihr nichts wisst.« (Joh 44,32)
Eine weitere wichtige Übung ist der demütige Dienst am Nächsten. Es gibt auch ein scheinbares, fleischliches, gönnerhaftes „Dienen“, mit dem man nach der Bewunderung anderer strebt, mit dem man sich über den Bruder stellt, der es ja nur bis zum Habenichts gebracht hat, ein Dienst, mit dem man sich selber das „Niveau“ seiner Frömmigkeit bestätigt. Diese Art „Dienst“ ist fruchtlos und vergeblich. (Mt 6,2 / 1.Kor 3, 12-15 / 13,1-3 )
„Wer lernen will zu dienen, muss zuerst lernen, gering von sich zu denken“ (Bonhoeffer) Er muss erkannt haben, dass auch er selbst alles, was er hat, von Gott geschenkt bekommen hat. „Besitzt du etwa irgendetwas, was du nicht von Gott geschenkt bekommen hast? Wenn du es aber geschenkt bekommen hast, darfst du dich dann damit brüsten, als ob du es nicht geschenkt bekommen hättest?“ (2.Kor 4,7) Jesus hatte sich eine Schürze umgebunden und seinen Jüngern die Füße gewaschen (Jo 13,5 ff) Indem er ihnen, obwohl sie unbedeutende einfache Menschen waren, Wertschätzung und Respekt erwies, gab er ihnen ein Vorbild für den demütigen Dienst am Nächsten. „Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor.“ (Rö 12,10) Diese Ehrerbietung beruht auf Einsicht. Gott hat die zu seinen Freunden „erwählt, die in den Augen der Welt gering sind“ (1.Kor 1,26-29) und „hat sie zu Königen und Priestern gemacht„. (Offb 1,6) Gibt es eine höhere Würde? Nur mit dieser Sichtweise, nur mit diesem Respekt kann man dem Nächsten wirklich so dienen, dass es Gott gefällt.
Bonhoeffer hat vier wichtige Aspekte des Dienens beschrieben. Der erste Dienst ist das aufmerksame und demütige Zuhören. Gott kann das Wort des Bruders gebrauchen, um zu uns zu sprechen. Zum anderen sucht der Bruder auch Gottes Wort bei uns, benötigt fundierte Wegweisung und Ermutigung. Damit wir seine Situation nachvollziehen können, müssen wir aufmerksam zuhören. „Wer aber seinem Bruder nicht mehr zuhören kann, der wird auch bald Gott nicht mehr zuhören, sondern wird auch vor Gott immer nur reden. Hier fängt der Tod des geistlichen Lebens an, und zuletzt bleibt nur noch das geistliche Geschwätz. … Wer nicht lange und geduldig zuhören kann, der wird am Anderen immer vorbeireden und es selbst schließlich gar nicht mehr merken.“ (Bonhoeffer)
Der zweite Dienst besteht in der tätigen Liebe gegenüber dem Nächsten, in der Bereitschaft, ihm gerne in seinen Nöten und Problemen zu helfen. Voraussetzung ist, dass „dass wir unsere Hand nicht schonen, wo sie einen Dienst verrichten kann, und wir unsere Zeit nicht in eigene Regie nehmen, sondern sie von Gott füllen lassen“. (Bonhoeffer) Wer bereit ist, „den Willen des Nächsten für dringlicher zu halten als den eigenen“ der nimmt teilt am Leben des anderen, nimmt auch teil an seiner Freude und an dem Segen, mit dem er beschenkt wird.
