Immer wieder wird im Neuen Testament auf die Möglichkeit einer spirituellen Katastrophe hingewiesen: ein unverbesserlich bösartiger Mensch kann nach seinem Ableben für unabsehbare Zeit an einem „Ort“ eingeschlossen werden, an dem die Liebe Gottes nicht mehr vorkommt.
Viele Fragen, die im Zusammenhang mit diesem Thema automatisch auftauchen, bleiben dabei unbeantwortet. Das Interesse der Jünger an Antworten war vorhanden. (Mt 19,25) Hat Jesus hier immer geschwiegen? Schwer vorstellbar, zumal diese Fragen das Gottesbild sehr ins Negative verzerren können. Doch wir erfahren nichts davon. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Von Anfang an war die Gemeinde der Anfeindung und Verfolgung ausgesetzt. Hat diese schwer erträgliche Situation ständiger existenzieller Bedrohung dazu geführt, dass am ehesten die harten Jesusworte überliefert wurden und man sich an Differenzierungen gar nicht mehr erinnerte? Hat sie vielleicht sogar zu einer Verschärfung der Formulierung geführt, um das kleine treue Häuflein zusammenzuhalten?
Das es solche Bestrebungen damals gab, ist durch den Kanon Muratori bezeugt, der die Höllenphantasien der sogenannten Petrusoffenbarung damals noch als göttlich inspirierte Schrift einordnete. Ist das Thema Hölle nur deshalb ein Glaubenshindernis, weil eine angstbesetzte fromme Ideologie die menschlichen Schreiber unfehlbarer göttlicher Worte nun ihrerseits zu unfehlbaren Übermittlern erhoben hat?
Das stärkste Argument für eine Verschärfung der Gerichtsworte Jesu, die die christliche Tradition eigenmächtig betrieben hat, stammt aus seinem messianischen Auftrag, „zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Luk 19,10). Angesichts der behaupteten Pauschalhölle, in der größte Teil der Menschheit für ewige Zeiten oder bestenfalls für Jahrtausende gefoltert wird, müsste man die Erfüllung dieses Auftrag als misslungen betrachten. (Näheres dazu siehe den Beitrag: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht„.)
Was immer geschehen sein mag: wir können nicht darauf verzichten, auch die Aussagen über die Hölle am Qualitätsmaßstab Jesu in Mt 23, 23 überprüfen. Auf dieser Basis ist es möglich, darüber nachzudenken, welche positiven Aspekte der Gedanke eines solchen „Ortes“ nach dem Tod vielleicht haben könnte.
1. Im Alten Testament ist die Hölle noch unbekannt.
2. Erst im Neuen Testament wird vor der Hölle gewarnt.
3. Die Warnung vor der Hölle ist ein unüberhörbarer Aufruf zur Selbstprüfung
4. Unzulässige Verschärfung der Warnung durch buchstabenhörige Theologie.
5. Was bedeutet „ewig“, was bedeutet „ewige Strafe“ in der Bibel?
6. Die „Unerforschlichkeit Gottes“ oder „Heiligkeit Gottes“ entschuldigt gar nichts
7. Seltsame Kriterien für den Eintritt in das Reich Gottes
8. Gute Nachricht – die Hölle betreffend !
9. Die Hölle ist Nebensache
10. Höllische Fehlschlüsse
11. Befreiende Wirkung der Hölle bei Paulus
1. Im Alten Testament ist die „Hölle“ noch unbekannt
Im Alten Testament ist die Hölle unbekannt, obwohl es bei dem Propheten Jesaja eine Andeutung in dieser Richtung gibt (Jes 66,24).
Doch hat man sich dort sicher auch schon Gedanken gemacht, was denn mit Menschen nach dem Tode geschieht. Denn das Alte Testament lehrt keinesfalls, dass mit dem Tode alles aus ist. Wer starb, wurde zu seinem Volk (5.Mo 32,50) oder “zu seinen Vätern versammelt”. Dieser Ausdruck wurde auch für ganz gottlose Menschen gebraucht (1.Kö 14,31 / 15,8). Alternativ spricht die Bibel von der „sheol“. Dieses Wort wird von Luther wiederholt falsch mit „Hölle“ übersetzt. Tatsächlich ist ein Ort gemeint, wohin alle Menschen nach dem Tod kommen, das „Totenreich“. Dass es zu einer „ewigen“ Trennung vom Volk Gottes kommen könnte, wurde hier noch nicht gesehen. Auch wird berichtet, das Henoch und Elia in die unsichtbare Welt aufgenommen wurden, ohne zu sterben (1.Mo 5,24 / 2.Kö 2,11). Wohin sind beide wohl gekommen? Wohin kommen dann die, die zeit ihres Lebens schädliche Menschen und Verächter Gottes gewesen sind?
Es erstaunt ziemlich, dass diese Fragen, die sich doch zwangsläufig stellen, im alten Testament kaum ausgeführt werden.
Besonders die Propheten haben von der Auferstehung berichtet: “Doch deine Toten werden leben, die Leichen meines Volkes werden auferstehen! Wacht auf und jubelt, Bewohner des Staubs! Du, Herr, bist wie ein belebender Tau; darum gibt die Erde die Toten heraus.” (Jes 26,19). Es geht also irgendwie weiter mit einem neuen Körper und nicht etwa als Geistwesen oder gar als unpersönlicher Bestandteil einer Weltseele. Der Prophet Daniel empfängt die Verheißung, dass er nach seiner Auferstehung sein Erbteil, eine Belohnung empfängt (Dan 12,13). Erben kann man nur als Person.
In Ps 49 wird der Gläubige aufgerufen, sich durch die Gewalt und den Hochmut der Reichen nicht deprimieren zu lassen. „Fürchte dich nicht, wenn ein Mann sich bereichert, wenn sich vergrößert die Herrlichkeit seines Hauses. Denn wenn er stirbt, nimmt er das alles nicht mit; nicht folgt ihm hinab seine Herrlichkeit. Ob er auch seine Seele segnete in seinem Leben und sich dafür lobte, dass er ihr Gutes tat, seine Seele wird kommen zu dem Geschlecht seiner Väter; nimmermehr werden sie das Licht sehen. Der Mensch, der in Ansehen ist und keine Einsicht hat, muss sterben wie das Vieh.“ (Ps 49,17-21) Auch der Gläubige wird sterben. Doch er bleibt nicht im Tod: „Gott aber wird meine Seele erlösen von der Gewalt des Totenreiches; denn er wird mich aufnehmen.“ (V.17) Bleiben die Gottlosen im Totenreich? Der Text lässt vermuten, dass sie dort länger bleiben, dass aber zu guter Letzt die weltliche Rangordnung auf den Kopf gestellt wird: „Der Tod weidet sie in seinem Reich wie Schafe, und am Morgen herrschen die Aufrichtigen über sie.“ (V.16) Es gibt also einen Zeitpunkt („Morgen„) an dem auch die Gottlosen wieder Person werden, sich aber in ganz anderen Verhältnissen wiederfinden werden. Sie werden den Aufrichtigen dienen müssen. Dies erinnert an das Wort Jesu: „Es werden einmal die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.“ (Mt 20,16).
2. Erst im Neuen Testament wird vor der „Hölle“ gewarnt
Erst dort ist die Rede von einer neuen Welt, aus der alles Schädliche und Böse ausgeschlossen ist. („Himmel“) und von einem schrecklichen Ort, der das unverbesserlich Böse versammelt und einschließt. („Hölle“). Die Hölle lässt sich als ein Ort der Quarantäne auffassen. In der unsichtbaren Welt Gottes, dem Himmel, sollen alle Menschen, die sich an Wahrheit und Liebe orientieren, unbelastet und frei von allem Bösen leben können: “Ich hörte eine laute Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Wohnung Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das, was vorher war, ist vergangen.” (Offb 21,3-4) Wo ist das all das Böse geblieben, das das Leben mit Leid und Angst bedroht? Es ist nicht mehr da, sondern es wird an einem Ort gesammelt und sicher eingeschlossen, den die Bibel „Hölle“ nennt. Die Hölle wird sich nur noch mit sich selber befassen. Sie wird keinen Einfluss auf den Himmel mehr haben. Insoweit ist auch die Rede von der Hölle eine gute Nachricht.
Das Neue Testament berichtet auch, dass es Menschen gibt, die so bösartig mit ihren Mitmenschen umgehen, dass nach dem Tod ihre Nichteignung für ein Reich der Liebe und der Friedens festgestellt werden muss. Der Mensch kommt im Laufe seines Lebens immer wieder in Entscheidungssituationen, wo er sich in seinem Lebensstil für oder gegen die Barmherzigkeit entscheiden kann. Wählt er hartnäckig das Destruktive, dann nistet sich das Böse in seiner Seele ein und gehört am Ende so zum Inventar, dass es nicht mehr als störend wahrgenommen wird. Ja, am Ende wird es sogar als lebensnotwendig betrachtet, die eigene Seele ist aufs Innigste mit ihm verschmolzen.
