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Ein Mensch, der sich in einer Glaubensgemeinschaft für den Glauben an Jesus Christus entscheidet, wird oft mit einzigartigen Erlebnissen beschenkt, die er zuvor nie gekannt hatte: völlige Befreiung von Schuldgefühlen, Gefühle der Privilegierung und Erwählung zum Freund Gottes, Verschwinden jeglicher Zukunftsängste.
Das ist eine bisher nie gekannte Anhäufung von Glückserlebnissen, die eine ungeheure Erleichterung, geradezu einen Rausch des Glücklichseins erzeugen können. Die innere Befreiung, die damit verbunden ist, lässt die eigenen materiellen Bedürfnisse zum ersten Mal nebensächlich erscheinen. Eine ganz neue Welt tut sich auf, in der die Fixierung auf eigene Bedürfnisse als Verlust erscheint und mit dem Bedürfnis konkurriert, empfangene Liebe an den Nächsten weiterzugeben. Eine unglaublich schöne und für das ganze Leben sinnstiftende wertvolle Erfahrung. So einzigartig ist dieses nie gekannte Befreiungserlebnis, dass es nicht schwerfällt, hierin eine Berührung mit Göttlichem, eine wahrhaft spirituelle Erfahrung zu sehen.
Dieses Glückserlebnis ist mit einem Entschluss verbunden, von nun an den Heilsverheißungen Gottes zu vertrauen. Diese Heilsverheißungen gelten im Rahmen einer freundschaftlichen Vertrauensbeziehung zu Gott. Um den Erhalt dieser Beziehung hat sich der Gläubige fortan zu bemühen, um die geschenkte Glaubensfreude zu bewahren. Er ist aufgerufen, sich auch in Zukunft von falschem, schuldhaften Verhalten zu distanzieren („Nachfolge„), um Gottes Vergebung immer wieder neu in Anspruch zu nehmen, wodurch die ursprüngliche Glaubensfreude wiederhergestellt wird.
Bei oberflächlichem Bibelwissen fällt diese Verpflichtung nicht schwer. Der evangelikale Mainstream heute lehrt und beachtet eine Minimalethik, die sich eher am Niveau der Zehn Gebote orientiert als an der Bergpredigt Jesu. Nicht stehlen, nicht ehebrechen, nicht betrügen, dem Nächsten nicht schaden, Gottes Namen nicht missbrauchen – noch ergänzt um das alttestamentliche Gebot, den Zehnten zu spenden sowie die Verbote der Abtreibung und Pornografie, Verbote indes, die nicht in Bibeltexten explizit formuliert werden, sondern durch Auslegung von Ps 139,15-16 sowie Mt 5,28-29 begründet werden.
Es ist nachvollziehbar, dass das unbegrenzte vorbehaltlose Vertrauen, das Glaubensanfänger gelernt haben, Gott entgegenzubringen, auch auf die Bibellehrer übertragen wird, die das Bekehrungserlebnis durch ihre Predigt vermittelt haben.
Durch viele Bibellehrer, die ihre Ausbildung in einer „bibeltreuen“ Einrichtung erhalten haben, werden Glaubensanfänger nun traditionell belehrt, dass all diese wunderbaren Gefühle des Bekehrungserlebnisses aufs engste mit dem Glauben an eine unfehlbare, irrtumslose Bibel verbunden sind. Wer nicht allen Bibelworten zustimme, sei als Zerstörer und Feind des Glaubens, als Verführer und Bote Satans unterwegs.
Wenn diese Behauptung zutrifft, dann wären also bekannte Persönlichkeiten des Christentums wie Martin Luther z.B., Dietrich Bonhoeffer und Adolf Schlatter „Feinde des Glaubens“ gewesen? Denn sie alle nahmen an manchen Stellen der Bibel allzu menschlichen Einfluss wahr. Wie kann das sein? Sind es nicht alles Gläubige gewesen, die einen starken Glauben hatten? Und außerdem hatten sie etwas, was die meisten Gläubigen heute nicht haben: gründlichste Kenntnis der Bibel! Der Gläubige heute hat diese umfassende Kenntnis in der Regel nicht mehr.
