21. Behauptung: “Die ethischen Aussagen des Neuen Testamentes haben alle die gleiche Autorität. Der Gläubige muss sie alle einhalten, wenn er nicht ungehorsam sein und bestraft werden will.”
Unterschiedliches Gewicht von Aussagen ist im biblischen Text selbst festzustellen: Paulus differenziert zwischen einem ausdrücklichen Auftrag, den ihm der Herr gegeben hat, und seiner eigenen Meinung, die er gut begründet hat (1.Kor 7,12). Während auf dem Apostelkonvent noch der Verzehr von Götzenopferfleisch ausnahmslos verboten war (Apg 15), erlaubte ihn Paulus später unter der Bedingung, dass das Gewissen des schwächeren Bruders nicht überfordert wird. (1.Ko 11,29-30)
Auch in bibeltreuen Gemeinden werden manche biblischen Aussagen nicht beachtet. Also wird ihnen keine Bedeutung zugemessen. Viele Gläubige halten es für besser, sich nicht danach zu richten: z.B. nach dem Gebot, dass Frauen beim Gebet einen Schleier tragen sollen (1.Ko 11,5). Wie Paulus sagt, soll diejenige Frau, die ohne Schleier auftritt, kahl geschoren werden: “man schneide ihr das Haar ab!” Ob es jemals eine Gemeinde gab, die dieser rabiaten Empfehlung folgte, ist nicht bekannt.
Paulus ermahnte, dem Zungenreden “nicht zu wehren“. (1.Kor 14,39) und wünschte sich, dass die ganze Gemeinde diese Gabe hätte (1.Ko 14,5). In sehr vielen bibeltreuen Gemeinden ist genau das Gegenteil der Fall. Auch dieses Gebot wird nicht so wichtig genommen wie andere Gebote des Neuen Testamentes.
Manche Bibellehrer behaupten, dass die Taufe heilsnotwendig sei und berufen sich auf Markus 16,16: „Wer glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden„. Wenn das so wäre, warum hat dann Paulus nur ganz wenige Menschen getauft? „Ich danke Gott, dass ich niemanden unter euch getauft habe außer Krispus und Gaius, 15 damit nicht jemand sagen kann, ihr wäret auf meinen Namen getauft. 16 Ich habe aber auch Stephanas und sein Haus getauft; sonst weiß ich nicht, ob ich noch jemanden getauft habe. 17 Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen – nicht mit weiser Rede, auf dass nicht das Kreuz Christi zunichtewerde.“ (1.Kor 1,14 – 16) Wenn die Taufe über Himmel und Hölle entscheiden würde, dann wäre diese Zurückhaltung doch bodenlos fahrlässig. Auf diese Weise hätte seine Predigt ja ständig nur „Halb Gerettete“ produziert, von denen er viele später gar nicht im Himmel wiedersieht.
Wo liegt der Denkfehler? „Taufe“ steht in Markus 16,16 für Bekennen des Glaubens. Ein Christ, der seinen Glauben nicht erkennen lässt, sondern ohne Notwendigkeit jedermann verschweigt, sollte sich fragen, ob wirklich eine innere Veränderung stattgefunden hat. Auf die kommt es wirklich an, was auch der Mann bezeugt, dessen Berufung es war zu taufen: „Ich habe euch mit Wasser getauft; aber Jesus wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.“ (Mk 1,8) „Alle, die sich von Gottes Geist regieren lassen, sind Kinder Gottes.“ (Röm 8,14) Wer Kind Gottes ist, der bleibt es auch. Welcher Vater würde sein Kind ewig foltern, bloß weil es versäumt hat, sich mit Wasser abzuwaschen? Eine absurde Vorstellung! Und doch gibt es nicht wenige „Bibellehrer“, die meinen diesen lächerlichen Blödsinn verbreiten zu müssen. Und sich dann wundern, dass viele ihrer Anhänger nicht glauben können, dass Gott ein liebevoller Vater ist!
Allgemein gilt:
Es ist schlecht für die Glaubwürdigkeit der Ethik, ein Bibelwort nur deshalb nicht zu beachten, weil man durch die Tradition an die Missachtung gewöhnt ist. Wenn gute Gründe für die eigene Überzeugung entbehrlich sind, weil man alles nur so machen soll, wie es immer war, dann macht man die Ethik zu einer Geschmacksfrage. Wie will man dann junge Menschen überzeugen, dass die biblische Ethik glaubwürdig ist? Die Jugend hat noch sich noch nie nach dem Geschmack der älteren Generation gerichtet.