Der Bereich der Hölle ist für die Aufbewahrung all dessen vorgesehen, was auch nach der geduldigsten Pflege und Zuwendung unverbesserlich bösartig bleibt. „Urteilt selber, ihr Menschen, gibt es irgendetwas, was ich hätte noch mehr tun können an meinem Weinberg, aber nicht getan habe? Warum hat er trotzdem schlechte Trauben gebracht und keine guten?“ (Jes 5,4) Sind das nicht äußerst tröstende Worte? Gott ist bereit, alles für einen Menschen zu tun, um ihn gewinnen, und fragt Menschen (!), ob er etwas versäumt hat, ob er hätte noch etwas mehr tun können? Der Einschließung eines Menschen in die Hölle geht also grundsätzlich die Frage Gottes voraus, ob wirklich alles versucht wurde, um ihm zu helfen. Und die Antwort dürfen fehlbare, schwache Menschen geben: Ja, es wurde wirklich alles versucht.
Dieser Denkansatz entfernt sich vom verbreiteten Bild der Hölle als einer Folterkammer, die einem grausamen Gott zur Verwirklichung sadistischer Rachephantasien dient. Die Hölle erscheint eher als ein Ort, wo Menschen, die sich dem Guten für immer verschlossen haben, mit dem Grauen der eigenen Bösartigkeit, mit der Erkenntnis des von ihnen verursachten Leides konfrontiert werden. Die Seele kann durch fortgesetzte Bösartigkeit so versteinern, dass eine Wiederherstellung nach menschlichem Ermessen nicht mehr vorstellbar ist. Denken wir an gewissen Figuren in der Geschichte, die Schrecken verbreitet haben: so erscheint für Menschen, die sich auf einen ähnlichen Weg begeben wollen, eine Warnung durchaus angebracht.
In seinem Buch „Die Bibelfälscher“ schreibt der Theologe Klaus Berger: „Es gibt allerdings Taten, die man nur aus Angst lässt. Dazu gehört z.B. der Atomausstieg. Er wurde und wird vollzogen, weil die Menschen Angst bekommen haben, dass es ihnen bald so ergeht wie den Menschen in Fukushima/Japan. Nicht die theoretische Einsicht bescherte den Ausstieg, sondern die konkrete Angst. Und alles Angst machen hat den Sinn, noch größere Katastrophen zu verhindern. So ist das Angst machen eine konkrete Form der Liebe, eben dann, wenn gutes Zureden und theoretische Einsicht nichts helfen, weil Menschen vor allem immer wieder um ihren Besitz fürchten. Um diesen zu sichern, warten sie oft, bis es zu spät ist.“ (Pattloch Verlag, München, 2013, S.273)
Die Warnung vor der Hölle fokussiert einen finalen Zustand der Seele, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt und gibt dem Ernst der rechtzeitigen Umkehr volles Gewicht. Eines Tages werden solche Menschen in einem Zustand sein, in dem sie die Güte Gottes trotz ihrer Gottesferne in ihrem vollen Umfang schauen werden in der niederschmetternden Erkenntnis, dass sie selbst die Brücke zu diesem Reich der Güte unwiderruflich zerstört haben. Sie werden über einen unüberbrückbaren Abgrund hinweg in den Himmel blicken können und Gott als den eigentlichen Urheber all dessen, was wir als Liebe, Freude, Schönheit und Würde wahrnehmen. Dieser Zustand ist so schrecklich, dass ihn Jesus und die Apostel mit dem Schmerz des Verbrennens verglichen haben (Mt 25,41 / Lk 16,24 / Jo 15,6 / Hebr 10,27).
„Es wäre verantwortungslos, Allversöhnung zu predigen, denn viele Menschen sind so hartgesotten, dass sie eine Allversöhnungspredigt nur schamlos ausnutzen würden, damit alles beim Alten bleibt. Deshalb gibt es Drohungen, weil Menschen durch ihr eigenes Tun gefährdet sind (nicht durch Gott) und weil sie einfach kein Recht haben, Rettungswunder am Schluss einzuklagen. Ob Gott am Ende rettet, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass es Menschen gibt, die so dickfellig sind, dass sie nur aufs Äußerste reagieren.“ (Klaus Berger, Die Bibelfälscher, S.273)
Jeder Mensch muss damit rechnen, dass er irgendwann die Früchte seiner persönlichen Entscheidungen erntet. Er kann sich nicht hinter seiner Glaubensgemeinschaft oder hinter der Tradition verstecken. Immer wieder haben Menschen sich darauf verlassen, dass sie automatisch Gott gefallen und von ihm bevorzugt werden würden, weil sie zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft bzw. zum jüdischen Volk gehören!
Vor diesem Wahn haben die Propheten immer wieder gewarnt: „Seid ihr etwas Besseres als die Leute von Nubien, ihr Israeliten? “, spricht Jahwe . „Gewiss habe ich euch aus Ägypten geführt, aber auch die Philister aus Karmel und die Syrer aus Kir.” (Amos 9,7 / NeÜ)
Jahrhunderte später wird Jesus immer noch mit diesem Wahn konfrontiert: “Ihr beruft euch auf Abraham als euren Vater? Wenn ihr zu Abraham gehören würdet, würdet ihr euch wie er verhalten.” (Jo 8,39) Johannes der Täufer sagte: “Gott kann Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.” (Lk 3,8)
Dieser Wahn hält sich in vielen Varianten bis heute. Menschen glauben, zu Gott zu gehören, weil sie sich einer bestimmten Glaubensgemeinschaft angeschlossen haben, weil sie zu einer Kirche gehören und regelmäßig Kirchensteuer zahlen.
Ein Bekehrungsgebet, in frühester Jugend gesprochen, wird in gewissen Gemeinschaften gerne als Garantie für den Himmel gesehen. Doch es mag auch der Fall eintreten, dass der einstmals Bekehrte später mit anderen Menschen bösartig und rücksichtslos umgeht und gar nicht daran denkt, sein Verhalten zu bereuen. „Wenn der böse Knecht denkt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an seine Mitknechte zu schlagen und die Vorräte seines Herrn zu verzehren, dann wird sein Herr kommen zu einem Zeitpunkt, den er nicht ahnt, wird ihn in Stücke hauen und ihm denselben Lohn wie den Ungläubigen geben.“ (Lk 13,45-46)
Wer ganz sicher sein will, in der Zukunft zu Gottes Volk zu gehören, muss mit seinen Mitmenschen barmherzig umgehen wollen.
Niemand kann sich hinter einer Gruppe verstecken. Jeder entscheidet für sich allein.
3. Die Warnung vor der „Hölle“ ist ein unüberhörbarer Aufruf zur Selbstprüfung
Die Warnung vor der Hölle ist der lauteste Weckruf, der vorstellbar ist. Er spiegelt wieder, wie unvorstellbar taub mancher Mensch gegenüber dem Reden Gottes ist. Die Lebensgeschichte Jesu zeigt uns dasselbe: manche Menschen bleiben stocktaub, obwohl sie nur die Hand auszustrecken und den Sohn Gottes zu berühren brauchten, der tatsächlich zu ihnen gekommen ist. Es gibt Menschen, die darauf verzichten, ihn anzurühren, um gesund zu werden und stattdessen lieber seine Feinde werden. Die Barmherzigkeit zum Greifen nah – aber dennoch entscheiden sich Menschen gegen sie.
Wer unbarmherzig umgeht mit dem Nächsten, steht in Gefahr, immer unbarmherziger zu werden. Er stumpft ab und wird zunehmend gefühlloser gegenüber dem Leid des Nächsten. Die Möglichkeit, barmherzig zu handeln, wird immer geringer. Jesus warnt: eines Tages kann ein unumkehrbarer Zustand erreicht sein. „Es kann Menschen geben, die in sich den Willen zur Wahrheit und die Bereitschaft zur Liebe völlig zerstört haben. Menschen, in denen alles Lüge geworden ist; Menschen, die dem Hass gelebt und die Liebe in sich zertreten haben. Dies ist ein furchtbarer Gedanke, aber manche Gestalten gerade unserer Geschichte lassen in erschreckender Weise solche Profile erkennen. Nichts mehr wäre zu heilen an solchen Menschen, die Zerstörung des Guten unwiderruflich: Das ist es, was mit dem Wort Hölle bezeichnet wird“. So beschreibt es Papst Benedikt XVI in der Enzyklika „Spe salvi“ – und es überzeugt (wobei man die Tatsache schwer vergessen kann, wieviel Missbrauch die katholische Kirche gerade mit der Warnung vor der Hölle getrieben hat).
