Im Jahr 2024 wurde an so ziemlich alle Bremer Pastoren sowie an die zahlreichen Glaubensgemeinschaften der evangelikalen Szene in Bremen ein Brief abgeschickt.
Inhalt: Martin Luthers Warnung vor dem Hebräerbrief sei zwar allgemein vergessen, aber dennoch für die Seelsorge absolut relevant und könne Gläubige, die infolge werkgerechter Indoktrinierung ihre Heilsgewissheit verloren haben, entscheidend helfen. Das müsste doch auch im Interesse eines verantwortlich denkenden Seelsorgers liegen. Wie berechtigt diese Warnung auch heute noch für manchen fundamentalistisch geprägten Gläubigen und dessen psychische Gesundheit sein kann, würde meine Untersuchung „Risiko Hebräerbrief“ im Detail zeigen.
Es kam nur eine Antwort. Ein sehr bekannter Bremer Pastor, die Leitfigur einer bekannten Bremer Gemeinde, war am Telefon.
Er fasste sich sehr kurz (und sprach sehr schnell): „Lieber Bruder, sie sind ein Irrlehrer und Verführer. Ich habe Theologie studiert (und Sie nicht!) und kenne mich gut mit dem Thema Heilsgewissheit aus. Weiter ist nichts zu sagen. Sie sind Irrlehrer.“
Bumms!
Damit war das „Gespräch“ zu Ende. Ein Gespräch war es eigentlich nicht, denn er ließ mich überhaupt nicht zu Wort kommen. So habe ich nun seiner Seite Bedeutsames erfahren. Er habe Theologie studiert. Und ich nicht! (Woher er das wohl weiß?)
Zunächst einmal eine rein mengenmäßige Überlegung: wieviel Semesterwochenstunden mag seine Hochschule wohl für das spezielle Thema der Heilsgewissheit und Höllenangst bereitgestellt haben? Nehmen wir den günstigsten Fall an: er hat drei Jahre investiert, um eine Doktorarbeit über genau dieses Thema zu verfassen. Dann wäre es ja fair gewesen, mir den Titel seiner Doktorarbeit zu nennen, damit ich etwas dazu lernen kann. Diese Chance sollte man doch einem Glaubensbruder fairerweise geben, bevor man ihm böse Motive unterstellt und in Bausch und Bogen als Verführer beschimpft.
Den Artikel „Risiko Hebräerbrief“ hat er natürlich nicht gelesen. Hätte er es getan, so hätte er die Gründlichkeit der Untersuchung bemerkt und wäre nicht auf die Idee gekommen, dass ich ein verstockter Mensch bin, der in dilettantischer Weise haltlose Behauptungen zum Schaden seiner Mitchristen aufstellt.
Warum dann diese Sicherheit im Urteil?
Seine Hochschule hat ihm offensichtlich die Überzeugung vermitteln können, dass er auf der gesicherten Basis der dort erlernten Dogmatik berechtigt sei, vernichtende Pauschalurteile über Textbeiträge zu fällen, die von ihm nicht gelesen worden sind.
Dass mit diesem Textbeitrag eine menschenfreundliche Absicht verbunden ist, nämlich einigen Gläubigen aus chronischer Höllenangst herauszuhelfen, erscheint ihm völlig irrelevant.
Warum sollte ihn das Schicksal dieser Menschen interessieren? Wenn ihnen die Dogmatik nicht weiterhilft, so kann ihre Verzweiflung ja mit Psychopharmaka gemildert werden. Diese Empathielosigkeit ist leider für viele gutbezahlte Seelsorger typisch.
Offensichtlich weiß der so selbstbewusste Pastor nicht (und will es auch nicht wissen), wie schrecklich dieses Leid für die Betroffenen und ihre Familien ist. Luther hat die Intensität seiner Angst einmal beschrieben: man könnte es also wissen, wenn man sich wenigstens mit der Biographie des großen Reformators befasst hätte.
Welchen Eindruck soll ich aus diesem „Gespräch“ mitnehmen?
Den Eindruck, dass eine fundamentalistische Theologie Menschen ignorant, gefühllos, überheblich und selbstgerecht macht?