Offenbar lässt sich die lebendige Kraft der Gottesworte auch ganz unabhängig vom Dogma biblischer Fehlerlosigkeit erfahren. (Ps 107, 20 / Joh 15,3 / 1Kor 1,18). Missionare haben die Erfahrung gemacht, dass lebendiger Glaube bereits durch die gläubige Annahme von fünf grundlegenden Informationen entsteht: den „Heilstatsachen„.[1] Ein Christ kann diese Informationen mit Hilfe eines kleinen Buches, das fünf verschiedenfarbige Seiten enthält, an einen anderen Menschen weitergeben, sodass dieser ebenfalls Christ werden kann. Es enthält eine schwarze, eine rote, eine weiße, eine grüne und eine goldene Seite, die jeweils eine geistliche Bedeutung haben. Buchstaben braucht es in diesem Buch nicht zu geben.
Um diesen Glauben kräftig und gesund zu erhalten und die Nähe Gottes zu spüren, genügt es, die empfangene Liebe weiterzugeben. Wer gerne selbstlos für einen anderen Menschen da sein kann, der ihm konkret wenig nützt, hat ein großes Geschenk von Gott erhalten. Und wer sich von dieser Liebe leiten lässt, gewinnt geistliches Urteilsvermögen und erkennt auch die Autorität der biblischen Aussagen, die seinem spirituellen Wachstum dienen können.
Was sind nun die Vorteile des Dogmas einer fehlerlosen Bibel, das evangelikalen Gläubigen heute ganz selbstverständlich als unentbehrlich präsentiert wird? Es dient vor allem dazu, die Hierarchie enorm aufzuwerten, die sich nun als Verteidiger des „rechten Glaubens“ profilieren kann. Zwar ist echter Glaube unzerstörbar (Joh 10,28 / 1Joh 4,4 / 5,18), doch durch die ständig geschürte Angst, den Glauben zu verlieren, werden Gläubige blind gemacht für die materiellen Interessen der Hierarchie und auch blind für charakterliche Fehlentwicklungen, die mit dieser Sichtweise verbunden sind.
Von dem umfassenden Prüfungsrecht, das die Bibel jedem Christen auch heute zugesteht (1Kor 2,15-16), und das Jesus seinen Jüngern zugestand (Joh 8,46), erfahren evangelikale Gläubige nichts. Wie sollen es die Gläubigen je erfahren, wenn bereits die Überprüfung als Versuchung gelten soll? Wie soll sich dann geistliches Urteilsvermögen entwickeln?
Leider ist es in evangelikalen Gemeinde der Normalzustand, dass Gläubige sowohl in der Bibelkunde als auch im Fach Kirchengeschichte traditionell auf einem äußerst schlechten Informationsstand sind und auch bleiben sollen.
Es gibt zu denken, dass dieser schlechte Informationsstand von der Mehrzahl der Gläubigen als wünschenswert angesehen wird. Das passt doch mit der Verkündigung, dass jeder Satz in der Bibel wertvolles und hilfreiches Gotteswort ist, sehr schlecht zusammen. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Denn wenn Gläubige im Laufe der Jahre die Bibel doch gründlicher lesen sollten, dann ist damit zu rechnen, dass Verunsicherung und Befürchtungen aufsteigen, ob man nicht vielleicht selbst hinter den Normen, die das Neue Testament dem Gläubigen setzt, zurückbleibt und Bestrafung zu fürchten hat. So mancher ahnt, ja befürchtet eines Tages, dass die anfängliche Auffassung von „Nachfolge“ als Minimalethik nicht ausreichen könnte [2] und dass man dann zu den Leuten gehört, die nur „Herr, Herr“ zu Jesus sagen, die aber vom Eintritt in den Himmel ausgeschlossen werden, weil „sie nicht alles getan haben, was Jesus verlangt hatte.“ (Mt 7,22)
Auf die ursprüngliche Glaubensfreude wirkt dieser Eindruck natürlich stark bremsend. Wie kann der Gläubige aus diesem Dilemma herausfinden? Die Behauptung, dass es keinen lebendigen Glauben ohne die Annahme einer fehlerlosen Bibel gäbe, erzeugt so große Verlustängste, dass für die Entwicklung von Selbstreflexion und Urteilsvermögen kaum noch Raum ist. Die weitgehende Abwertung des Verstandes hat zu einer gedankenlosen Übernahme von Behauptungen des religiösen Umfelds geführt. Widersprüche und Ungereimtheiten in der Gemeindetradition stören nicht mehr, sie geben keinen Anreiz mehr, nachzuprüfen, werden sogar gar kaum noch wahrgenommen.
