Spirituelle Disziplin

Alles Gute kann missbraucht werden, auch die Freiheit zum ehrlichen Austausch. Das Motiv für die Prüfung von Aussagen in der Bibel und in der Bibellehre sollte Liebe und Verantwortungsgefühl sein. Erfahrungsgemäß kann das Prüfen, Fragen und Kritisieren auch aus anderen Gründen geschehen. Es ufert dann aus und wirkt glaubensschädigend. Deshalb erscheint es sinnvoll, Grundsätze der spirituellen Disziplin festzulegen, um Gedanken abzuwehren, deren Unfruchtbarkeit offensichtlich ist.  „Wir disziplinieren das menschliche Denken und unterstellen es Christus.“ (2.Kor 10,5). Die von uns genannten Grundsätze sind natürlich nur Provisorien, die im Austausch sicherlich noch verbessert werden können.

Um den Austausch zwischen kritischen und traditionellen Standpunkten lebendig zu erhalten, erscheint es sinnvoll, die Prinzipien spiritueller Disziplin alle an einen Bibelvers zu binden, der von Theologen sehr häufig als fundamentale Definition biblischer Inspiration betrachtet wird.

Denn alle Schrift, die von Gott eingegeben ist, /  ist nützlich / zur Lehre, zur Warnung, zur Korrektur, / zur Erziehung in der Gerechtigkeit, / damit ein Mann Gottes vollkommen sei und geschickt für jedes gute Werk. (2.Tim 3,16)

Die Beachtung der fünf Prinzipien spiritueller Disziplin soll dem Schutz vor unangemessener Egozentrik dienen, die die Auslegung der Bibel korrumpieren könnte. Es sind folgende:

Prinzip 1: Spirituelles Ziel. “Alle Schrift… ist von Gott eingegeben … … damit…” Der Glaube beginnt nicht beim Gläubigen. Die Bibel stellt Jesus als Initiator des Glaubens vor. Er ist dessen „Anfänger und Vollender„. (Hebr 12,2) Der Kern der neutestamentlichen Botschaft: nicht der Mensch hat Gott erwählt, und seine Gnade mit religiösen Übungen und Werken erworben, sondern Gott erwählt ihn, um ihn zum Segen für andere Menschen zu setzen. (Joh 15,16)

Auch wenn Gott ein verborgener Gott ist (Jes 45,15) – Er will sich finden lassen (Jer 29,13-14) ! Wäre dieser Wille nicht da, wäre dieser Wille nicht entschlossen genug, was würde dann entstehen ? Nur eine Weltanschauung, eine religiöse Projektion (Feuerbach), die der Spiegel der religiösen Bedürfnisse des Menschen ist.

Gottes Worte sind mit einer Absicht verbunden, nämlich den Gerufenen zum Segensträger zu machen, zu einem Menschen mit Charakter, der aufrichtige Liebe als höchstes Ziel erkennt und erstrebt.(1.Kor 13)

Diese Absicht weckt und festigt das tiefste Vertrauen in der Seele des Gläubigen.

Die Auslegung der Heiligen Schrift kann deshalb kein anderes Ziel haben. Nur dann ist JEDES WORT darin lebensfördernd. (Mt 4,4)

Die Bibel warnt davor, dass es Auslegung gibt, die nicht dieses Ziel hat und deshalb schädlich ist. Eine Auslegung, die sich nicht die Liebe als höchstes Ziel setzt, ist nicht durch Gott autorisiert – auch wenn sie sich auf den „Buchstaben“ (2.Kor 3,17) berufen kann.

Deshalb verwerfen wir jede Auslegung, durch die sich der Mensch der heilsamen Autorität Gottes zu entziehen versucht. Wir bleiben vor Missdeutung geschützt, wenn wir jede Auslegung verwerfen, die gemessen am Maßstab der Liebe unglaubwürdig ist. Wir bekennen, dass jede Auslegung irreführend ist, die Gott als zweideutige Persönlichkeit darstellt und die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit Gottes untergräbt.

