Am Reformationstag wird in christlichen Gemeinden üblicherweise über Luther gepredigt. Unisono wird er als unerreicht großes tadelloses Vorbild gepriesen, dem der Gläubige nachzueifern hätte: Luther als Vorkämpfer der Menschenrechte, Luther als maßgeblicher Versteher und Interpret der Bibel, Luther als Befreier aus der Gewissensnot.
Luther hat Bewunderungswürdiges geleistet – zweifellos. Er hat gewagt, den Machtmissbrauch der kirchlichen Systems in Frage zu stellen, er war bereit, sein Leben für seine Überzeugung aufs Spiel zu setzen, er hat sicher auch wichtige Rechte des Gläubigen erkämpft, nicht zuletzt das Recht, die Bibel ohne kirchliche Bevormundung zu lesen, er hat in unendlichem Fleiß die Heilige Schrift übersetzt und in ebenso großem Fleiß und Gedankenreichtum interpretiert. Zweifellos wahr! Insoweit auch ein Vorbild für den Gläubigen.
Doch es ist nur die halbe Wahrheit – leider. Luther bekämpfte den Papst kompromisslos – das ist die eine Seite der Medaille. Doch zuletzt war er sein eigener Papst. Er forderte in seinem Schriften, baptistische Glaubensbrüder dem Henker zu überliefern, ja er verstieg sich sogar zu dem Satz: „selbst wenn sie das reine Evangelium predigen würden, ja selbst wie der Engel Gabriel vom Himmel herab sprechen würden, ohne die Erlaubnis des (evangelischen) Landesherrn zu haben, sollten man sie Meister Hansen (= dem Henker) übergeben.“
Sobald Luther auf die Unterstützung der Fürsten zählen konnte, wandte er diese Macht hemmungslos an, um seine Sicht der Bibel als die allein seligmachende Version konkurrenzlos durchzusetzen.
Seine lutherischen Anhänger verfolgten Baptisten und Mennoniten mit aller Grausamkeit, vertrieben sie von Haus und Hof oder ermordeten sie. Erst 500 Jahre später hat sich die lutherische Kirche bei der mennonitischen dafür entschuldigt. Aber immerhin. Zweifellos irgendwie logisch: wer anders denkt, denkt gegen Gott, gefährdet das Heil der Ungefestigten, und deshalb muss man ihn schweren Herzens zwar, aber „aus Liebe“ vorbeugend aus dem Weg räumen.
Luther hat das kirchliche Ablasswesen bekämpft und diese Version des Gewissensterrors überwunden. Doch andererseits fühlte er sich in sklavischer Weise an den einzelnen Buchstaben der Bibel gebunden. Mit dem Bibelwort: „der Buchstabe tötet“ (2.Kor 3, 17) konnte er offensichtlich sehr wenig anfangen.
Beim Marburger Abendmahlsstreit vertrat Luther die Anschauung, das Brot verwandle sich tatsächlich in das Fleisch Christi, der Satz „Das ist mein Leib“ könne nur wörtlich verstanden werden. Der Reformator Zwingli war dagegen der Ansicht, diese Sicht wäre gottlos und frivol, der Satz könne nur symbolisch verstanden werden. Da man sich nicht einigen konnte, stand es am Ende fest: „Ihr habt einen anderen Geist.“
Gläubige, die „einen anderen Geist haben„, haben nicht den Geist Christi, allenfalls einen, der dem echten zum Verwechseln ähnlich sieht und deshalb besonders gefährlich ist. Es war nur folgerichtig, dass man sich von solchen Verführern distanzierte und es gerne sah, wenn sie zugrundegingen.
Für den Reformator, der alles so verbissen wörtlich nahm, wurden nicht nur Täufer und andersdenkende Evangelische zum roten Tuch, sondern auch die Juden. So steht es ja bei Johannes geschrieben: „es waren die Juden, die IHM nach dem Leben trachteten.“ (Jo 6,18 / 7,1). Folgerichtig empfahl Luther in einer Schrift als vorbeugende Maßnahme, den Juden die Synagogen über dem Kopf anzuzünden, ihre Bücher zu verbrennen, ihre Häuser zu zerstören, und sie auf öffentlichen Straße nicht mehr gegen Überfälle zu schützen. (Weimarer Ausgabe (WA) 53,523,1 ff.)