Leider ist auch das erwünscht. Je unselbständiger die Gemeinde im Urteilen, desto abhängiger und beeinflussbarer wird sie. Das Nachdenken über Glaubensfragen wird nahezu vollständig an die Bibellehrer, „die es ja studiert haben“, delegiert. Es schmeichelt dem Selbstbewusstsein bzw. dem Narzissmus mancher Gemeindeleiter, wenn die Gläubigen sie als eine über jeder Kritik stehende Autorität ansehen und ihnen quasi „alles aus der Hand fressen“.
Je klarer die Wahrnehmung der eigenen Defizite in der „Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird“ (Hebr 12,14), umso größer wird das Bedürfnis, sich gegenüber Nichtchristen und Gottlosen zu profilieren. Indem man sich deutlich zum Glauben an die Unfehlbarkeit der Bibel „bekennt“, kann man einen „Heiligkeitsvorsprung“ gegenüber allen anderen, besonders gegenüber den Nichtgläubigen erwerben, die diese „Leistung“, dieses „Vertrauen“ nicht aufzuweisen haben.
Dem Neuen Testament ist dieser Gedanke fremd. Die herzliche Liebe ohne Berechnung, eben das Wunder, das am Beginn des Glaubenslebens stand, ist das Kennzeichen echten Glaubens und soll es auch bleiben (Joh 13,34 / 1Joh 4,7+12 / Offb 2,4).
Ein Bibelzitat wird jedoch gerne gebraucht, um diese fragwürdige Strategie zu bestätigen: „Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und glaubst in deinem Herzen, …, so wirst du gerettet.“ (Rö 10.9)
Die rettende Wirkung scheint noch größer zu sein, wenn man nicht nur an die Totenauferweckung Jesu glaubt, sondern an „ausnahmslos alles, was in der Bibel steht.“ Diese Behauptung ist der Grund, warum es so viele unehrliche Bekenntnisse zur Unfehlbarkeit aller Bibeltexte gibt, warum Gläubige sich entsetzt die Ohren zuhalten, sobald bessere Argumente kommen.
Hätte Jesus auch so auf gute Argumente reagiert? Oder die Apostel?
Dass bessere Argumente kommen, ist unvermeidlich, da es – gottlob nur selten – in der Bibel eindeutig destruktive Sätze gibt, Sätze indes, die vielen Gläubigen auch nach jahrzehntelanger „bibeltreuer“ Belehrung mit der Bibel immer noch nicht bekannt sind. Wenn das Vertrauen in die Liebe Gottes und die Glaubensfreude nicht schrumpfen sollen, ist hier eigentlich – unter Berufung auf die Qualitätsmaßstäbe Jesu in Matth. 23,23 [3] – eine überzeugende Distanzierung notwendig. Die Lehre einer fehlerlosen Bibel hat dem Gläubigen hier jedoch nur den Ausweg der Verdrängung oder Ignoranz anzubieten: besser nicht dran denken. Evangelikale Christen haben gelernt, so zu reagieren und bemerken gar nicht mehr, dass dieser „Ausweg“ keiner ist, und der Glaubensfreude eher schadet als nutzt.
