Darüber wird nicht gesprochen?

Biblische Texte werden nur mit dem Herzen verstanden und richtig eingeordnet. Der Kopf darf das Herz nicht bevormunden. Und wer mit dem Herzen liest, deutet alles, was er liest, im Sinne der göttlichen Maßstäbe „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Verlässlichkeit (Mt 23,23)

Von  etablierten buchstabenhörigen Theologen wird diese Reihenfolge gerne umgedreht. Der Kopf bevormundet das Herz. Der Kopf macht aus der Bibel ein frommes System, in dem die Maßstäbe Jesu nur eine sehr eingeschränkte Gültigkeit haben. Das ist dumm. Welches Recht haben Theologen, Gehorsam und Anpassung einzufordern, wenn sie selbst die wichtigsten Gebote Jesu relativieren?

Vorsicht!
Frommer Wahn!

Selbstsicher behaupten sie, dass die Bibel „absolute Autorität“ habe. Was sie sagt, sage Gott. Jede Relativierung ihrer Aussagen sei abzulehnen.

Tatsächlich? Buchstabenhörige Theologen relativieren, d.h. missachten wenigstens zwei gravierende Gebote des Neuen Testamentes selbst – und zwar ständig, konsequent und gewohnheitsmäßig. Nach ihrer Ansicht sollte darüber besser nicht gesprochen werden, aber ich tue es trotzdem: 

Der erste Verstoß: die etablierte Elite der „Glaubensverteidiger“ missachtet ganz selbstverständlich das dreimal von Jesus ausgesprochene Verbot, sich mit theologischen Titeln hervorzutun. Warum ist dieses Verbot wichtig? Ist es  falsch, einen akademischen Grad anzustreben? Wohl kaum. Doch im Fach  Theologie sollte es vermieden werden. Warum?

Jesus war es wichtig, dass religiöse Autorität nicht durch angelerntes Wissen, durch Intellektualismus und durch blinde Anpassung an Traditionen entsteht.

Ist das Titelverbot 100% richtiger und vollkommener Gotteswille, dann ist er auch absolut verbindlich! Sollte man meinen!

Hören wir noch einmal im Detail, was Jesus dazu klar und deutlich gesagt hat: „Sie sitzen gern obenan beim Gastmahl und in den Synagogen und haben es gern, dass sie auf dem Markt gegrüßt und von den Leuten „Rabbi“ genannt werden. Aber ihr sollt euch nicht „Rabbi“ (hebräisch: „Lehrer“) nennen lassen; denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemand euren Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater: der im Himmel.  Und ihr sollt euch nicht „Lehrer“ nennen lassen; denn einer ist euer Lehrer: Christus. Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen!“ (Mt 23,6-14)

Das ist – nach Überzeugung buchstabenhöriger Gläubiger der „unfehlbare Text“, ein aus guten Gründen entstandener sinnvoller Text. Sinnvoll, weil er die Bevormundung durch den Kopf abwehren soll. Ein klarer, ein deutlicher Befehl, der später nirgends aufgehoben wurde. Müsste in solcher Befehl, mehrfach wiederholt, klar und auch einleuchtend, nicht konsequent beachtet werden? Besteht darüber irgend ein Zweifel? Dreimal hat Jesus dieses Titelverbot wiederholt.

Dennoch ist es an theologischen Hochschulen, die sich als „bibeltreu“ verstehen, völlig selbstverständlich, dass die Lehrer sich mit Titeln schmücken, die alle irgendwo eine Variante des Wortes „Rabbi“ (hebräisch: „Lehrer“) sind.  Die auffälligste Variante dürfte wohl der Titel „Master of Divinity“ sein. Meister der Göttlichkeit. Die durch solche Meister, durch Doktoren (doctor = lateinisch: „Lehrer“) und Professoren belehrten Gläubigen sollen nun annehmen, dass man von ihnen die zuverlässigste Information über Jesus und über den Glauben bekommt. Das Schmücken mit Titeln ist ja der Nachweis für eine lange Kriechspur in einer Ausbildung, die dem Kopf deutlichem Vorrang vor dem Herzen zuerkennt. Dieser Nachweis soll dann Autorität bei Christen und Nichtchristen erzeugen. Wenn auch eine Autorität, die Jesus absolut nicht wollte.

Wird dadurch etwas deutlich? Was zeigt uns das? Es geht bei buchstabenhörigen Gläubigen traditioneller Prägung gar nicht um Wahrheit, um das Recht, um Gehorsam gegenüber hilfreichen Weisungen. Es geht um „Unterwerfung“ um das Einüben von Anpassung an die Ideologie einer Glaubensgemeinschaft, der man das Nachprüfen abgewöhnt hat.