Leider kam er nicht auf die Idee, dass die pauschale Titulierung „die Juden“ in einer Zeit gewählt wurde, in der das Römische Reich Christen als Staatsfeinde verdächtigte und verfolgte, dass es sich also um eine zeitbedingte Formulierung handeln könnte, mit der man ganz deutlich machen wollte, dass nach christlicher Sicht keinesfalls die Römer am Tod Jesu schuld waren.
Die Frage liegt doch nahe: wieviel kann jemand, der so mit seinen Mitchristen und Mitmenschen umgeht, von christlicher Freiheit verstanden haben ? Sollten wir da wirklich noch optimistisch sein dürfen?
Psychiatern ist es indes schon lange bekannt: Das Werkgerechtigkeits- und Heilsgewissheitsproblem, die Verzweiflung am Gesetz existiert nicht nur in der katholischen, sondern weiter auch in der evangelischen Kirche – wird allerdings in vielen Gemeinden verharmlost oder geleugnet (siehe dazu unsere diesbezüglichen Untersuchungen).
Folgerichtig weisen die Ausführungen etlicher evangelikaler Autoren zum Thema schwerste handwerkliche Fehler auf wie z.B. der von der Freien Theologischen Hochschule Gießen veröffentlichte Aufsatz zur „Gesetzlichkeit“. Wir haben eine Broschüre „Wenn Hilfe schadet“ dorthin geschickt, die diese Fehler im einzelnen nannte. Wie man es nicht anders kennt aus solchen Institutionen, kam wieder keine Antwort.
Luther hat viel über „Freiheit“ geschrieben. Kaum bekannt ist, dass er in seinen Tischreden einmal zugab, dass er mit der Unterscheidung von “Gesetz und Evangelium“, d.h. von Heiligung und Werkgerechtigkeit immer noch Probleme hatte und hat dieses Unvermögen kurzerhand jedem Menschen unterstellt. “Kein Mensch auf Erden ist, der da kann und weiß das Evangelium und Gesetz recht zu unterscheiden. Wir lassen es uns wohl dünken, wenn wir hören predigen, wir verstehen es; aber es fehlet weit, allein der heilige Geist kann diese Kunst. … Ich hätte wohl auch gemeint, ich könnte es, weil ich so lange und so viel davon geschrieben habe; aber wahrlich, wenn es ans Treffen geht, so sehe ich wohl, dass es mir es weit, weit fehlet! Also soll und muss allein Gott der heiligste Meister und Lehrer sein!” (Martin Luther, Tischreden, ausgewählt von Karl Gerhard Steck, München 1959, S.42.)
Sah er nicht die Tragweite dieses Unvermögens ? Nach Gal 5,4 hat der Gläubige, „der durch das Gesetz gerecht werden will, Christus verloren.“ Wie soll der Gläubige jemals zur Heilsgewissheit gelangen, wenn er angeblich gar nicht imstande ist, sich von Gesetzlichkeit fernzuhalten. Paulus war übrigens anderer Ansicht. Für ihn war Gesetzlichkeit „Sauerteig“ (Gal 5,9), der restlos entfernt werden musste. Das setzt voraus, dass man Gesetzlichkeit deutlich erkennen kann.
Mit Hilfe der wichtigsten Gebote „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Treue und Redlichkeit“ (Mt 23,23) kann jede Form von gesetzlicher Gefährdung mit hinreichender Präzision erkannt werden. Auf unserer Seite identifizieren und beschreiben wir unter der Überschrift „Giftige Theologie“ folglich nicht nur die Erpressung durch ein Ablasssystem, sondern mehr als 30 weitere weit verbreitete Erscheinungsformen der Verknechtung durch den Buchstaben.