Zweifellos ist es ein wunderbares Erlebnis, anderen den Weg zu einer ähnlich beglückenden Gotteserfahrung zu zeigen, wodurch sich zugleich auch ein intensives Gefühl der Verbundenheit herstellt.
Dieses Geschenk wird jedoch verunreinigt, wenn dabei der Eigennutz, die Absicht frommes Selbstbewusstsein zu ernten, eine Rolle spielt. Was hat es mit Liebe zu tun, wenn zugleich in gutgläubiger Naivität die durch die Tradition andressierte Verlustangst und der Wahn einer irrtumslosen Bibel mit übergeben wird, dessen destruktive Wirkung auf den Charakter sich erst allmählich dem aufmerksamen Beobachter zu erkennen gibt?
Zunächst werden zweifellos Verlustängste gemildert, die aber gar nicht sein müssten, wenn man das im Neuen Testament verbriefte umfassende Prüfungsrecht (1Kor 2,15-16 / 1Joh 2,27 [4] ) in Anspruch nehmen würde. Wer (gottlob selten vorkommende) destruktive Bibelstellen entschuldigt, wer die negativen Aspekte im Glaubensdokument verschweigt oder verharmlost, der darf sich einigermaßen sicher fühlen.
Die Unehrlichkeit wird dabei positiv gesehen: Wer wider besseres Wissen redet, ja wer sogar lügt für Gott und für die Glaubensgemeinschaft, der bringt ja Gott seinen Verstand und seinen Gewissen als Opfer dar – so wie es auch Diktatoren von ihren Günstlingen erwarten – und darf deshalb bei Gott deutlich mehr an Anerkennung erwarten als jemand der dieses Opfer nicht erbringt. Soviel Hingabe kann doch nicht unbelohnt bleiben. Somit ist die Lüge, die Manipulation und der Selbstbetrug zu einem unverzichtbaren Bestandteil der evangelikalen Verdrängungskultur geworden.
Ist aber die Lüge unverzichtbarer Teil der etablierten evangelikalen Glaubenslehre, so hat man sich von Anfang an – ohne es zu wollen – den Satan mit an Bord geholt, den die Bibel den „Vater der Lüge“ nennt (Joh 8,44). „Ihr wisst, dass keine Lüge aus der Wahrheit kommt.„ (1Joh 2,21). Wissen das evangelikale Christen auch? Es sieht so aus, dass etablierte evangelikale Bibellehrer das leider immer noch nicht wissen, sondern offenbar davon ausgehen, dass der „heilige Zweck“ die Lüge, ja auch bisweilen Verleumdung und Geschichtsfälschung rechtfertigt.
Man will nicht wahrhaben, dass auf diese Weise vielfach das Gegenteil erreicht wird – man schreckt viele Menschen, insbesondere gründlich denkende Menschen vom Glauben ab, der ihnen unter diesen Voraussetzungen als Form der Gehirnwäsche und des Selbstbetrugs erscheinen muss.
Auch viele Christen geraten dadurch eines Tages unversehens in schwere Glaubenszweifel, da zu guter Letzt Gott als jemand erscheint, der seine eigenen guten Ordnungen sabotiert, der einerseits ein Bemühen um Wahrhaftigkeit fordert, andererseits seiner Gemeinde eine Glaubenslehre zumutet, die auf Lüge und Selbstbetrug nicht verzichten kann. Denen, die allmählich erkennen, dass die anfangs propagierte Minimalethik nicht ausreicht, können in einer Glaubenslehre, die sich mit Verdrängung angstmachender Bibelstellen behilft, immer weniger Trost finden, zumal eine ehrliche Aufklärung über glaubensstörende Bibelstellen, insbesondere über Texte im Hebräerbrief. vor denen schon Martin Luther eindringlich gewarnt hat, in evangelikalen Kreisen tabu ist.