Um Unterwerfung einzuüben ist nichts besser geeignet, als schizophrene Inhalte. Einer plappert vor, die anderen plappern nach. Auch eine offensichtliche Lüge schadet nichts. Je dreistere Lügen willig geduldet werden, desto tiefer die Ergebenheit. Was schizophrene Inhalte in der Seele junger Menschen anrichten… wer fragt danach? Um diese Frage zu beantworten, bräuchte man ja Klarheit, die hier so schwer zu finden sein dürfte wie ein schwarzes Stück Papier in absoluter Finsternis.

Dabei hat Jesus gewarnt, dass das “Nehmen von Ehre” glaubensunfähig macht. „Wie könnte ihr glauben, die ihr Ehre von anderen nehmt?“ (Joh 5,44) Je mehr der lebendige Glaube verkümmert, desto größere Bedeutung gewinnt der penetrante Kult um das Dogma, mit dem eine scheinbare Glaubensgewissheit befestigt werden soll.

Wundert es, dass das Ergebnis eine schiefe Wahrnehmung ist? Denn es sind ja die geringsten Gläubigen, die nach Gottes Willen die meiste Ehre und Aufmerksamkeit erhalten sollen. (1.Kor 12,22-24)  Dazu gehören auch die Gläubigen, deren Seele durch theologischen Missbrauch schwer geschädigt worden sind. Erst indem man ihre aus dem Leid gewonnenen Erkenntnisse ernstnimmt und tragfähige Antworten sucht, erhält man die Klarheit, wie viele Bibelworte einzuordnen sind. Wenn Theologen die Absicht haben, diese Menschen im Stich zu lassen, um das Heil für die Gemeinde ohne sie zu finden, so ist das grauenvollste Vermessenheit.

Ein Schriftgelehrtentum, das sich nichts mehr sagen lässt, das schwere seelsorgerliche Versäumnisse nicht mehr korrigiert, sondern wie selbstverständlich bestehen lässt, wird geistlich blind. Schlimmer noch, es wird vielen anderen dabei helfen, genauso blind zu werden. (Mt 15,14) Es wird Berge von Papier bedrucken, ganze Bibliotheken vollschreiben und dennoch unglaubwürdig sein.

Wie viele Gläubige machen den Unsinn gerne mit, dass sie diese „Glaubenselite“ tatsächlich mit Bewahrern des Glaubens verwechseln, sich an ihnen orientieren und sie Richtlinien für die Gemeinden und Werke verfassen lassen, wie die Bibel zu verstehen sei. Und wie viele Gläubige an der Armutsgrenze spenden auch noch ihr Scherflein an solche Institutionen, die damit die vergleichsweise hohen Gehälter ihrer „Glaubenslehrer“ finanzieren.

Was hatte denn „Doktor“ Luther den Gläubigen zu sagen, wie nach seiner Ansicht die Bibel zu verstehen sei? Wie nah kam er der Wahrheit, dass die Bibel mit dem Herzen gelesen werden muss statt mit dem Kopf?

Originalton Luther:  „Der Glaube sagt so: ich glaube dem Gott, der da spricht. Was spricht er? Unmögliches, Verlogenes, Unhaltbares, Verächtliches, Ketzerisches, Teuflisches – wenn du die Vernunft befragst” (W.A. 40I,361.1) “Der Glaube opfert die Vernunft und tötet diese Bestie … diese schärfste und heilloseste Feindin Gottes.” (362,15) Das war wirklich eine Meisterleistung. Nachdem Luther „die Bestie Vernunft“ in seinem Denken beseitigt hatte, konnte er mit „gutem Gewissen“ zum Massenmord an Wiedertäufern, Andersdenkenden und Juden aufrufen.

Das schauerliche Glaubensbekenntnis Luthers wird von etlichen buchstabenhörigen Theologen wie Prof. Dr. Helge Stadelmann (in seinem Buch “Evangelikales Schriftverständnis”, Hammerbrücke 2005, S.33)  allen Ernstes als Vorbild für die “evangelikale Bibelauffassung” präsentiert. Ist der Mann noch zu retten?

Sind das nicht denkbar schlechte Voraussetzungen für den Auftrag, die Bibel „mit Herz“ und einem Sinn für Barmherzigkeit zu lesen, dem „Sinn Christi“ (1.Kor 2,16) ? Doch wem fällt das noch auf?