Die Warnung vor der Hölle lehrt uns „die Möglichkeit des Schrecklichen und die Wahrscheinlichkeit des Guten.“
Der Warnruf, der allen ausnahmslos gilt, stört Selbstzufriedenheit und Pharisäismus erheblich. Er fördert im Gläubigen eine grundsätzliche Bereitschaft zur Selbstprüfung.
Dabei geht es in erster Linie um die Frage, ob der Gläubige schon dieses Leben sich oder anderen zur Hölle macht. Wenn der Gläubige hofft, dass Gott mit ihm barmherzig verfährt und ihn im Himmel willkommen heißt, dann darf er gegenüber einem Mitchristen nicht erbarmungslos handeln.
Daraus folgt aber auch: auch wenn wir über die Hölle nachdenken, muss eine völlig überzeugende, unbezweifelbare Barmherzigkeit das Ergebnis sein. Der Eindruck der Barmherzigkeit und Vertrauenswürdigkeit Gottes darf dadurch nicht verfinstert oder gar aufgelöst werden.
Menschen, die durch Gottes Weckruf aus ihrer geistlichen Taubheit herausgerissen werden, können die Chance nutzen, durch Fleiß in den geistlichen Übungen eine besondere Nähe zu Gott und Sensibilität für die unsichtbare Welt herzustellen.
4. Unzulässige Verschärfung der Warnung durch buchstabenhörige Theologie.
Eine buchstabenhörige Theologie kann die apokalyptischen Szenarien der Offenbarung nur als unabänderlichen, ein für allemal festgelegten „Wissensbesitz“ betrachten.
Doch die Vorstellung wirkt abstrus, dass Gott sich mit seinen eigenen Worten einsperren könnte, wie es damals König Darius gemacht hat mit seinem „Gesetz der Perser und Meder“ (Dan 6,8), das – einmal ausgesprochen – nicht mehr rückgängig zu machen war.
Der Gläubige soll sich darauf verlassen können, dass Gott grundsätzlich zuverlässig zu all seinen Zusagen und Tröstungen steht. Das Buch Jona zeigt, dass er froh ist, wenn er angekündigte Gerichte nicht vollstrecken muss. Er schiebt gerne auf, was längst hätte geschehen müssen. Seine Weisheit kann Umwege und Auswege finden, für die die Theologie blind ist.
Sie muss auch blind bleiben, denn wenn sie es erkennen könnte, würde die strengste Warnung, die doch aufschrecken und motivieren soll, wieder wirkungslos.
„Die Gerichtsaussagen haben insgesamt die Funktion, zu sagen, dass im Falle der Verweigerung ’niemand mehr helfen kann‘. Wie wenn einer dafür wirbt zum Arzt zu gehen. Aber wenn man es nicht tut, muss man die Folgen tragen.“ (Klaus Berger, Die Bibelfälscher, S. 275)
Die Warnung soll zum Umdenken des eigenen Lebens motivieren, aber sie darf nicht dazu dienen, zu erpressen und zu verknechten. Sie darf Gläubige nicht in die Werkgerechtigkeit drängen und aus Gott einen erbarmungslosen Sklaventreiber machen. In der Vergangenheit hat man leider diesen Missbrauch jahrhundertelang betrieben. („Giftige Theologie„)
Eine buchstabenorientierte Theologie hat es schwer, sich von diesem Missbrauch zu distanzieren.
5. Was bedeutet „ewig“, was bedeutet „ewige Strafe“ in der Bibel?
Ewig hat in der deutschen Sprache die Bedeutung einer Zeitdauer, die kein Ende hat: „endlos“. Mit diesem Begriff hat man das hebräische Wort „?-w-l-m“ = „olam“ übersetzt – ein vermeidbarer Irrtum. In der Bibel hat das Wort „ewig“ eine andere Bedeutung.
Es stammt sehr wahrscheinlich aus der sprachlichen Wurzel „?-l-m“, das „verbergen“ bedeutet. In diesem Sinne ist die Grundbedeutung von „?olam“ der verborgene, unabsehbare Zeitraum.
Wenn wir den Gebrauch des Wortes „olam“ in der Heiligen Schrift untersuchen, dann stellen wir fest, dass diese Übersetzung richtig ist. Die mosaischen Gottesdienstordnungen sollten für “EWIGE” (!) Zeiten gelten: ewige Ordnung des Speisopfers (3.Mo 6, 15 = 6,22), ewiges Priestertum Aarons (2. Mo 29,9). Dennoch hob die Urgemeinde in Jerusalem diese Ordnungen nach zwei Jahrtausenden in der Autorität des Heiligen Geistes auf – und ließ nur vier Ausnahmen bestehen. (Apg 15, 28 -29)
„Ewig“ muss also nicht „ohne Ende, unaufhörlich“ bedeuten, sondern kann auch eine sehr lange Zeit meinen bis zu einem von Gott bestimmten Zeitpunkt, der vorab nicht bekannt ist. Die exaktere Übersetzung wäre: „auf unabsehbare Zeit“
Die griechische Entsprechung für das hebräische Wort „?olam“ ist „aionios / aidios“ (αἰώνιος / αἰδιóς), abgeleitet vom Wort „aion“ (αἰών), das einen sehr langen Zeitraum, der irgendwann endet, beschreibt.
Womit natürlich automatisch die Frage entsteht: „was geschieht nach diesem langen, aber nicht klar definiertem Zeitraum?“ Die Bibel beantwortet diese Frage nicht. Es würde ja auch den Ernst der Warnung und die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Umkehr aufweichen. Die Reaktion Gottes auf konsequent gottloses Verhalten soll unberechenbar bleiben.
Ob nun die „Hölle“ endlos ist oder ein Zeitraum, dessen Ende jedoch kaum abzusehen ist, in jedem Fall ist sie das fürchterliche Ergebnis eines konsequent gottlosen Lebens. Wer dort ist, wird schrecklich leiden, schon durch die Tatsache, dass die Boshaftigkeit der ganzen Welt und aller Zeiten sich dort konzentriert wiedertrifft. Das „Feuer“, von dem die Bibel spricht, ist ein Bild für die Unerträglichkeit dieses Ortes.
Gleichwohl weist Jesus darauf hin, dass diese Strafe für manche bösen Menschen erträglicher sein wird als für andere. „Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, weckt die Toten auf, treibt die Teufel aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch. ….. Wo ihr aber in ein Haus geht, so grüßt es; und so es das Haus wert ist, wird euer Friede auf sie kommen. Ist es aber nicht wert, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden. Und wo euch jemand nicht annehmen wird noch eure Rede hören, so geht heraus von demselben Haus oder der Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich ich sage euch: Dem Lande der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am Jüngsten Gericht als solcher Stadt.“ (Mt 10,7-15). „Da fing er an, die Städte zu schelten, in welchen am meisten seiner Taten geschehen waren, und hatten sich doch nicht gebessert: Wehe dir Chorazin! Weh dir, Bethsaida! Wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, wie bei euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten im Sack und in der Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Es wird Tyrus und Sidon erträglicher gehen am Jüngsten Gericht als euch.“ (Mt 11,20-22)
Diese Texte sollen uns versichern, dass Gott sich wirklich um ein ganz faires eindeutiges Urteil bemühen wird, dass er die Voraussetzungen, insbesondere die Unkenntnis der Menschen in seinem Urteil genauestens berücksichtigt. Schließlich wird er ja auch Gläubige um ihre Einschätzung bitten, ob er alles getan hat, was sinnvoll war, um den betreffenden Menschen zu retten.
Man kann ein „erträglicheres Urteil“ so verstehen, dass die von Gott bestimmte Strafzeit kürzer sein wird als bei anderen Menschen. Indes nennt Ps 49 eine Möglichkeit der Strafe, die überhaupt nicht an Höllenqualen denken lässt: „die Aufrichtigen werden über sie herrschen.“ (Ps 49,16). Das wäre wohl kaum möglich, wenn die Bestraften sich in einem für unabsehbare Zeit verschlossenen Bereich der Hölle aufhalten müssten. Auch an diese Vorstellungen knüpft Jesus an, wenn er treuen Gläubigen unterschiedliche Herrschaftsbefugnisse anvertraut (Luk 19,17). Mit dem faulen Knecht wird bei Lukas sanfter verfahren als in der Version, die Matthäus erzählt: man nimmt ihm nur das ein Pfund ab, mit dem er nichts anzufangen wusste. Zu den „Feinden„, die anschließend hingerichtet werden, gehört er offensichtlich nicht. Anders bei Matthäus: hier wird er erbarmungslos „in die äußerste Finsternis“ geworfen. (Mt 25,30). Diese Unterschiede unterstützen die Annahme, dass es sich bei den Warnungen eher um starke Bilder als um konkrete Jenseitsberichte handelt.
Spielen wir nun auch einmal die Annahme einer verkürzten Strafzeit durch.