All das würde nicht passieren, wenn man von Anfang an in Bezug auf die höchst unterschiedliche Qualität von Bibelworten ehrlich gewesen wäre und eine überzeugende Sicht der Bibel vermittelt hätte, die ohne Verdrängung und Bevormundung auskommt und dem Standard ehrlicher Augenzeugenschaft entspricht.
Die Warnung sowohl im Alten wie im Neuen Testament, dass das Lügen „für den Glauben“ BESTRAFT wird, findet kein Gehör mehr. (Hiob 13, 8-11 / Rö 3,7-8)
Wer einen Blick für echte Spiritualität entwickeln möchte, der muss lernen, fleischlich-religiöse Prozesse als solche zu erkennen. Im evangelikalen Mainstream besteht jedoch erfahrungsgemäß sehr wenig Interesse, Gläubige über religiöse Gruppendynamik aufzuklären. Für viele etablierte Bibellehrer ist es ja von Vorteil, wenn religiöse Egozentrik mit Spiritualität verwechselt wird. Sie sind in erster Linie an viel Zulauf, erfolgreicher Neuanwerbung und an frommen Massenevents interessiert, an deren Spitze sie stehen und sich als „Gottes auserwähltes Werkzeug“ profilieren können.
So kommt es zu dem paradoxen Ergebnis, dass diejenigen, die selbstbewusst zu Umkehr und Bekehrung aufrufen, selber unverbesserlich geworden sind. Die Propagierung einer fehlerlosen Bibel hat den Wunsch nach Ehrlichkeit in der Theologie in den meisten evangelikalen Gläubigen erlöschen lassen. Das unbegrenzte Prüfungsrecht des Gläubigen (1Kor 2,15-16) ist bedeutungslos geworden. Das spirituelle Urteilsvermögen ist weitgehend verkrüppelt. Die Warnungen Martin Luthers vor dem Hebräerbrief, der dem religiösen Missbrauch und der Werkgerechtigkeit Tür und Tor öffnet, sind unbekannt geblieben. Das „schriftgelehrte“ evangelikale Establishment verbittet sich jede Richtigstellung.
Dass Gott selbst den Glauben des Gläubigen bewahrt (Luk 22,32 / Phil 1,6), dass Gottes Geist den Gläubigen auch heute noch „in alle Wahrheit leiten will“ und kann (Joh 16,13) – so weit geht das Gottvertrauen nun doch nicht – Gott behüte.
Jeglicher Zweifel an der Unfehlbarkeit der Bibel gilt als gottesfeindlicher Versuch, den Glauben kaputt zu machen. Er gilt als Diffamierung der Gläubigen, als Bemühen, ihr großes Opfer von Verstand und Gewissen als in den Schmutz zu ziehen – als rückgratlose Anpassung zu diffamieren. Wer will in einer frommen Gemeinschaft in diesen Verdacht geraten? Wer Interesse an Freundschaft und Unterstützung hat, wird sich also anpassen.
Bibellehrer gar, die irgendein Wort des Zweifels an einer destruktiven Bibelstelle äußern, riskieren in den frommen Netzwerken, die für die eigene Karriere und für Massenevents so wichtig sind, einen erheblichen Vertrauensverlust. Möglicherweise müssen manche Gemeindemitarbeiter sogar um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Nicht Glaubensstärke, sondern die Sorge um die eigene Beliebtheit oder gar um die eigene materielle Existenz ist allzu oft der eigentliche Grund dafür, dass evangelikale Bibellehrer mit „unerschütterlicher Überzeugung“ am Dogma der Fehlerlosigkeit festhalten.
Sehr wahrscheinlich wäre es ganz anders gekommen, wenn man den Königsweg des Paulus hätte gehen können (1Kor 9,18), wenn man die materielle Abhängigkeit strikt vermieden hätte, wenn man sein Einkommen aus einem weltlichen Beruf beziehen und den Predigtdienst nur ehrenamtlich ausüben würde.