Es ist hier angebracht darauf hinzuweisen, dass sich tätige Liebe nicht mit dem vielerorts empfohlenen Geben des Zehntens in eine anonyme Kasse begnügt. Jesus war es sehr wichtig, dass seine Nachfolger ihre Freunde bevorzugt aus dem Kreise der Bedürftigen wählten. »Zu einem Essen solltest du nicht nur deine Freunde, Geschwister, Verwandten oder die reichen Nachbarn einladen. Sie werden dir danken und dich wieder einladen. Dann hast du deine Belohnung schon gehabt.“ (Luk 14,12) Er fordert gerade zu auf, Freundschaften auf diese Weise zu begründen: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon.“ (Luk 16,9) Es ist nicht gut, wenn Christen solche persönlichen Kontakte vermeiden aus Angst, irgendwann um Hilfe gebeten zu werden. Jesus möchte, dass seine Jünger zum Mitgefühl und zur spontanen Hilfeleistung fähig sind, und dass ihnen Menschen wichtiger sind als die Wahrung des Besitzstandes. Bei einer anonymen Abbuchung eines Spendenbetrages bleibt häufig das Herz unbeteiligt, umso mehr wenn diese Abgabe vorrangig im eigenen Interesse der Gewissensentlastung geschieht. Das Herz kann dennoch hart werden, sodass dem Gläubigen der Mangel an Mitgefühl gar nicht mehr bewusst wird. Dies wird uns eindrücklich durch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter vor Augen geführt. Priester und Levit, beides Leute, die gewohnt sind, mit Geld zum Bau des Reiches Gottes umzugehen, versagen im akuten Notfall. Sie überlassen den Verletzten, an dem sie nahe genug vorbeikommen, um ihm helfen zu können, sich selbst. (Luk 10,30 ff)
Zur tätigen Liebe gehört auch die Treue in der Fürbitte. Fürbitte ist eine wichtige Arbeit, für die der Gläubige sich angemessen und ausreichend Zeit nehmen sollte. Manchmal werden uns Menschen direkt bitten, für sie zu beten. Aber auch Gott selbst kann uns andere Menschen oder besondere Anliegen zeigen, für die wir beten sollen. Es empfiehlt sich, eine Gebetsbüchlein oder eine Gebetsliste zu haben, um keinen zu vergessen oder zu übergehen. Wir bitten für unsere Freunde, wie wir für uns selber bitten. Sie sollen sich auf unsere Fürbitte verlassen können. Die Fürbitte hilft uns wichtige Details aus der Perspektive des Nächsten zu sehen und Anteil an seinem Leben zu nehmen. Sie hilft dem Nächsten, da er weiß, dass sein Anliegen von anderen Betern mitgetragen wird. Wenn die Bitte erhört wird, so haben die Beter an der Freude des Beschenkten Anteil.
Besonders notwendig ist die Fürbitte, wo Menschen uns Not machen. Wir können darum bitten, dass wir unseren Anteil an dem Konflikt erkennen und ausräumen, dass wir das rechte Wort zum Herzen des anderen finden, dass Selbsterkenntnis und Einsicht auf beiden Seiten entsteht, dass wir dem Nächsten gerne vergeben, was er an uns gesündigt hat. Selbst dort wo wir mit Unbarmherzigkeit und Bosheit konfrontiert sind, können wir immer noch beten, dass das Böse aufgedeckt und Gelegenheit zur Umkehr geschenkt wird. Wir brauchen den Bösen nicht zu hassen und zu richten, sondern wir können ihn in der Fürbitte segnen, um dann alle destruktiven Gedanken loszulassen und ganz an Gott abzugeben.
Der dritte Dienst besteht im „Tragen“ des anderen. „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gebot Christi erfüllen.“ (Gal 6,2) So wie Jesus die Menschen mit ihren Überzeugungen, Eigenarten und Schwächen liebte und nicht auf sie herabsah, so sollen es auch seine Jünger tun. Auch sie sollen dem anderen die Freiheit lassen, zu sein wie er ist, ohne an ihm herumzunörgeln und zu erwarten, dass er sich an ihre Erwartungen anpasst und sich zu ihrem „Niveau“ hinauf bemüht. „Wir begehen alle in vielfacher Weise Fehler.“ (Jak 3,2) „Richtet nicht über andere, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ (Mt 7,1) So wie wir selbst froh sind, wenn auf unsere Fehler nicht mit Härte reagiert wird, so sollen auch wir barmherzig und großzügig mit unserem Nächsten sein. In einer Gemeinschaft ist es gar nicht zu vermeiden, dass wir einander – selbst wenn wir es nicht wollen – durch Unachtsamkeit und Übereilung verletzen. Dennoch sollen Jünger Jesu die Unzulänglichkeit des Nächsten geduldig ertragen und gerne vergeben. „Vergib uns unsere Schuld, so wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ (Mt 6,12) Die Aufgabe, gerne zu vergeben hebt indes nicht die Notwendigkeit auf, sich in der Gemeinde für das Recht, für Gefahrenprävention, und für angemessenen Schadenausgleich einzusetzen.