Wie lange wird die Strafzeit dauern? Sie wird wohl in einem fairen Verhältnis zum angerichteten Schaden stehen. Es ist bekannt, wie rücksichtslos die römischen Kaiser Blut vergossen, wie sie selbst aus der Ermordung Unschuldiger noch ein Schauspiel in der Arena zur Belustigung des Volkes machten. Die Führungsclique in Nazi-Deutschland ist für einen Angriffskrieg mit 60 Millionen Toten und einer entsprechenden Zahl von Verwundeten und Verkrüppelten verantwortlich. Dazu kommt eine vielfache Zahl von Menschen, die durch den Krieg seelisch und materiell ruiniert wurden. Setzt man für einen ruinierten oder getöteten Menschen nur ein einziges Jahr „Aufbewahrung“ in der „Hölle“ an, so ergeben sich leicht extrem lange Zeiträume von Jahrmillionen, so wie sie in der Geologie gebräuchlich sind. Es wäre auch zusätzlich noch das an Unheil zu bestrafen, was die Übeltäter fest beschlossen, aber dank ihres vorzeitigen Ablebens gottlob nicht mehr haben ausführen können. So schrecklich diese Rechnung auch ist – sie ist nicht unfair.
Zugegeben: die Bedeutung des Wortes „olam“ ist ein einigermaßen schwaches Fundament, um damit fest zu rechnen, dass Menschen, deren Seele deutlich durch Freude am Bösen geprägt ist und die jeden Keim des Guten in sich erstickt haben, nach Verbüßung einer derart langen Strafe wieder in den Himmel aufgenommen werden können. Eher vorstellbar ist eine Art Sicherheitsverwahrung, in der sie anschließend am Ort des Bösen eingeschlossen. bleiben.
Unfair wäre es jedenfalls diese Strafe einem Menschen aufzuerlegen, der mit seinen Mitmenschen freundlich und gütig umgegangen ist, aber in seinem muslimischen oder hinduistischen Umfeld zeitlebens wenig oder verfälschte Information zum christlichen Glauben erhalten hat. Unfair wäre es genauso, diese Strafe einem Menschen aufzuerlegen, der die Größe der Liebe und Barmherzigkeit Jesu gar nicht erkannt hat.
Die ungünstigen Voraussetzungen eines Menschen werden von Gott immer berücksichtigt! Immer! Details erfahren wir nicht, wie das geschehen kann. Aber unser Vertrauen in die Liebe, in die Gerechtigkeit und in die Geduld Gottes braucht durch die Verborgenheit der Details nicht ins Wanken zu geraten.
Man muss sich stets die Tatsache vor Augen halten, dass die Barmherzigkeit Gottes so groß ist, dass er bereit war, die Strafe selbst für grauenhafteste Verbrechen auf seinen Sohn zu legen und dem Täter zu erlassen, wenn er vor seinem Tod aufrichtig bereut hätte. (vgl. 2.Kö 21,16 / 2.Chr 33,12 ff) Diese unbeschreiblich große Gnade – die die Gefühle mancher schwer geschädigten Gläubigen aufs äußerste strapaziert – haben leider die wenigsten in Anspruch genommen.
Ist das Schicksal der Betroffenen noch nach dem Tod beeinflussbar? Das Neue Testament sagt dazu nichts. Welchen Sinn soll das machen? Eine Warnung, die uferlos aufgeschoben werden kann, verliert ihre Dringlichkeit. „Für jeden Menschen ist der Zeitpunkt des Todes festgesetzt. Danach kommt das Gericht.“ (Heb 9,27) Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es zu diesem Grundsatz wichtige Ausnahmen geben kann (Perspektiv-Stil). In jedem Fall ist es jedoch leichtsinnig, auf diese Ausnahmen zu spekulieren.
Barmherzige Menschen sind ganz automatisch Freunde Gottes. Für sie steht die Tür des neuen Reiches weit offen (Mt 25,31) unabhängig von der theologischen Einsicht und der Gotteserkenntnis, die sie haben. Dazu gehören auch Menschen, denen zwar Barmherzigkeit wichtig ist, die aber keine Christen werden wollten, weil ihre Sicht durch schlechte Erfahrungen mit Christen oder destruktive Theologie getrübt ist.
6. Die „Unerforschlichkeit Gottes“ oder „Heiligkeit Gottes“ entschuldigt gar nichts
Die Notwendigkeit einer endlosen pauschalen Höllenstrafe wird sehr oft mit der „Heiligkeit“ Gottes begründet, die nichts Böses im Himmel dulden könne. Nun wird auch der Christ, der unvermutet stirbt, nicht im Zustand der Vollkommenheit sterben, sondern eine Reihe von Verhaltensweisen und Gewohnheiten haben, die dem Maßstab der Vollkommenheit nicht genügen. Wegen Unvollkommenheit kommt der Gläubige nicht in die Hölle. Gott wird auf irgendeine Weise damit fertig – nach dem Tod. Die Heiligkeit Gottes ändert daran nichts. Wäre es nicht so, wäre der Platz im Himmel davon abhängig, dass jedes Fehlverhalten bereut, in der Beichte bekannt und mit der Absolution entschärft worden ist, dann stünde der Gläubige immer mit einem Bein in der Hölle und müsste ständig in Angst leben.
Die Begriffe „Heiligkeit“, „Vollkommenheit“, „Ewigkeit“, „Endlosigkeit“ stehen als theologische „Superlative der Unbegreiflichkeit“ nebeneinander und werden oft gedankenlos gleichgesetzt. Erklärt wird damit nichts. „Eine endlose Hölle muss sein, weil Gott heilig ist“ ist eine der typischen theologischen Leerformeln. „Ich unterstelle die Endlosigkeit einer Hölle, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie Gott mit dem Unvollkommenen umgeht, wenn er fehlbare Menschen in sein vollkommenes Reich hineinlässt.“ wäre ein besserer Satz.
Auch die Argumentation „die Hölle muss endlos sein, denn das Reich Gottes im Himmel hat ja auch kein Ende“ ist ein Fehlschluss. Zwischen Gericht und Gnade besteht grundsätzlich „Asymmetrie“. Die Liebe und Gnade Gottes steht mitnichten mit seinem Willen zur Bestrafung „im Gleichgewicht“, sondern ist viel größer: „Sein Zorn währt einen Augenblick, aber lebenslang seine Gnade“ (Ps 30,5).
Hier hat man leider mit dem Nachdenken sehr oft zu früh aufgehört und sich mit dem Argument der „Unerforschlichkeit Gottes“ vorschnell zufriedengegeben. Ich denke, man macht es sich zu einfach, das Konzept der Hölle dem göttlichen, überlogischen Verantwortungsbereich zuzuordnen und zu verlangen, dass der Mensch nur die Aspekte durchdenken dürfte, die ihm das Wort Gottes in irgendeiner Weise erläutert. Wenn dank dem gern gebrauchten Totschlag-Argument der „göttlichen Unerforschlichkeit“ die negativen Wirkungen des Höllengedankens nicht aufgehoben werden, dann bleiben viele Gläubige in ihrem Dilemma, in ihren Befürchtungen gefangen. Eben deshalb sind sie gezwungen, weiterzudenken – ob Theologen das nun gut finden oder nicht.
Wenn es nun zum Thema Heilsgewissheit und Hölle so viele Aussagen gibt, die logisch überhaupt nicht zusammenpassen, wenn es sowieso keine logisch überzeugende Antwort gibt, warum soll man dann einer deprimierenden Sichtweise den Vorrang geben, die das Vertrauen in die Liebe Gottes und in die ausnahmslose Gültigkeit der Qualitätsmaßstäbe Jesu ständig zu relativieren droht? Die kirchliche Tradition hat es jahrhundertelang gemacht – aus nachvollziehbaren Gründen – und das theologische Denken entsprechend geprägt. Doch warum müssen wir so weitermachen?
Es gibt viel mehr in diesem Bereich, dessen Gläubige absolut gewiss sein dürfen. Wer den Charakter Jesu kennt, weiß, dass die destruktiven Wirkungen des Höllengedankens absolut unerwünscht sind und auch nicht von Jesus „für höhere Zwecke“ in Kauf genommen werden. Jeder Gläubige, der die Qualitätsmaßstäbe Jesu respektiert als Gebote höchster Priorität, kennt den Charakter Jesu gut und muss sich deshalb nicht mit quälenden Zweifeln herumplagen. Er weiß, dass Jesus niemals unbarmherzig, unfair oder unehrlich handeln wird. Besonders die Barmherzigkeit kommt im Verhalten Jesu zum Ausdruck. Sie ist der absolute, typische und höchstrangige Maßstab.
Auch in der Beantwortung der obigen Fragen wird Barmherzigkeit der oberste Maßstab sein. Dieser Maßstab gibt vor, wie andere – insbesondere auf oberflächlichen Blick hin entmutigende – Bibelworte einzuordnen sind.