Das sind die Realitäten, die gewöhnlich hinter frommen Massenevents stehen, die sich gerne das Etikett der „Erweckung“ umhängen. Es wäre wirklich ein Wunder, wenn der fromme Mainstream tatsächlich einmal aufwachen und das biblische Verbot der frommen Lüge (Hiob 13, 8-11 / Rö 3,7-8) respektieren würde, wenn er anfangen würde, sich für ehrliche Rechenschaft zu interessieren und für die Wahrheit, ohne die Liebe nicht lebensfähig ist.
Wenn du deine Glaubensfreude in der ursprünglichen Kraft bewahren willst, dann halte von vornherein zur frommen Lüge Distanz, egal ob sie in der Form der Übertreibung oder Verharmlosung auftritt. Übernehme niemals Anschauungen deines Glaubensumfeldes ungeprüft, selbst wenn sie von vielen sympathisch erscheinenden Menschen vertreten werden. Halte eine gesunde Distanz zu Christen, die dich zu gedankenloser Anpassung verführen wollen. Mache dich niemals von Theologen abhängig, die manipulative Methoden verwenden und taktieren, statt ehrlich Rede und Antwort zu stehen.
Anmerkungen:
[1] https://matth2323.de/heilstatsachen/
[2] Je fleißiger die Bibel gelesen wird, desto mehr droht die anfängliche Minimalethik durch ethischen Rigorismus verschärft zu werden, sodass der Optimismus immer mehr schrumpft und durch Versündigungsangst verdrängt wird. Insbesondere der Hebräerbrief, der dem Gläubigen bereits zu Lebzeiten mit unumkehrbarer Verdammung droht, sollte er hinter der Forderung, jegliche Sünde zu vermeiden, in irgendeiner Weise zurückbleiben, macht die Abgrenzung zum werkgerechten Perfektionismus und zur Überforderung des Gewissens zu einer kaum lösbaren Aufgabe und hat somit (wie bereits Martin Luther feststellte) das Potential, der seelischen Gesundheit erheblich zu schaden.
Die neutestamentliche Ethik verlangt weit mehr als diese Minimalethik. Sie bezieht auch Unterlassungssünden mit ein ( „wer etwas Gutes zu tun weiß und tut es nicht, dem ist es Sünde“ (Jak 4,17), fordert völlige Selbstlosigkeit („wer nicht aufgibt alles, was er hat, kann nicht mein Jünger sein„(Luk 14,33), „Ihr sollt vollkommen sein, denn ich bin vollkommen“ (Mt 5,48) „Wer sündigt, gehört zum Teufel“ (1Joh 3,8). In allen Jahrhunderten seit der Zeitenwende hat die Versündigungsangst der Gläubigen eine prägende Rolle gespielt (siehe dazu auch die geschichtliche Darstellung in der Broschüre „Bibelwahrheit – Bibelwahn„), die durch Theologen immer wieder gerne neu angeheizt wurde.
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde „ersatzweise“ eine Profilierung gegenüber der nichtchristlichen Welt durch eine rigorose Sexualethik hergestellt, die unverheirateten Gläubigen durch Verbot der Masturbation eine quasi geschlechtslose Existenz auferlegte. (Siehe „Gift Nr 1 – Sexuelle Verklemmtheit ist heilig„)
[3] „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Zehnten gebt von Minze, Dill und Kümmel und betrachtet das Wichtigste im Gesetz als nebensächlich, nämlich das Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit und die Verlässlichkeit!“ (Mt 23,23)
[4] „Der vom Geist erfüllte Mensch aber beurteilt alles und sein Urteil hält jeglicher Überprüfung stand.“ (1Kor 2,15). „Und die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr habt nicht nötig, dass euch jemand belehre; sondern wie euch seine Salbung alles lehrt, so ist’s wahr und ist keine Lüge, und wie sie euch gelehrt hat, so bleibt in ihm.“ (1Joh 2,27)