Prinzip 2: Spiritueller Nutzen. “Alle Schrift … ist nützlich”. Wir können die Bibel nur dann im Sinne Jesu verstehen (1.Kor 2,16), wenn wir in erster Linie nach der spirituellen Funktion, dem Nutzen eines Bibeltextes zur Förderung des inneren Menschen fragen. Wir verwerfen jede Auslegung, die diesen Nutzen als zweitrangig betrachtet und die sich von fragwürdigen Motiven leiten lässt wie dem Mangel an Demut vor Gott, dem Wunsch nach intellektueller Überlegenheit, oder die dem Erwerb von Beliebtheit durch Anpassung an den Zeitgeist innerhalb oder außerhalb der Gemeinde dient. Wir verwerfen jede Auslegung, die die Maßstäbe Christi vorrangig auf das private Wohlergehen bezieht und über den Schaden, der der Gemeinde und ihrer Glaubwürdigkeit dadurch entsteht, hinwegsieht.

Prinzip 3: Spirituelle Priorität. “gegeben… zur Warnung, zur Korrektur”. Um die Bibel im Sinne Jesu zu verstehen (1.Kor 2,16), müssen wir die absolute Priorität der Qualitätsstandards Jesu respektieren: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit (Mt 23,23). Wir verwerfen deshalb jede Auslegung, die diese Priorität in Zweifel zieht oder sie teilweise aufzulösen versucht. Wir verwerfen die falsche Lehre, dass diese Maßstäbe zweitrangig sind gegenüber einer angeblichen Pflicht zur blinden Unterwerfung oder zu sklavischen Gehorsam gegenüber dem Buchstaben. Wir bekennen, dass sie unverzichtbare Kennzeichen der Liebe sind, die selbst von Jesus das höchste Gebot genannt wird (Mt 22:36-40). Wir bekennen, dass der Gläubige, sofern er sein Verhalten an diesem Gebot ausrichtet, befähigt ist, darüber zu urteilen, was barmherzig und gerecht ist (1.Kor 2,15) und dass kein Theologe und kein Vertreter irgendeines Dogmas das Recht hat, ihn zu zwingen, gegen sein Gewissen zu reden oder zu handeln. Wir bekennen, dass der Gläubige, der sich an den Qualitätsstandards Jesu orientiert, autorisiert und qualifiziert ist, falsche Prioritäten in der christlichen Lehre zurückzuweisen.

Prinzip 4: Spirituelle Qualität. “…zur Erziehung in der Gerechtigkeit” Wir bleiben vor Missdeutung der Bibel geschützt, wenn wir von jeder Auslegung verlangen, dass sie sich dem freien Wettbewerb der Argumente stellt und dort Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft beweist. Wir verwerfen jede Auslegung, die den Gläubigen zu einer selektiven Auswertung des biblischen oder seelsorgerlichen Befundes verpflichten will oder andere unfaire oder unredliche Methoden benutzt. Wir bekennen, dass jede Auslegung gebunden ist an das pädagogische Ziel, dem Gläubigen auf dem Weg zu spiritueller Mündigkeit und Reife weiterzuhelfen und ihr Urteilsvermögen zu stärken. Wir verwerfen jede Auslegung, die dazu dient, das Urteilsvermögen zu schwächen und blinde Gläubigkeit gegenüber Gemeindeleitern oder Theologen zu erzeugen. Wir bekennen, dass verantwortbare Auslegung die Liebe zu Gerechtigkeit und Recht erweckt, nicht nur in der persönlichen Lebensführung, sondern auch im Gemeindeleben. Wir bekennen, dass sie die Gemeinde fähig macht, sich von böswilligen Mitgliedern zu trennen (“Gemeindezucht“) und auch die Weisungsbefugnis entsprechend der spirituellen Autorität entsprechend zu vergeben. Wir verwerfen jede Auslegung, die Autoritätsansprüche unterstützt, die durch den spirituellen Zustand nicht gerechtfertigt sind.

Prinzip 5: Spirituelle Aufgabe. “damit ein Mann Gottes vollkommen sei und geschickt für jedes gute Werk”. Wer Gläubige im Auftrag Jesu belehrt, wird die Aufmerksamkeit zu ALLEN Aufgaben lenken, die die Heilige Schrift dem Gläubigen als relevant  für die Förderung des inneren Menschen vorstellt. Dazu gehört nicht nur der liebevolle Umgang mit dem Nächsten, sondern auch die Aufgabe, vorausschauend für den Schutz des Schwachen in der Gemeinde vor Missbrauch und Unrecht zu sorgen. Wir distanzieren uns von jeder Belehrung, die zu einer hartnäckigen Vernachlässigung dieser Aufgaben beiträgt. (Jak 4,17)

 

Artikel aktualisiert am 27.08.2023

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