7. Seltsame Kriterien für den Eintritt in das Reich Gottes
Wer darf in den Himmel kommen ? Schon in der Sonntagschule lernt man, was die Voraussetzung für die Errettung ist: der Glaube an Jesus Christus. „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht“ (Joh 3,36). Doch was ist richtiger Glaube ? Im Bemühen, die „Sache ganz festzumachen“, wird ein Hingabe- bzw. „Übergabe-Gebet“ empfohlen, das die eigene Glaubensbereitschaft zum Ausdruck bringt.
Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, geht auch die ernstgemeinteste „Übergabe“ mit bleibender Unvollkommenheit einher – d.h. einzelne Gebote werden in der Regel konsequent ignoriert, obwohl ihnen eine gewisse Bedeutung nicht abgesprochen werden kann. Eine bedenkliche, negative Sicht ließe sich mit dem Bibelwort begründen: „Nicht alle, die Herr Herr sagen, werden ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen Gottes tun“ (MT 7,21) Dem steht entgegen, dass auch Gläubige in den Himmel kommen, die „geringe Gebote aufgelöst und die Menschen entsprechend belehrt“ haben. (Mt 5,19)
Das bedeutet konkret, dass Unvollkommenheit keine Gefährdung des Heils heraufbeschwört. Allenfalls ist geringerer Lohn, geringeres Lob zu erwarten. (1.Kor 3)
Anschließend warnt Jesus, dass Menschen, die keine bessere Gerechtigkeit haben als die der Pharisäer, nicht ins Himmelreich kommen werden. (V.20) Diese Warnung ist eindrücklich, aber nicht so ohne weiteres klar. Perfektionismus und Selbsterlösungsbemühungen sind hier nicht gemeint.
Im folgenden werden zwei konkrete Fehlverhaltensweisen mit der Hölle bedroht: der Hass gegen den Bruder und Ehebruch. Die Verbot häufigen Schwörens und das Gebot der Bereitschaft, sich übervorteilen zu lassen, ja seine Feinde zu lieben, werden nicht mehr mit einer Strafandrohung verbunden. Wir ziehen daraus den Schluss, dass der Gläubige den Sünden der Triebhaftigkeit auf Kosten anderer und der Sünde der Unversöhnlichkeit Widerstand leisten muss. (Dabei sollte er sich nicht in das werkgerechte Missverständnis einer rigiden Sexualmoral bzw. einer Pflicht zur Rechtlosigkeit hineinziehen lassen, mit dem er sich selbst erheblich schadet.)
Eins ist auch sicher: das Bemühen um die vollkommene Gesetzeserfüllung mit dem Ziel, sich vor der Hölle zu schützen, ist nicht nur zum Scheitern verdammt, sondern auch glaubenszerstörend und deshalb verboten. (Gal 5,4)
Jesus weist uns zwar auf die Notwendigkeit der Taten hin – aber dennoch lässt sich die Errettung nur schwer an einer zufriedenstellenden Erfüllung von Geboten festmachen.
Barmherzigkeit sollte jedoch unbedingt im Leben des Gläubigen vorhanden sein: „es wird ein unbarmherziges Gericht ergehen über den, der nicht Barmherzigkeit getan hat.“ (Jak 2, 13) „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ (Mt 5,7) Barmherziges Handeln ist Beachtung des wichtigsten Gebotes Jesu und hat höchste Priorität. Der römische Hauptmann Kornelius wurde von Gott beschenkt, weil er barmherzig mit den Juden umging, die ihm ein hohes Lob ausstellten. Petrus sagte dazu: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht. Jeder in jedem Volk ist ihm lieb und teuer, der Ehrfurcht vor ihm hat und recht tut.“ (Apg 10,34) Auch der äthiopische Finanzminister kannte Jesus nicht, aber er sehnte sich nach Gott und machte eine Reise zum jüdischen Tempel. (Apg 8) Was wäre geschehen, wenn er auf dieser Reise gestorben wäre, ohne von Jesus zu erfahren ? Wäre er in die Hölle gekommen, weil er kein „Übergabegebet“ an Jesus gesprochen hätte ? Absurd !
Sehen wir einmal genau hin. Das Neue Testament beschreibt nicht nur einen Weg zum Himmel sondern drei. Der am häufigsten genannte ist die Bekehrung zu Jesus Christus und das Leben unter seiner Leitung. Dann aber werden ganze Völker in den Himmel eingelassen, bloß weil sie notleidende Menschen mit Nahrung, Obdach, Zuwendung versorgt haben. (Mt 25,32 ff) Für sie „steht das Reich bereit, das schon seit Beginn der Welt auf sie wartet.“ Ein Glaubensbekenntnis wird gar nicht erwartet. Ob Theologen hier Bedenken haben, scheint Jesus wenig zu stören. Den dritten Weg erkennen wir am Kreuz. Der neben Jesus hängende Verbrecher bittet Jesus, „an ihn zu denken„, wenn er in sein Reich kommt. (Luk 23,42) Jesus verspricht ihm daraufhin: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Der Verbrecher liefert nicht mehr als den bloßen Wunsch, von Jesus nicht vergessen zu werden. Jesus erhört ihn. Nehmen wir an, der Verbrecher hätte gar nicht mehr reden können. Hätte Jesus nicht genauso auf seinen bloßen Wunsch reagiert? Und Jesus soll auf die vielen unausgesprochenen Wünsche der Menschen nach Barmherzigkeit und Liebe ablehnend reagieren? (Luk 23,42)
Das können Menschen in jedem Volk und in jeder Religion: an einen Gott glauben, der Barmherzigkeit und Fairness liebt und sich entsprechend verhalten.
Priester und Levit waren rechtgläubig und hatten das richtige Glaubensbekennntnis. Doch sie gingen an dem Verletzten vorbei. Der Samariter, dessen Glaube zum Teil heidnisch war und der ein höchst mangelhaftes Glaubensbekenntnis hatte, erbarmte sich und erlangte das Wohlgefallen Jesu. (Luk 10,31-33)
Wieviele Menschen haben nicht mehr geistliche Erkenntnis als ein Kind! Kinder haben prinzipiell einen Platz im Himmel, ohne dass eine Taufe oder ein Bekenntnis zur Voraussetzung gemacht wird: „Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich.“ (Mt 14,19)
Damit ist der Aufruf zur Nachfolge Jesu nicht relativiert. Die Nachfolge ist und bleibt der sicherste Weg zum Himmel. Die Nachfolge eröffnet die besten Gelegenheiten, Fruchtbares und Sinnvolles im Reich Gottes zu tun. Sie schließt aber andere gute Wege Gottes mit anderen Menschen, die andere Voraussetzungen und Begrenzungen haben, nicht aus.
Erfahrungsgemäß haben Menschen, die selbst Unglück erlitten haben und arm sind, eher Mitgefühl mit Menschen, die leiden müssen, als Menschen, die keine Not kennen. Deswegen sagt Jesus ganz pauschal: „Glücklich sind die zu nennen, die traurig sind, denn sie sollen getröstet werden. Glücklich zu nennen sind Menschen, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie sollen satt werden.“ (Mt 5,4) Diese Sätze deuten an, dass sehr, sehr viele Menschen Gottes Heil erfahren werden. Betrifft es nicht die meisten Menschen dieser Welt, die sich in diesem Leben vergeblich nach Liebe und Gerechtigkeit sehnen und den Wunsch haben, dass ein Gott im Himmel gnädig an sie denkt? Allerdings gibt es andererseits die Warnung, dass nur „wenige den Eingang zum schmalen Weg finden“ werden. (Mt 7,14) Versteht man sie wortwörtlich, so entsteht ein unlösbarer Widerspruch. Er lässt sich entschärfen, wenn man die Warnung nicht wortwörtlich versteht, sondern sie unter einem speziellen biblischen Aussagestil („Perspektiv-Stil„) einordnet. Röm 11 stellt das Mittel der zeitweiligen Verstockung als Instrument des Heils (!) vor: ein unerwartet positiver Aspekt eines an sich schrecklichen Zustandes: „Jetzt wollen die Juden nicht glauben, dass Gott durch Christus mit jedem Menschen barmherzig ist, obwohl sie es doch an euch sehen. Aber auch sie sollen schließlich Gottes Barmherzigkeit erfahren. Denn Gott hat alle Menschen ihrem Unglauben überlassen, weil er ALLEN seine Barmherzigkeit schenken will.“ (Rö 11,31-21)
8. Gute Nachricht – die „Hölle“ betreffend !
Ein wichtiger Gesichtspunkt wurde bisher übersehen, doch er erscheint sehr schwer nachvollziehbar. Der Apostel Paulus schrieb, dass Gott nicht allein über Himmel und Hölle entscheidet. Nach dem Tode sollen Gläubige Teil des „Richterkollegiums“ sein. „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden ?“ (1.Kor 6,2) Seltsam ist, dass Paulus die Kenntnis dieser Perspektive bei seinen Lesern voraussetzt. Im den heiligen Schriften des Alten Testaments finden wir dazu nichts. Bekannt ist allenfalls, das die Heiligen, die gegen den Antichristen gekämpft haben, die Welt richten werden (Dan 7,22). Nur im Buch der Weisheit steht ähnliches zu lesen. (3,8) Wie wir aus dem Kanon Muratori erfahren, hat das Buch der Weisheit einige Zeitlang als Teil der Heiligen Schrift anerkannt und wurde erst später von der Tradition aus dem biblischen Kanon entfernt. Paulus aber übernimmt offenbar dennoch hieraus diese Information. Ja, die Befugnisse gehen nach Sicht des Paulus noch viel weiter: Sehr erstaunlich ist die Ankündigung des Richteramts über Engel (V.3), d.h. über Personen, die über eine verheerende Macht zu strafen verfügten und selbst die Gläubigen damals in Angst und Schrecken setzten. (Ri 13,6+20 / 2.Kö 19,35) Auch davon steht im Alten Testament nichts.