Der vierte Dienst ist das Mitteilen des Worts. „Es geht hier um die in der Welt einzigartige Situation, in der ein Mensch dem anderen mit menschlichen Worten den ganzen Trost Gottes und die Ermahnung, die Güte und den Ernst Gottes bezeugt“ (Bonhoeffer) Glaubwürdig und hörenswert ist dieses Zeugnis nur dann, wenn der Verkündende keine eigene Autorität beansprucht, sondern sich zuvor selbst unter die Autorität des Wortes gestellt hat und wenn er demütiges Zuhören, Helfen und Vergeben praktiziert. „Echte geistliche Autorität gibt es nur, wo der Dienst des Hörens, Helfens, Tragens und Verkündigens erfüllt wird. Jeder Personenkult, der sich auf bedeutende Eigenschaften, auf hervorragende Fähigkeiten, Kräfte, Begabungen eines Anderen – und seien sie durchaus geistlicher Art – erstreckt, ist weltlich und hat in der christlichen Gemeinde keinen Raum, ja vergiftet sie.“ (Bonhoeffer)
Nur in dieser Haltung kann man dem Bruder die Beichte abnehmen – eine weitere wichtige Übung. Böse Taten, Gedanken und Motive können den Gläubigen belasten und beherrschen, ohne dass es andere Menschen bemerken. Das Böse bringt eine Distanz zwischen den Gläubigen und die Gemeinschaft – auch wenn es verborgen ist. Diese Eigenschaft des Bösen wird in dem Wort „Sünde“ abgebildet: es stammt aus dem alten Wort „Sund“, das „trennender Graben“ bedeutet. Das Bekennen der Sünde schafft eine Distanz zur Sünde, nimmt ihr die Kraft und stärkt das gegenseitige Vertrauen in der Gemeinschaft. Die Beichte sollte nie einseitig sein. Jeder Gläubige, der die Beichte abnimmt, sollte sie deshalb immer auch selbst in Anspruch nehmen. Dann kann er dem bekennenden Bruder in der Autorität Jesu die Vergebung der Sünde zusagen. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünde vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit,“ (1.Joh 1,7) „Wo die Sünde gehasst, bekannt und vergeben ist, dort ist der Bruch mit der Vergangenheit vollzogen. … Wo aber mit der Sünde gebrochen ist, dort ist Bekehrung. Beichte ist Bekehrung…. Die Beichte ist nicht notwendig zum Heil, aber göttliche Hilfe zur Heilsgewissheit“ (Bonhoeffer).
Wenn der Gläubige die Haltung des demütigen Dienens einnimmt, dann wird ihm auch die Teilnahme am Gottesdienst und an der christlichen Gemeinschaft zum Segen.
Die christliche Gemeinschaft beruht nicht auf Sympathie oder Antipathie, auf gemeinsamen Interessen und Ansichten. Alle Mitglieder sind als begnadigte Sünder in diese Gemeinschaft gerufen. Ihnen allen wurde der heilige Geist geschenkt. Der Geist macht aus ihnen Glieder eines Leibes, dessen Haupt Christus ist. Die Mitglieder sind berufen, den schwachen Gliedern besondere Fürsorge und Wertschätzung entgegenzubringen. „Es kann das Auge nicht sagen zur Hand: Ich bedarf dein nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich bedarf euer nicht. Sondern vielmehr ist es so: die Glieder des Leibes, die wir als die schwächsten betrachten, sind die nötigsten; und die Glieder, die wir für weniger ehrbar halten, umgeben wir mit desto größerer Ehre… Denn die ehrbaren Glieder brauchen das nicht. Aber Gott hat den Leib so zusammengesetzt und dem dürftigen Glied am meisten Ehre gegeben, damit der Leib nicht zerrissen sei, sondern die Glieder füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ (1,Kor 12,22-26)
Das ist etwas völlig anderes als eine fleischlich-menschliche Gemeinschaft mit seelisch-gruppendynamischen Prozessen, in der man vom anderen die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse erhofft bzw. Menschen an sich bindet. „Wer mehr haben will, als das, was Christus zwischen uns gestiftet hat, der will nicht die christliche Bruderschaft, der sucht irgendwelche außerordentlichen Gemeinschaftserlebnisse, die ihm anderswo versagt blieben, der trägt in die Bruderschaft unklare und unreine Wünsche hinein …Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft. … Wer sich das Bild einer Gemeinschaft erträumt, der fordert von Gott, von dem anderen und von sich selbst die Erfüllung. Er tritt als Fordernder in die Gemeinschaft der Christen, richtet ein eigenes Gesetz auf und richtet danach die Brüder und Gott selbst.“ (Bonhoeffer)
Was Christus „gestiftet“ und als Grund gelegt hat, kommt im Kernkanon der fünf Heilstatsachen (Fünf-Farben-Buch) zum Ausdruck, an die sich jeder Christ hält. Deswegen können Gläubige freundschaftlich miteinander verbunden sein, obwohl sie sonst ganz unterschiedliche theologische Auffassungen haben. Sie können mit Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen eine andere Ansicht vertreten, liebevoll und respektvoll umgehen.