Der zweite Verstoß:  Auch hier wieder dasselbe: wieder wird ein als „irrtumslos“ deklariertes Gebot außer Kraft gesetzt. Das – nach buchstabenhöriger Sicht – irrtumslose Gebot des Paulus Streitigkeiten zwischen Gläubigen vor gläubigen Schiedsrichtern zu klären, hat in bibeltreuen Gemeinden überhaupt keine Bedeutung.  „Wie kann jemand von euch wagen, wenn er einen Streit hat mit einem anderen, sein Recht zu suchen vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen? Oder wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Wenn nun die Welt von euch gerichtet werden soll, seid ihr dann nicht gut genug, über so geringe Sachen zu richten? Wisst ihr nicht, dass wir über Engel richten werden? Wie viel mehr über Dinge des täglichen Lebens. Wenn ihr nun über diese Dinge richtet, nehmt ihr dann solche, die in der Gemeinde verachtet werden, und setzt sie als Richter ein? Euch zur Schande muss ich das sagen. Ist denn gar kein Weiser unter euch, auch nicht einer, der zwischen Bruder und Bruder richten könnte?  Sondern ein Bruder rechtet mit dem anderen, und das vor Ungläubigen!“ (1.Kor 6,1-6).

Wie kann es jemand wagen? Alle wagen es und es ist völlig selbstverständlich, dass man es wagt. Oder will jemand bestreiten, dass in bibeltreuen Gemeinden zu 99% gar keine geistliche Rechtsprechung stattfindet (Eine Ausnahme dürfte so selten sein wie sonst etwas). Es besteht nicht einmal ein Interesse daran, zu erkunden, wie das aussehen könnte. Unser Arbeitskreis hat sich dazu viele Gedanken gemacht (Details), aber … wir haben nicht eine einzige bibeltreue Gemeinde gefunden, die sich dafür interessiert hätte. Wen immer man fragte, man hat dankend abgelehnt. Kein Bedarf. Da es also überhaupt keine geistliche Schiedsgerichtsbarkeit gibt, ist das regelmäßige Ergebnis, dass die Gemeinde im Schadensfall untätig bleibt, sich folglich der Stärkere durchsetzt und der  Geschädigte auf seinem Schaden sitzen bleibt, falls er nicht doch zu einem weltlichen Gericht geht.

Auf meine Anfrage bei einem der tonangebenden buchstabenhörigen Theologen (mit sehr vielen Titeln), weshalb sich bibeltreue Gemeinden so gut wie gar nicht an die Vorschrift des Paulus halten, wurde ich an eine christliche Webseite verwiesen, wo ein „christlicher Rechtsanwalt“ sich bereit erklärte, den Betroffenen bei einer Klage vor einem weltlichen Gericht zu vertreten. Das war die „Antwort“, obwohl Paulus ausdrücklich erklärt hatte, dass nicht durch weltliche Richter nach weltlichem Recht entschieden werden sollte, sondern geistliche Weisheit in Anspruch genommen werden soll. Daraus machten buchstabenhörige Theologen nun eine Werbeplattform für einen Rechtsanwalt, der auf diese Weise noch zusätzlich zahlende (!) Kunden sammeln kann. Abwegiger geht es wohl kaum.

Solche und andere krumme Touren findet man bei den etablierten Theologen buchstabenhöriger Prägung zuhauf. Die Liste ihrer Lügen und faulen Tricks ist lang, die ganz selbstverständlich und ohne Reue betrieben und leider, leider von sehr vielen Gläubigen, die über das Niveau eines unselbständigen  „betreuten Glaubens“ nie hinausgekommen sind, akzeptiert werden.

Es gibt für das Problem eine einfache Lösung. Zunächst ganz unpositioniert diese Erkenntnis: Man kann offensichtlich das Verbot des Paulus, obwohl es streng und ausnahmslos formuliert ist, für die heutige Praxis nicht übernehmen. Obwohl es dem Gläubigen den Vorteil einer weiseren Entscheidung bieten soll, obwohl es so streng formuliert ist, wird es entsprechend allgemeiner Einsicht ignoriert. So als ob es nie aufgeschrieben oder gesagt worden wäre.