Paulus gesteht das Richteramt mit einem „wir“ großzügig allen Gläubigen zu. Wir können aber annehmen, dass diese Formulierung nur ein Stilmittel ist. (Perspektiv-Stil). Denn Jesus wird niemand über den Splitter im Auge des anderen richten lassen, der selber einen Balken im Auge hat. (Mt 7,3) Gläubige, die wenig Segen in die Welt gebracht und eher Unrühmliches angestellt haben wie viele unreife Gläubige in der Gemeinde in Korinth, wird es haufenweise geben. Auch wenn Paulus ihnen wünscht, dass sie nicht zurückbleiben, wird das Richteramt sicher nur Gläubigen anvertraut, die sich in vorbildlicher Weise um Liebe und Barmherzigkeit bemüht haben.
Wie können wir uns dieses Richteramt sinnvoll vorstellen? Wird der Gläubige als Selektierer an der Rampe zur Hölle stehen wie ein KZ-Arzt und nun Menschen zu Tausenden und Abertausenden in die grässlichste Folter, die ewige Höllenqual schicken? Oder wird er zumindest als Gast dem grauenhaften Schauspiel beiwohnen? Als Belohnung für lebenslanges Bemühen um Barmherzigkeit?
Solche Vorstellungen sind völlig unpassend und sollten nicht in der Theologie herumgeistern.
Vielleicht werden die Gläubigen, die ein Urteil fällen, werden wie Gott in der Lage sein, in das Herz eines Menschen zu schauen. Sie werden feststellen, dass alle Bemühungen Gottes um diesen Menschen endgültig gescheitert sind und dass auch weitere Bemühungen keinen Sinn mehr haben. Das Böse wird so offenbar werden, dass die Entscheidung unfehlbar wird. Das Menschliche, das mit der Erschaffung zum Ebenbild Gottes verbunden ist, wird an ihnen nicht mehr zu erkennen sein
Man kann nur spekulieren, warum ein Richteramt der Gläubigen notwendig sein soll. Der Zweck kann ja wohl nicht sein, der Hybris des Frommen zu dienen. Vielleicht soll dem Eindruck gewehrt werden, dass Gott grausame Urteile fällt, die die Menschen notgedrungen und eingeschüchtert anerkennen müssen. Dann macht es Sinn, Gläubige, deren Gewissen ein Leben lang geprägt wurden durch den Maßstab der Barmherzigkeit, ins Richteramt einzubeziehen. Sie werden mit allen Menschen guten Willens guten Gewissens dafür stimmen können, dass Menschen, die sich konsequent dem Bösen ergeben haben, keinen Zutritt zur neuen Welt Gottes bekommen. Die Bösen bleiben draußen, sich selbst überlassen. Hinfort werden sie sich mit ihrer Gemeinheit gegenseitig quälen, ohne dass es irgendwo noch Liebe, Güte und Barmherzigkeit gibt, die dazwischentreten könnte.
Aus die Frage des Paulus „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen sogar Engel richten werden?“ . (1.Kor 6,3) ergibt sich eine Gegenfrage: Woher soll die Gemeinde das wissen? Diese Informationen wurden offensichtlich nicht schriftlich überliefert. on einem Richteramt aller Gläubigen im alten Testament nichts bekannt.
Sollen wir aus der Frage des Paulus schließen, dass es noch andere Texte von Jesus und den Aposteln gegeben hat, die uns vielleicht eine klarere Sicht auf die Barmherzigkeit Gottes gegeben hätten? (Der Apostel Johannes gibt am Ende seines Evangeliums einen deutlichen Hinweis auf die Unvollständigkeit der Überlieferung: Joh 21,25.) Sehr auffällig ist, dass die Jünger keine Fragen zum Thema „Hölle“ gestellt haben, was doch ganz naheliegend gewesen wäre. Ständig haben sie den Meister zu allem möglichen befragt.
Über das Fehlende können wir nur mit einer konsequenten Anwendung der Qualitätsmaßstäbe Jesu sinnvolle Gedanken machen.
Zuvor erscheinen diese Gläubigen selbst vor dem Richterstuhl Christi – aber nicht zum Gericht, sondern zur Feststellung ihres Lohnes (1.Kor 3, 14-15) und ihrer Befugnisse. (Luk 19,17)
Schon jetzt kann das Verfahren Jesu, das Urteil von Gläubigen in den endgültigen Richterspruch einzubeziehen, eine wichtige Rolle spielen (siehe Hilfen für Gläubige, die sich vor der unvergebbaren Sünde fürchten).
Jetzt quält auch die Sorge um die Verwandten und Freunde nicht mehr. Jeder Gläubige hat das Recht, im Leben des Verwandten nach Barmherzigkeit zu suchen und dann für ihn zu sprechen. Dem Hindu oder Moslem, der nicht Christ möchten werde, weil er nicht von seinen Verwandten, die nicht an Jesus glaubten, getrennt sein möchte, kann man sagen: dies ist doch umso mehr ein Grund, Christ zu werden, denn dann kannst du im Gericht für sie sprechen. Da die Gläubigen Freunde Jesu sind (Joh 15,15), hört Gott auf diese Bitten, wie er auf Abraham hörte, der für die Leute in Sodom und Gomorrha bat. (Gen 18,23 ff) Jesus vergab dem Gelähmten, weil er den Glauben seiner Freunde (!) sah. (Mark 2,5)
Wir sollten den Aussagen in der Bibel über die Größe der Barmherzigkeit Gottes viel mehr Beachtung schenken! (Details !)
Die Strenge mancher Formulierungen mag sehr wohl damit zusammenhängen, dass die christliche Gemeinde intensiver Verfolgung ausgesetzt war und sich angesichts der Bedrohung durch die jüdische Obrigkeit verschaffen musste. Die Gläubigen müssen daran erinnert werden, dass der Weg zurück zum mosaischen Tempeldienst weg von Jesus in den Untergang führt, und dass es viel Schlimmeres gibt als die Furcht vor der Verfolgung. Dazu wird im Perspektiv-Stil das düstere Szenario entworfen, dass nur ganz wenige den Weg zum Leben finden, der für die meisten zu schmal und beschwerlich ist. (Mt 7,13) Es ist ein Appell, sich unabhängig für die Nachfolge zu entscheiden, selbst wenn man nur wenige Menschen dasselbe tun sieht. Es ist ein schreckliches Missverständnis, wenn wir den Perspektiv-Stil quantitativ verstehen.
Aller Verfolgung und Anfeindung, aller Verbitterung und Feindschaft des religiösen Establishments zum Trotz kommt Paulus zu dieser Aussage: „Ich will euch nicht vorenthalten, liebe Brüder, dieses Geheimnis… Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren, so lange, bis die Fülle der Heiden zu Gott gekommen ist dann das GANZE Israel gerettet werde, wie geschrieben steht: „Es wird jemand kommen aus Zion, der da Jakob erlöse von der Gottlosigkeit. Dies ist mein Bund mit ihnen: ich werde ihre Sünden wegnehmen. Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; weil sie Gott aber einst erwählt hatte, sind sie Geliebte um der Väter willen. Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Denn gleicherweise wie auch ihr früher nicht an Gott habt geglaubt habt, nun aber Barmherzigkeit erfahren habt durch ihren Unglauben, also haben auch jene jetzt nicht an die Barmherzigkeit glauben wollen, die euch widerfahren ist, damit sie eines Tages auch Barmherzigkeit erfahren. Denn Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, damit er sich ALLER erbarme.“ (Rö 11,25-32)
Es gibt genug Gründe, die Rangfolge der strengen Aussagen der Schrift anders und konstruktiver zu bestimmen, als es eine Theologie üblicherweise tut, die wenig nach Glaubwürdigkeit und desto mehr nach dem Nutzen bei der Beeinflussung von Menschen gefragt hat.
9. Die „Hölle“ ist Nebensache
Trotz des durch Mark und Bein gehenden Aufweck-Effekts ist die „Hölle“ in der Bibel Nebensache.