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man zum tieferen Verständnis den Text eines sehr bekannten Humoristen empfehlen: Die Satire von Ephraim Kishon mit dem Titel „Wie man ein Buch bespricht, ohne es zu lesen.“ (Kurzfassung hier „Woran erkennt man einen Sektierer?“)
[ENDE DES BEITRAGS]

Wenn es der Pastor ist, den ich vermute, sollten Sie ihn besser kennenlernen, bevor Sie reagieren. Wer in Jesus ist hat keine Höllenangst oder ? Bevor Sie urteilen, prüfen Sie weitere Aussagen des Pastors. Gott segne Sie
Vermutungen kann ich nicht verhindern. Wer sich angesprochen fühlt, kann ja an dieser Gesprächsplattform teilnehmen, die offen und unzensiert ist und seine Verhaltensweise verteidigen. Leider sind unfaire Manipulationen unter bibeltreuen Bibellehrern sehr gebräuchlich. Schlimm ist, wenn man nichts daraus lernt, wie dergleichen in Zukunft zu vermeiden ist. Wer den Beitrag unter matth2323.de/miese-tricks liest, kann sich ein Bild davon machen, wie mangelhaft die Gesprächskultur in vielen Fällen geworden ist. Letztlich zeigt sich in ideologischer Rechthaberei mangelndes Vertrauen, dass der Heilige Geist einen ehrlichen Sucher das Richtige und Wahre finden lässt. Das Ziel ist doch, gutes Zuhören, faires Argumentieren und ehrliche Selbstprüfung im Austausch zu lernen. Das Ziel, unbedingt in einem Wortstreit das letzte Wort zu haben, ist allzu billig.
Es geht nicht darum, einen Shitstorm gegenüber einem umstrittenen Pastor anzustoßen. Eine bevormundende, unfaire Reaktion, die den Ernst der Lage nicht wahrhaben will, ist leider allgemein üblich in der bibeltreuen Pastorenschaft. Es ist wahrlich ein Skandal, dass Martin Luthers Warnung vor dem Hebräerbrief, die auf eigener leidvoller Erfahrung beruht, auch nach 500 Jahren in „bibeltreuen“ Gemeinden nicht bekannt ist bzw. nicht bekannt gemacht und überprüft werden darf. Die schädliche Wirkung bestimmter Aussagen wird immer wieder von Gläubigen heute, die verzweifelt um Heilsgewissheit ringen, bestätigt. Dennoch interessiert das Schicksal dieser Geschwister kaum jemand. Üblicherweise wird mit Bevormundung, Verdrängung, und mit gedankenlos nachgeplapperter Dogmatik reagiert, nur weil man in seiner Selbstgerechtigkeit zu bequem ist, die eigene fromme Prägung auf den Prüfstand zu stellen. Wer lehrt, muss das Urteilsvermögen üben, mit dem jeder geistlich gesinnte Gläubige ausgestattet wird (1Kor 2,15). Er muss nachvollziehbar und ehrlich Rechenschaft für seine Behauptungen geben können und bereit sein, stärkere Argumente anzuerkennen. Insbesondere ist er zur Überprüfung verpflichtet (Gal 1,8), ob überlieferte Texte den Sauerteig der Selbstgerechtigkeit und Selbsterlösung enthalten, um seine Hörer vor solchen Fehlentwicklungen zu bewahren. Dazu braucht er die Einsicht, dass Liebe ohne Wahrheit nicht existieren kann. Er braucht das Vertrauen, dass der Heilige Geist einen ehrlichen Sucher immer zur Wahrheit führen wird. Wer dieses Vertrauen nicht aufbringt, was kann der anderes als Tradition, tote Dogmatik, Rechthaberei, Propaganda, kurz: den „tötenden Buchstaben“ (2Kor 3,6) weitergeben?
„Lieber Bruder, sie sind ein Irrlehrer!“
Was denn nun? Bruder oder Irrlehrer?
Oder kann man trotz Irrlehre Bruder sein? Das wäre ja schonmal ein – wenn auch winziger – Fortschritt gegenüber der sonstigen Praxis in der Kirchengeschichte.