Erweiterte Erkenntnis: Gibt es ein einleuchtendes Argument, dass der gläubige Christ nur diese eine absolut und streng formulierte Aussage der Bibel unbeschadet ignorieren darf? Das Argument das hier  am schwersten wiegt, ist die Feststellung, dass die Gemeinden sich damit überfordert sehen. Man tut nicht einmal das, was man tun könnte

Kann mit diesem Argument auch den Gebrauch von Titeln rechtfertigen? Wohl kaum. Jesus geht es ja darum, dass das Herz die Bibel richtig versteht, während die Gelehrsamkeit dem Kopf den Vorrang gibt. Jesus geht es darum, dass jeder Gläubige Gehör findet, der die Bibel mit dem Herzen liest, auch wenn er keinen Titel hat. Je mehr sich die „rechtgläubige“ schriftgelehrte Elite heute mit verbotenen theologischen Titeln schmückt, desto weniger wird ihre Unehrlichkeit zum Zweck der Einflusssicherung hinterfragt. Desto mehr werden Schizophrenie, Anpassung und Unterwerfung gedeihen. Deshalb gibt es keine triftigen Argumente gegen das Titelverbot in der Gemeinde.

In der Bibel sind wir nun nicht nur mit ermutigenden, frohmachenden, Gewissheit schenkenden Informationen, sondern manchmal auch mit unerträglichen, psychisch sehr belastenden Aussagen konfrontiert. Aussagen, die anzudeuten scheinen, dass von den Maßstäben Christi „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ (Mt 23,23)  Abstriche gemacht werden dürfen. Das aber kann nicht geschehen, ohne dass das Vertrauen Schaden nimmt..

Kann uns eine Schriftgelehrten-Elite, die in Erklärungsnot gewohnheitsmäßig zur Lüge und Manipulation greift, verlässlich sagen, wie wir damit sinnvoll umgehen sollen?  Gewinnt man wirklich Sicherheit in der Erkenntnis, indem man wie sie Gläubigen den Glauben abspricht, die genauer in den Text hineinschauen und ihr Herz fragen?

Jesus sagte, dass er selbst der unmittelbare Lehrer des Gläubigen sein will. „Einer ist euer Meister“ (Mt 23,8) Jesus allein! In Verbindung zu ihm allein – im Kraftstrom seiner Liebe und Barmherzigkeit – können Worte der Schrift wie Positionslichter aufleuchten und Orientierung geben. Darum geht es!

Wenn wir uns hier mit schwierigen Aussagen der Bibel befassen, so haben wir nicht die Absicht, anderen vorzuschreiben, wie sie zu verstehen sind. Wir üben nur die Aufgabe des Gläubigen aus, „alles zu prüfen“ (1.Thess 5,21) und nach bestem Wissen und Gewissen „zu berichten, was wir gesehen“ und entdeckt und verstanden haben. (1.Joh 1,1) Da ist es selbstverständlich, dass wir auch unsere Beiträge durch die Leser prüfen lassen und gegensätzliche Ansichten veröffentlichen.

Wir werden mit euch starke und hilfreiche Gottesworte und Glaubenserfahrungen teilen.

Wir werden aber auch mit euch versuchen, die Gründe zu erkunden, warum manches in der Bibel so gefühllos hart formuliert wurde, obwohl es in der Glaubenspraxis später gar keine Rolle mehr spielt.

 

 

 

Artikel aktualisiert am 16.02.2022

2 thoughts on “Darüber wird nicht gesprochen?”

  1. Tatsächlich ist es so dass der Buchstabe tötet. (2.Korinther 3.6). Große Probleme bereitete mir der Sieben-Tags Adventismus in dieser Hinsicht. Denn sie sind der Meinung dass man nach seiner Bekehrung jetzt jüdisch leben müsse, die Feste Judas feiern und dem Sabbat besondere Aufmerksamkeit schenken müsse, praktisch ein Jude werden muss, um gerettet zu sein. Das habe ich aber in der Heiligen Schrift nirgends gefunden. Das glatte Gegenteil ist der Fall. Also habe ich mich wohl irre machen lassen, denn ich will kein Jude sein. Deshalb ist Gott vertrauen besser und befreit einen von diesen menschlichen Versuchungen durch Religion. (Galater 5.6 denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist.)

    1. Hallo Lebensstern,
      ich finde es interessant, hier in die Apostelgeschichte zu schauen, wo die junge Gemeinde sich intensiv mit der Frage auseinander gesetzt hat, welche Pflichten für die nichtjüdischen Nachfolger/innen Jesu gelten sollten. Beim Apostelkonzil wurde dann entschieden: „Denn es gefälllt dem Heiligen Geist und uns, euch weiter keine Last aufzuerlegen, als… dass ihr euch enthaltet vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht..“ (vgl. Apg 15, 28/29).
      Herzliche Grüße!

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