Die Schönheit und Würde des Lebens in der Kraft Jesu, die Befreiung von Schuld und Gewissensnot, eine positive charakterliche Entwicklung und die ungetrübte Vorfreude auf den Himmel sind die Hauptsache. Ein gutes Motiv ist die Erkenntnis, dass ein Leben ohne Barmherzigkeit und Befreiung von Schuld schon eine Art Hölle ist, in der göttliche Freude und Liebe fehlt. Es ist der Wunsch Jesu, dass alle seine Gläubigen von Seiner Freude und Seinem Frieden erfüllt sind. (Jo 15,11 / Rö 14,17)
Immer wieder gab und gibt es Menschen, die unmenschlich und unbarmherzig mit Mitmenschen umgehen, die gerne quälen, foltern und tyrannisieren, die in ihrem Verhalten abgrundtiefe unverbesserliche Bosheit zeigen. Hier darf der Gläubige darauf hoffen, dass diese Menschen einst mit einem viel größeren Schrecken konfrontiert sein werden, als sie ihn selbst verbreitet haben. Das Böse wird nicht triumphieren. Doch Überlegungen der Vergeltung grausamen Unrechts sollen den Gläubigen hier und heute eigentlich nicht beschäftigen – auch wenn Gott für diesen Wunsch Verständnis hat. (Offb 6,10-11) Die Größe und die Kraft der Liebe Jesu zu erkennen, das ist dem Gläubigen noch wichtiger.
10. Höllische Fehlschlüsse
Erst auf der Basis der vorangegangenen Ausführungen kann man den Fehlschluss der wortwörtlichen Interpretation vermeiden, der immer wieder zur irrigen Annahme einer „Quoten-Hölle„ der von vornherein chancenlosen und zur Verdammnis bestimmten Menschen geführt hat. Das wäre ein schreckliches Ergebnis. Wir ernten dann nämlich:
a) eine destruktive Wirkung auf das Gottesbild
Die Androhung ewiger Folter für fast alle Menschen ist das Äußerste, was an Erbarmungslosigkeit vorstellbar ist. Im Ausmaß vergleichbar ist nur das Strafrecht in menschenverachteten Diktaturen, dass relativ kleine Vergehen mit Tod oder Folter bestraft. So steht auch eine endlose Pauschal-Hölle in keinem Verhältnis zum angerichteten Schaden. Die Bevorzugung einer kleinen Schar exklusiv erretteter Gläubigen erscheint um so unfairer, als das Leben vieler Christen – gemessen an dem, was an Gutem möglich gewiesen wäre – und im Vergleich zu dem, was manche Nichtchristen gerne für ihre Mitmenschen tun – sehr dürftig ist. Kommt man dann in den Himmel, weil man das richtige „Parteibuch“ (Glaubensbekenntnis) hat? Pervers wirkt auf den Gläubigen auch die Vorstellung, dass von ihm verlangt wird, seinen Verfolgern und Mördern zu vergeben, selbst dann, wenn sie nicht bereuen (Mt 5,44), aber Gott mit seinem finalen Urteil zeigt, dass dieses übermenschliche Maß an Selbstentäußerung nur von schwachen Menschen verlangt wird, während der Allmächtige sich das Privileg einer überzogenen und grenzenlosen Erbarmungslosigkeit vorbehält.
Auch bei gutwilligen, bemühten Christen gibt diese Tatsache sehr oft den Anlass für eigene schwerste Glaubenszweifel, weil der Glaube an die Liebe Gottes desto mehr aufgeweicht und relativiert wird, je mehr das Entsetzen und das Mitgefühl für die Verdammten zunehmen, die ahnungslos einem grauenhaften, unabänderlichen Schicksal entgegentreiben.
In der Regel ist aber die emotionale Situation des Gläubigen nach der Bekehrung sehr positiv. Das Erlebnis, von Gott angenommen und begnadigt zu sein, alle persönliche Schuld bei IHM abladen zu können, führt zu tiefer Freude und unbegrenztem Vertrauen bei etlichen Gläubigen. Sie neigen dann dazu, allen theologischen Vorgaben in ihrer Gemeinde gutgläubig zuzustimmen, ohne sie zu Ende zu denken. Solange die starken Gefühle anhalten, werden sie alles daran setzen, dass es so bleibt und sich nicht auf Gedanken einlassen, die Schatten auf ihre Freude werfen könnten. Mit wachsender Bibelkenntnis erst wächst die Einsicht in die hohen Forderungen des Neuen Testamentes und in die eigene Unzulänglichkeit, tauchen immer mehr quälende Fragen auf, sodass Gefühle der Entmutigung, Überforderung und Bedrohung das weitere Glaubensleben bestimmen können. Immer mehr werden auch sie, die Jesus und seine Maßstäbe lieben, das Höllenthema als anstößig empfinden, als eine Peinlichkeit, über die man am besten nicht spricht.
Außenstehenden erscheint das Werben mit der „Liebe Gottes“ angesichts der beispiellosen Grausamkeit einer ewigen Verdammnis in der Regel von vornherein als scheinheilig und unglaubwürdig. Muslime können darauf verweisen, dass der Gott ihres Korans barmherziger ist als der Gott der Bibel, da nach dem Koran die Hölle nur so lange dauert wie Allah, der Erbarmer es will. Auch Juden halten Christen die Tatsache entgegen, dass es im Alten Testament überhaupt keine Hölle gibt und dass die Barmherzigkeit Jesu nur ein Scheinangebot ist.
b) eine destruktive Wirkung auf die sozialen Beziehungen:
Was für eine verzweifelte Aufgabe wäre das, wenn der Gläubige mit äußerstem Einsatz in der Missionsarbeit der uferlosen Grausamkeit Gottes entgegenzuarbeiten hätte. Diese Zwangslage kann den Gläubigen, der um seine unbekehrten Familienmitglieder fürchtet, sehr leicht in einen Zustand chronischer Depression bringen. Zudem würden die sozialen Beziehungen durch panische Missionsbemühungen vergiftet. Ein zwangloses und harmloses Miteinander wäre gar nicht mehr möglich.
c) eine destruktive Wirkung auf den Charakter:
Es ist ein unerträglicher Widerspruch: wenn Gläubige eifrig mit der „frohen Botschaft“ werben, aber sich zugleich aufgrund ihrer Unvollkommenheit mit der Hölle bedroht fühlen. Es wird aber manchmal nicht als Widerspruch gesehen, vielmehr dient das Missionieren dazu, kompensierende Verdienstpunkte zu sammeln, mit denen die eigene Angst ein Stück weit abgebaut wird. Dies lässt sich mit Bibelstellen rechtfertigen: „Wenn du mit deinem Munde Jesus bekennst … so wirst du gerettet.“ (Rö 10, 9) De facto ist dieses „Zeugnis“ Propaganda. Nicht die Freude über die Barmherzigkeit Gottes, sondern die Angst vor seiner maßlosen Grausamkeit wäre das Motiv. Diese Angst wird dem Menschen, den man „einladen“ möchte, verheimlicht. Er wird mit falschen Vorstellung in eine System hinein gelockt, dass ihn sehr bald in dieselbe Zwangslage bringen wird. Das ist egoistisch und absolut unfair. Dieses Verhalten hätte verheerende Wirkung auf den eigenen Glauben und auf die eigene Sicht des göttlichen Charakters ! Es steht in klarem Widerspruch zum Qualitätsmaßstab der Ehrlichkeit. Das Missionieren ist in diesem Fall unzulässig. Je schlechter das Gewissen wegen unzulässiger Mission plagt, desto größer wird die Angst um die eigenen Familienmitglieder (siehe a) sein.
d) Eine destruktive Wirkung auf die seelische Gesundheit
Sie ergibt sich schon aus den bereits genannten Folgen. Während die Drohung mit der ewiger Folter in der Hölle Außenstehenden den christlichen Glauben suspekt macht (Missionsparadox), fällt der Schrecken der Hölle auf fruchtbaren Boden bei sensiblen Christen, die konsequent nach den Geboten leben wollen und sich mit einem immer enger werdenden quälenden Gewissen konfrontiert sehen. Gerade diejenigen, die der Warnung eigentlich nicht mehr bedürfen, werden von ihr am meisten terrorisiert (Sorgfaltsparadox). Die tiefe Angst vor der Hölle erzeugt bei etlichen Gläubigen schrecklichste Werkgerechtigkeit. Man muss ja etwas vorzuweisen haben, was die exklusive Heilserwartung rechtfertigt, die völlige Selbstverleugnung, den sklavischsten Gehorsam gegenüber dem Buchstaben, der das Gewissen immer empfindlicher und das Leben hier recht freudlos macht. Zerfressen von Neid und Selbstanklage warten sie auf das Leben nach dem Tod, das Ausgleich gewähren soll.