Nicht zuletzt verdanken wir Luther eine servile, würde- und charakterlose Glaubensauffassung, die noch heute für viele Anhänger der Chikago-Erklärung typisch ist (Helge Stadelmann, Rektor der „Freien“ Theologischen Hochschule Gießen, versteigt sich sogar dazu, diese Auffassung als Richtschnur für ein angeblich „evangelikales Schriftverständnis“ zu zitieren) „Der Glaube sagt so: ich glaube dem Gott, der da spricht. Was spricht er ? Unmögliches, Verlogenes, Unsinniges, …Verächtliches, Teuflisches – wenn du die Vernunft befragst. Der Glaube opfert die Vernunft und tötet diese Bestie – diese schärfste und heilloseste Feindin Gottes.“ (Helge Stadelmanns, „Evangelikales Schriftverständnis“, Hammerbrücke, 2005, S.33)
Gott spricht Unmögliches ? Kein Problem für mich das zu glauben: Gott hat die
Welt erschaffen und kann sie auch mit Wundern reparieren. Gott spricht Unsinniges ? Kein Problem für mich das zu glauben: ich bin nicht Doktor Allwissend und muss nicht alles verstehen !
Gott spricht „Verlogenes, Teuflisches„ ?! Tja, lieber Dr. Luther, da können wir dir nur
gratulieren, dass deine Heilsgewissheit nicht durch teuflische Aussagen ins Wackeln
kommt. Das ist nicht jedem gegeben. Nicht jeder ist Optimist. Wenn Gott mit einzelnen Menschen teuflisch umgeht, bloß weil es ihm beliebt, wem er nur nach unserem Verständnis barmherzig ist, wenn er dazu gerade mal Lust hat, welche Chancen kann sich der einzelne Gläubige da noch ausrechnen ?
Wir haben es von Jesus nicht so gelernt, der uns Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Treue und Redlichkeit als Gebote mit höchster Priorität vorstellte (Mt 23,23). Wenn der Gläubige sich um Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bemühen soll, dann ist vorausgesetzt, dass er dafür das nötige Verständnis hat. Die Bibel sagt es selbst: „Der geistliche Mensch versteht ALLES und wird von niemandem beurteilt. Denn wer hat den Herrn verstanden … Wir aber haben Christi Sinn !“ 1.Kor 2,15+16)
Gläubige, den den Heiligen Geist haben und ihm Raum geben, können sehr wohl beurteilen, ob eine Bibelstelle und -auslegung den Maßstäben der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit genügt oder nicht, auch wenn der Herr Doktor Luther sich das nicht vorstellen kann. Und jeder Gläubige, der dem Heiligen Geist Raum gibt, wird zu dem Ergebnis kommen, dass es gewisse Punkte gibt, wo man Dr. Martin Luther ungeachtet aller großen Verdienste entschieden widersprechen muss.
Insbesondere kann eine Theologie von Dr Luther, die uns Teuflisches nahelegt, niemals einen höheren Rang haben als das Gebot, barmherzig zu sein, das als „wichtigstes Gebot“ von Jesus qualifiziert ist. Man muss sich schon entscheiden: ist Barmherzigkeit das wichtigste oder das obskure „Schriftverständnis“, das uns Luther nahelegt ?
Wer im Zweifel ist, ob Luthers Worte destruktiv und ungenießbar sind, sollte den Blick auf die Früchte richten, denn „an den Früchten kann man es erkennen“ (Mt 7,16): die Früchte der Auffassung Luthers waren jahrhundertelange Judenverfolgung unter Berufung auf die Bibel, massenhafter Mord an andersdenkenden Christen durch entschiedene Lutheraner. (Quelle)
Nach 30 Jahrigem Glaubenskrieg war die Autorität der Kirche verschlissen – (muss man sagen: gottlob ?). Die Menschen besannen sich auf ihre Vernunft. Auch dieser Gebrauch musste erst gelernt werden. Es gab schreckliche Verirrungen. Doch von gewissen großen Errungenschaften profitieren wir bis heute: die Trennung von Kirche und Staat, der Schutz der persönlichen Glaubensüberzeugung, die Ächtung der Diskriminierung Andersdenkender.
Wenn wir in andere Länder blicken, die diese Errungenschaften noch nicht haben, sich quasi geistig noch im Mittelalter befinden, dann gruselt es uns.
Diese Einsicht würde ich von einer Predigt zum Reformationstag erwarten. Doch was wird angeboten ? Immer wieder das, was so gut wie jeder ohnehin weiß, und was in etwa dem Luther-Spielfim mit Joseph Fiennes in der Hauptrolle (2003) entspricht. Vorgetragen von Personen, die zwecks Ausübung ihres Berufes jahrelang Kirchengeschichte studiert haben. Wozu eigentlich, wenn am Ende nur das Niveau erbaulicher Anekdoten gefragt ist ?