Das Bewusstsein, zu einem Leib zu gehören, dessen Haupt Christus ist, wird durch das häufige (Apg 2,46) gemeinsame Einnehmen von Brot und Wein (Gedächtnismahl /“Abendmahl“) vertieft. „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ (Joh 6,53-56) Das Herrenmahl sensibilisiert für das Ziel der innigsten, unauflöslichen Verbundenheit mit der Person Jesu Christi und mit seiner Qualitätsmaßstäben. „Sie alle sollen eins sein, genauso wie du, Vater, mit mir eins bist. So wie du in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns fest miteinander verbunden sein. Dann wird die Welt glauben, dass du mich gesandt hast.“ (Jo 17, 21)
Die häufige Teilnahme am Gedächtnismahl ist besonders deshalb wichtig, weil ihr immer eine aufrichtige Selbstprüfung vorausgeht muss. Die Vernachlässigung dieser Selbstprüfung ist sehr schädlich, denn sie verstärkt die Heuchelei und behindert das Bemühen um innige Verbundenheit der Gläubigen, die der Welt eine Chance zum Glauben geben könnte.
Bei dieser Prüfung geht es nicht um den Nachweis möglichst weitgehender Untadeligkeit (werkgerechtes Missverständnis), sondern um einen einzigen, aber ungemein wichtigen Punkt: der Respekt vor der Würde JEDES Gotteskindes.
Prüfe dich deshalb selbst sorgfältig, ob du mit allen deinen Mitchristen würdig umgehst, d.h. ob du ihre von Gott geschenkte Würde respektiert. (1.Kor 11,17-34) Dazu gehört die Bereitschaft, allen Mitchristen grundsätzlich in einer Haltung der Barmherzigkeit und Liebe zu begegnen.
Zu Würde des Mitchristen gehört auch die Freiheit, sich über Aussagen der Bibel – auf der Grundlage der fünf Heilstatsachen – eine eigene Überzeugung nach bestem Wissen und Gewissen bilden zu dürfen. (Rö 14,12-13)
Es ist sehr schlimm, wenn Gläubige einander verletzen und ausgrenzen, bloß weil sie eine abweichende Ansicht nicht ertragen und den anderen nach ihrem theologischem Bilde formen wollen. Wenn Gläubige sich von dieser Einstellung nicht verabschieden, werden sie wohl kaum den Segen des Gedächtnismahls empfangen können.
Geistliche Übungen verschaffen dem Heiligen Geist Handlungsspielraum. Nur auf diesem Weg entsteht eine innige, vertrauensvolle Nähe zu Gott und seinem unsichtbaren Reich: „Da er aber gefragt ward von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt zu euch nicht in äußerlich erkennbarer Weise. Man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: da ist es! Ihr solltet es eigentlich wahrnehmen: das Reich Gottes ist längst mitten unter euch.“ (Luk 17,20-21) Gott kommt ganz nah. (Jak 4,4) Auf diesem Weg entsteht Glaubensgewissheit.
Das Fürwahrhalten und Nachplappern von Dogmen kann geistliche Übungen nicht ersetzen. Die Bibel bemüht sich mit einigem Aufwand, Gläubige vom nur-theoretischen Kopfglauben abzubringen. Eben dazu können ihre Problemstellen vortrefflich dienen.
Dieser Text schöpft aus der Arbeit von Ruth Möller, "Nachfolge jenseits von billiger Gnade und Werkgerechtigkeit", sowie aus Bonhoeffers Werken "Nachfolge" und "Gemeinsames Leben".