Auch denjenigen, die sich mit einer weniger strengen Version von Nachfolge beruhigen können, liegt das Grauen einer global drohenden ewigen Verdammnis wie Blei auf der Seele, weil sie sich darüber im Klaren sind, das sie den Bedrohten nicht helfen können und die Warnung vor der Hölle erfahrungsgemäß eher Abscheu als Respekt auslöst.
Ein weitere schwere seelische Belastung entsteht, wenn man Gläubigen weismacht, sie müssten dennoch missionieren, da sie andernfalls schuld wären, wenn Menschen ewig verdammt würden, und mit strenger Strafe zu rechnen hätten.
Gerade Kinder sind mit ihrer empfindlichen Seele destruktiven Wirkungen des Höllenthemas besonders ausgesetzt. Für eine Kirche, die Kinder unter ihren Einfluss bringen will, ist es sicherlich einfach, mit der Hölle zu drohen und einzuschüchtern, um sie zu einer „Bekehrung“ oder zu frommer Anpassung zu zwingen. Doch vergiftet man damit nicht ihre Seele?
11. Befreiende Wirkung der „Hölle“ bei Paulus
Die Warnung vor der Hölle hatte in der Theologie des Paulus eine völlig unerwartete BEFREIENDE (!) Wirkung.
Die unendlich hohen Forderungen Jesu (Mt 5,48: “Vollkommenheit”) in Verbindung mit einer erstmalig unabsehbar hohen Bestrafung (Mt 25: “ewige Verdamnis”) führten den Kollaps der werkgerechten Frömmigkeit des Phariser Paulus herbei.
Paulus war von fanatischem Eifer für das mosaische Gesetz erfüllt. Das mosaische Gesetz verhieß Segen für ausnahmslose Erfüllung seiner Gebote und Fluch für den Fall der Nichterfüllung. Der Pharisäer Paulus glaubte sich gesegnet und war mit dem Niveau seiner Gesetzeserfüllung zufrieden.
Das änderte sich, als ihm Jesus in einer strahlenden Erscheinung begegnet war. Er traf die Entscheidung, sich diesem Jesus, den er nun als den verheißenen Retter erkannte, zu unterwerfen. Es lag allzu nahe, zunächst die Gebote Jesu zu halten, so wie er die mosaischen Gebote gehalten hatte, um sich des göttlichen Segens zu versichern (Werkgerechtigkeit).
Da gab es nur ein kleines Problem: Jesus forderte von seinen Jüngern Vollkommenheit (Mt 5,48), die Bereitschaft zum totalen Selbstopfer: “wer sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen” (Mt 10,39 / 16,25). Jesus erwartete völlige Selbstlosigkeit.
Paulus scheiterte an den Forderungen Jesu sowohl was die Quantität als auch die Qualität seiner Leistung betraf.
Zur Quantität: Ausdrücklich spricht das mosaische Gesetz davon, dass “alle Gebote” ausnahmslos zu erfüllen sind (5.Mo 27,26). Nur dann wird die Verheißung wirksam. Paulus erkannte: schon die quantitative Erfüllung ist unmöglich, da Jesus Vollkommenheit fordert. (Gal 5,3) Deshalb ist die Verheißung, die das Gesetz in Aussicht stellt, ein Bluff. Sie ist im Grunde genommen ein Todesurteil für jeden Menschen, da keiner es schafft, das Gesetz zufriedenstellend zu erfüllen.
Zur Qualität: Jesus wollte aufrichtige Liebe bei seinen Jüngern, echte Liebe, die freiwillig das Gute um seiner selbst willen tat. Eben das war Paulus nicht möglich, da er ja das Gute tun musste, um eine unendlich schwere Strafe von sich abzuwenden. Schon deshalb musste er am Gesetz verzweifeln (Rö 7).
Auch wenn die zwölf Jünger sich gelegentlich über die Strenge Jesu sehr erschrocken haben (Mt 19,25), so verzweifelten sie dennoch nicht. Sie sahen Jesus jeden Tag und kannten ihn sehr gut. Es war für sie gar keine Frage, dass ihr Meister ihnen die Treue halten würde.
Paulus war der erste Apostel, der nicht an der Seite Jesu wanderte. Da er Jesus nur kurz begegnet war, konnte er keine klare Vorstellung vom Charakter Jesu bilden und war deshalb dem ganzen Schrecken einer unendlich strengen Strafe ausgesetzt.
In den Jahren der Stille, die auf seine Bekehrung folgten, wurde ihm aber klar, dass Jesus für ihn einen Ausweg aus dem Dilemma hatte und dass dieser Ausweg auch die Not mit dem Gesetz für die ganze Gemeinde ein für allemal vermeidbar machte.
Nun wird von manchen Theologen sehr viel Unsinn über Paulus geschrieben. Manche sind ja der Ansicht, dass der Gläubige grundsätzlich erst einmal am Gesetz verzweifeln muss, “um zur Gnade durchzudringen”. Das ist Unsinn! Paulus war diese Not zuzumuten. Es war für ihn nicht ungerecht, denn er war für viel Leid und Not verantwortlich, die er durch Verfolgung über die Gemeinde gebracht hatte.
Wenn Gläubige am Gesetz verzweifeln, so ist dies unfair und ungerecht! Denn man hat sie zum christlichen Glauben eingeladen mit der Zusage, dass Jesus das Schuldproblem zuverlässig lösen würde. Wenn sie dann Christen werden, Christus nachfolgen wollen, aber sich ständig überfordert und unter Druck gesetzt sehen und in dieser Verzweiflung ihre Nerven verschleißen, dann werden sie sich zu Recht als betrogen betrachten. Die Verzweiflung am Gesetz ist schon deshalb ungerecht, weil sie fast immer die Falschen trifft (Sorgfaltsparadox).
Kein Christ muss dank der Erkenntnisse des Paulus mehr am Gesetz verzweifeln. Verzweifelt er doch, dann ist ihm durch unberufene Theologen falsche Lehre vermittelt worden.
Jesus machte Paulus klar, dass die Verdienstlogik nicht funktioniert und auch noch nie funktioniert hat, d.h. auch zu Zeiten des mosaischen Gesetzes nur eine fromme Illusion gewesen ist. Es ist eine Sünde, auch nur ein einziges Gesetz aus falschen Motiven zu erfüllen, beispielsweise um sich selbst vor der Strafe Gottes zu retten. Liebe ist das höchste Gebot und wer wirklich liebt, tut nichts aus Eigennutz (1.Kor 13,5).
Ein einziger hat das Gesetz erfüllt, das ist Jesus Christus (Jo 8,46). Und der Gläubige, der sich mit Jesus Christus verbindet, sich ihm anvertraut, dem wird all das, was Christus tat, zugerechnet (Rö 4,11 / Gal 3,6). Die Rechnung ist bezahlt: für gestern, heute und morgen.
Mit Christus verbunden sein, heißt aber, dem heiligen Geist, der jedem Gläubigen geschenkt wurde, Raum geben, bereit sein, sich von ihm zeigen zu lassen, wo man den Willen Gottes freiwillig, aus Überzeugung und aus uneigennütziger Liebe tun kann (Heiligung). Diese Haltung stärkt die Glaubensgewissheit, die Gotteserkenntnis und die Glaubensfreude und die Verbundenheit mit anderen Christen.
Ohne die Worte Jesu von der Hölle hätte Paulus dieses neue Konzept niemals erkannt, sondern das Evangelium von Jesus Christus einfach im alttestamentlichen Sinne missverstanden.
Auch heute fällt es manchen Theologen schwer, sich von solchen Missverständnissen zu lösen. (siehe “Giftige Theologie“)
Sehr geehrte Damen und Herren!
Vielen Dank für IHRE Auslegung der Bibel, die ich leider immer noch nicht im Kontext zu lesen geschafft habe. Ich darf es vielleicht nicht sagen aber ich habe Angst vor der Bibel, egal ob Altes oder Neues Testament. Aber so wie Sie es erklären, ist es jedenfalls erträglich. Vor zwei Tagen las ich ein paar Stunden lang die Drohbotschaft des Herrn Meusel, die mir Magenschmerzen verursacht und mich zwei Tage nicht hat richtig beten lassen. Ich hatte vor dem Allmächtigen, der „vor Zorn über die sündige Menschheit tobt“ (obwohl ich es Ihm nachfühlen kann) solche Angst bekommen, dass meine Liebe zu ihm zwei Tage ver-schwunden war. Es ist jetzt besser. Vielen Dank bis zum nächsten Mal, hoffentlich.
Liebe Schwester M.,
Schutzgelderpressung mit der Bibel ist ein gewissenloses widerliches Geschäft, das ehrlich bemühten Christen alle Freude und Liebe kaputtmachen kann. Ich bin froh, dass Sie die Machenschaften des Herrn Meusel rechtzeitig durchschaut haben. Lieben Gruß Bruder Benignus