Was tuts. Das Volk will was Festliches hören, und wird durch tiefergehende Einsichten nur verstört. So bleibt denn alles, wie es ist – am Reformationstag.
P.S.-1/3 Eine ausführlichere Schilderung der dunklen Seiten Luthers findest der Leser unter der Adresse: http://kath-zdw.ch/maria/Evangelisch.Reformiert/dunkle.seite.luther.html
Auch wenn hier Katholiken kein gutes Haar an Luther lassen: Leider sind die Berichte wahr. Und doch wird hier ein schiefes Bild vermittelt. Denn Grausamkeit ist nicht eine spezielle Eigenschaft Martin Luthers, sondern in der damaligen Zeit auch seitens der katholischen Machthaber völlig selbstverständlich. Wer von der katholischen Lehre abwich, wurde gefoltert und bei lebendigem Leib verbrannt. Über die jahrhundertelange Grausamkeit der katholischen Kirche berichtet ausführlich Karlheinz Deschners Kriminalgeschichte des Christentums. Wenn Luthers böse Taten den evangelischen Glauben „widerlegen“, dann darf auch die katholische Kirche ihren Glauben dank der von ihr selbst verübten Verbrechen als widerlegt betrachten.
P.S.-2/3 Der zitierten katholischen Quelle genügen die Berichte über Martin Luther noch nicht: sie verweist auf eine angebliche Vision der Seligen Schwester Maria Serafina vom Heiligsten Herzen Jesu: sie hätte Luther gesehen „von Dämonen umringt, die versuchten, ihm mit Hämmern einen Nagel in den Kopf zu treiben.“ Was wird nicht alles erzählt! Wie ähnliche Wahnvorstellungen bei Nahtoderlebenissen entstehen können, erläutert der Kommentar vom 20.März 2019 zum Beitrag https://matth2323.de/betreff-zeugnisse-ueber-himmel-und-hoelle/.
P.S. -3/3 An die Kontaktadresse der katholischen Website wurde am 23.3.2019 folgendes Mail geschickt:
Sehr geehrter Herr Hochw. Pfarrer Bernward Maria Weiss,
ich habe Ihre Webseite http://kath-zdw.ch/maria/Evangelisch.Reformiert/dunkle.seite.luther.html besucht. Was dort über Martin Luther gesagt wird, ist historisch gut bezeugt.
Leider fällt es vielen evangelischen Christen immer noch schwer, die dunkle Seite des allseits geschätzten Reformators zu sehen. Das ist schlecht: denn Christen sind der Wahrheitsliebe verpflichtet. Die Heilige Schrift sagt: „die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit“ (1.Kor 13,6)
Dennoch: Wir Deutschen verdanken ihm die Bibel und das Recht sie in eigener Sprache zu lesen. Auf diese Weise ein Stück haben Gläubige die Chance, ein Stück freier von Bevormundung und Täuschung zu sein. Sollte man nicht dieses kleine Verdienst anerkennen können?
Sie lassen in Ihrem Bericht an ihm ja gar kein gutes Haar.
Wenn Sie seine bösen Taten kritisieren, soll der Leser dann daraus schließen, dass die katholische Kirche zu der damaligen Zeit ein Hort der Humanität gewesen ist? Ist Ihnen nicht bekannt, wieviele Menschen die Kirche bei lebendigem Leib hat foltern und verbrennen lassen? Darunter Menschen, deren einziges „Verbrechen“ es war, dass sie in ihrer naturwissenschaftlichen Erkenntnis ihrer Zeit weit voraus waren?
Heute ist die evangelische Kirche um Humanität bemüht. Auch die katholische Kirche vergießt kein Blut mehr im Namen Gottes.
Wäre es nicht ein Zeichen der Liebe und der Fairness, wenn Sie das, was Luther nun unbestreitbar an Verdiensten aufzuweisen hat, anerkennen und positiv erwähnen könnten: zuallererst das Recht jedes Gläubigen, eine eigene Bibel zu besitzen und zu lesen.
Wäre das nicht im Sinne Jesu, der möchte, dass seine Jünger aufrichtig sind?
Mit freundlichem Gruß
Bruder Benignus