Lieber Hans Georg,
Warum habe ich mich auf den Aufsatz von Ruth Möller bezogen?
Die erste These im Schlusskapitel 5.4. („Nur der Gehorsame hat den Glauben der rettet“), ist sehr problematisch und hat mich bestimmt nicht dazu bewogen. Meine Erfahrungen mit diesem Lehrsatz sind sehr negativ.
Einerseits speist sich daraus sehr leicht bei engagierten Christen eine Art Narzismus, (den Jesus ja auch im Gleichnis vom Phaisäer und Zöllner anspricht) eine übersteigerte Selbstwahrnehmung
„wir sinds, wir hams, wir sind der Maßstab“, zum anderen der ständige und gut begründete (!) Zweifel an der Errettung. Gerade bei jungen Menschen mit wenig Selbstreflexion kann hier eine sehr unglückliche charakterliche Entwicklung ihren Anfang nehmen. Es ist m.E. unerlässlich, zusammen mit der Bibellehre auch über solche Risiken zu informieren.
Dieses Entweder-Oder kann ich nur als Aufruf sehen, sich falscher Lebensziele rechtzeitig bewusst zu werden. Als Maßstab zur Selbstbeurteilung taugt es wenig.
These 4 und 5 haben mich indes am stärksten angesprochen: Sie entsprechen Jak 4,4: „Nahet euch zu Gott, so naht er sich zu euch.“
Wie können wir diesem Wunsch Gott nahe zu sein, Ausdruck und Nachdruck verleihen? Geistliche Übungen sind ein praktischer Weg, eine Hilfe, aus der Ablenkung und Verzettelung und aus dem Gefangensein im eigenen Ego hinauszufinden und fördern das Streben nach nach einer tieferen, herzlichen Gottesbeziehung und damit dem Wachstum der Geistesfrüchte: Frieden und Freude.
Ein Mensch mit weltlicher Gesinnung hat den Wunsch, Gott nahe zu sein, nicht. Er pflegt die völlige Gedankenlosigkeit gegenüber Gott: sein ganzes Denken ist von irdischen Dingen bestimmt: sie aßen, sie tranken und heirateten… (Mt 24,38)
Bei Christen kann weltliche Gesinnung – wie aus eigener Erfahrung zu bezeugen ist – leider auch eine fromme Form annehmen, wenn nämlich das fromme Tun der Förderung des eigenen Egos (Rechthaberei, Überlegenheitsgefühle, Streben nach Einfluss) dient. (1.Kor 3,3 ) Infolge der frommen Tarnung sind solche Fehlentwicklungen sehr langlebig.
ich habe inzwischen die PDF-Datei von Ruth Möller „Nachfolge jenseits von billiger Gnade und Werksgerechtigkeit“ aufmerksam gelesen; sie ist ja sehr Bonhoeffer-zentriert. Da ich gleichzeitig ohne Berührungsängste „Wahre Jüngerschaft“ von William MacDonald lese (hatte ich im Telefonat erwähnt), fiel mir die Verwandtschaft beider Inhalte auf.
Zu MacDonald hast Du Dich nicht positiv geäußert. Geht man von ihm – meines Erachtens aber auch von Bonhoeffer aus – dann finden nur echte Jünger den Eintritt ins Himmelreich. Namenschristen, törichte Jungfrauen usw. ist „Gschmoaß“ (letzteres ein bayerischer Kraftausdruck). Da gibt es dann so jede Menge Veröffentlichungen aus dem Zwischenraum zwischen billiger Gnade und Noch-Nicht-Jünger-Sein und trotzdem gerettet. Das ist für mich nach wie vor nebulös und unser gemeinsames Gespräch am Sonntag führte auch nicht zur Entdeckung des Patentrezepts. Da muss wohl jeder seinen eigenen persönlichen Weg gehen, darin sind wir beide uns ja, glaube ich, einig.
Ich dachte über Dein Motiv nach, warum Du damals den Artikel von Ruth Möller in Deine Seite (unter dem Titel „Wach bleiben ?“) reingesetzt hast. Sicherlich nicht wegen seiner fundamentalistischen Tendenzen, nehme ich an. Was also waren Deine Beweggründe (wenn Du das noch weißt)
Noch eine Frage: Wie würdest Du Weltlichkeit definieren – in kurzen Worten ?