Durch die willkürliche, unbegründete Aufhebung eines biblischen Gebotes wird nicht nur die Ethik zur Geschmacksfrage herabgewürdigt, sondern man macht sich damit selbst zum Papst, zum Mode-Papst, der anderen vorschreibt, welchen Geschmack sie haben müssen. Diese Selbstüberhebung fordert den Widerspruch aller Gläubigen heraus, die sich nicht verpflichtet fühlen, die “Papst-Allüren” eines Gläubigen zu unterstützen. Wenn ein einzelner meint, ein biblisches Gebot willkürlich aufheben zu können, dann muss er dieses Recht auch allen anderen zugestehen. Dies entspricht dem Grundsatz der Gerechtigkeitsliebe und Fairness, den Jesus für äußerst wichtig hielt (Mt 23,23) Damit wäre aber die Ethik aufgelöst.
Daraus folgt, dass eine willkürliche Aufhebung auch eines gering erscheinenden biblischen Gebotes nicht erlaubt ist, sondern in jedem Fall mit einem höherrangigen Gebot begründet werden muss. Da Aussagen des Neuen Testamentes unterschiedliches Gewicht haben können, stehen sie in einer Rangfolge, an deren Spitze die Qualitätsmaßstäbe Jesu “Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Verlässlichkeit“ stehen.” (Mt 23,23).
Es darf nicht sein, dass in bibeltreuen Gemeinden Gebote unter den Tisch fallen, die diesen höchsten Maßstäben entsprechen: z.B. das Gebot, “alles zu prüfen” (1.Thes 5,21), oder das Gebot, sich für den Schutz der Schwächsten vor Unrecht einzusetzen (Jes 1,12ff / Mt 25,45) oder das Gebot, ehrlich Rechenschaft zu geben. (2.Kor. 7,2)
Wer diese Gebote geringachtet, muss, wenn er die Einhaltung der traditionell üblichen Gebote durchsetzen will, sehr bald auf die manipulativen Methoden derer zurückgreifen, die wenig geistliche Autorität haben. Das erzeugt immerfort Spannungen und Spaltungen, wohingegen sich Gläubige auf der Basis biblischer Argumente und Prioritäten verständigen und respektieren können.
Ich möchte momentan dazu folgendes sagen: Ich bin vorsichtig und zurückhaltend damit, Aussagen der von Jesus unmittelbar berufenen Apostel zu „gewichten“ bzw. anzunehmen, daß z.B. Paulus seinen momentanen Gefühlen bezüglich gewissser Zustände in den Gemeinden freien Lauf ließ. Hier gehe ich schon erst einmal von ausschließlicher Inspiration aus, auch wenn es um so heiße Themen geht wie Gemeindeordnung, Frauenordination, Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe usw. Männer und Frauen haben von dem Schöpfer unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten zugeordnet bekommen, im Einzelfall gibt es empirisch gesehen Ausnahmen. Das harmonische Miteinander dieser Eigenschaften und Fähigkeiten – untergeordnet unter das Wirken des Heiligen Geistes – ist doch viel besser als der ganze Genderwahn der heutigen Zeit. Inzwischen gibt es Männervereinigungen in dieser Welt, wo für die Gleichberechtigung der Männer gekämpft wird. Man sieht doch, wo der ganze Unsinn hindriftet, wenn man von Gott eingeführte Ordnungen verlässt. Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich rede nicht dem gewalttätigen Patriachentum das Wort, soweit es sich von göttlichen Ordnungen (dazu gehören eben auch die Eigenschaften, für die sich Eure Seite so sehr einsetzt) getrennt hat. Wegen dieser Entwicklungen kam es ja auch zum Feminismus mit all seinen Schattenseiten. Wenn Menschen aufgekommene Probleme (entstanden durch die Sünde) ohne Gott lösen wollen, geht das eben immer schief. Die ersten Gedanken, die z.B. den Rationalismus oder den Neomarxismus hervorriefen, mögen ja nicht schlecht gewesen sein, aber es gab immer eine Drift nach unten. Diese Erkenntnis lässt mich Euch warnen, daß die guten Gedanken, die Ihr zweifelsohne habt, nicht doch dann abwärts führen, wenn und soweit diese nicht von dem HERRN stammen bzw. von ihm angestossen sind. In der Gemeinschaft (Sonderbewegung), in der ich zwanzig Jahre lang Mitglied war, musste solches leider und schmerzvoll erlebt werden.