Semmelweis-Reflex

Der Semmelweis-Reflex bezeichnet die automatische, nicht auf besseren Argumenten beruhende Ablehnung einer nützlichen Information, eines Verbesserungsvorschlags oder wissenschaftlichen Entdeckung, weil sie mit etablierten Denkmustern und Verhaltensweisen schwer oder gar nicht vereinbar ist. Die Ablehnung erfolgt aus rein emotionalen Gründen, zur Vermeidung von Prestigeverlust oder Schuldgefühlen oder weil die Verbesserung Reformen notwendig macht, die als unbequeme Zumutung empfunden werden. (Vgl. „Das Gesetz der 50-Jährigen„).

Der Unterschied der Sichtweisen kann nicht auf der argumentativen Ebene ausgetragen und entschärft werden: er entwickelt sich schnell zu einem Interessen- und Machtkonflikt, in dem die Bemühungen um Verbesserung von den etablierten Meinungsmachern nicht honoriert, sondern bestraft werden.

Benannt ist dieser Mechanismus nach dem ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis, der als Ursache für Erkrankungen an Kindbettfieber unzureichende Hygiene vermutete und vom Klinikpersonal die Beachtung strenger Desinfektionsregeln forderte (sorgfältige Desinfektion mit Chlorkalklösung zusätzlich zum Händewaschen). Obwohl seine Vorschläge zu einem deutlichen Rückgang der Todesfälle führten, wurden sie von Vorgesetzten und Kollegen (von einigen Ausnahmen abgesehen) abgelehnt. Semmelweis erkrankte infolge der Anfeindungen psychisch und wurde von Kollegen in eine Irrenanstalt eingeliefert, wo er zwei Wochen später starb. (Quelle: wikipedia)

Die katholische Kirche kann sich von destruktiven Lehrsätzen in ihrer Theologie nicht distanzieren, ohne ihre Autorität überhaupt in Frage zu stellen. Die Unfähigkeit zu Reformen ist für Organisationen, die um jeden Preis ihren Einfluss sichern müssen, typisch.

Die von uns genannten schädlichen Lehrsätze der „giftigen Theologie“ entwickeln sich aber auch fast zwangsläufig auf dem Boden eines gedankenlos-mechanisch-wörtlichen Verständnisses der Bibel, das in bibelgläubigen Gemeinden und Gemeinschaften immer wieder Fuß fasst. Dieses Verständnis spiegelt Unsicherheit sowie ein unreifes Urteilsvermögen wider: Je ängstlicher Gläubige sind, desto mehr flüchten sie sich unter die Macht des Buchstabens, in der Meinung, dort Schutz gegen verunsichernde Veränderung zu finden. Zu spät erkennen manche, dass sich diese Macht irgendwann sehr destruktiv gegen sie selbst, gegen ihre Glaubensfreude, gegen ihre seelische Gesundheit und auch gegen ihre Heilsgewissheit richten kann. „Der Buchstabe tötet.“ (2.Kor 3,6).

Aber „der Geist macht lebendig“ ! (V.7) Doch wie versteht man die betreffenden Bibelstellen richtig, in einer lebendigen, lebensfördernden Weise (Mt 4,4) ? Dazu bedarf es natürlich guter Argumente, die die Macht des Buchstabens im Gewissen entkräften können, insbesondere eines übergeordneten Prinzips (Schlüssel„), um den Rang eines Bibelwortes einschätzen zu können. Das Gewissen lässt sich nur durch gute Argumente überzeugen. Wird der Buchstabe nicht entkräftet und widerlegt, bleibt das Gewissen wund.

Obwohl die Schädlichkeit der genannten Lehrsätze für jeden Laien unmittelbar nachvollziehbar ist, und auch offensichtlich ist, dass eine offene Diskussion über die Beweiskraft möglicher Argumente unentbehrlich ist, und obwohl die Würdigung der Beweiskraft solcher Argumente im deutschen Internet (nach unseren Recherchen) kaum präsent ist, haben Mitglieder unseres Arbeitskreises so gut wie keine Anerkennung, Beachtung oder gar Förderung (durch Bekanntmachung) gefunden. Wie würden sie sich freuen, wenn man sie wenigstens einmal einladen und ihnen ein Podium zur Diskussion geben würde.

Unermüdlich haben sie seit Jahren viele bibelgläubige Gemeinden (siehe „Beispielbrief„), Ethik-Lehrer und theologische Institute angeschrieben – vergeblich ! Man hielt in der Regel nicht einmal eine Empfangsbestätigung für nötig. Gibt es das Problem wirklich nicht?

Gelegentlich kam eine beleidigte Reaktion: man fühlte sich „verletzt“ oder „belästigt“ oder „zu Unrecht verunsichert“. Andere, die sich „rechtgläubige Christen“ nennen, reagierten gar mit Feindschaft und übler Nachrede.

Dass Gläubige durch „giftige Theologie“ zeitlebens seelischen Schaden davongetragen haben oder gar ganz am Glauben verzweifelt sind, interessierte nicht. („Blinder Fleck„).

Wie ist dieses Verhalten aus christlicher Sicht zu beurteilen ?

Zunächst ist es ein notorischer Verstoß gegen das Prinzip ehrlicher Augenzeugenschaft, auf dem der christliche Glaube ruht. „Was wir mit eigenen Augen gesehen und mit unseren Händen betastet haben, das verkündigen wir euch…“ (1.Joh1, 1-2 / 1.Kor 15, 5-8) Jesus nannte die Unfähigkeit etwas zu sehen, was eigentlich jeder sehen konnte, ein Gerichtszeichen: „… damit die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden.“ (Joh 9,39) Wer blind gegenüber dem Leid der Betroffenen ist, der ist auch blind für Gott. So sagt es jedenfalls der Apostel Johannes: „Wie kann jemand Gott lieben, den er nicht sehen kann, wenn er nicht einmal seinen Bruder liebt, den er sichtbar vor sich hat ?“ (1.Joh 4,20)

Auch an den Früchten kann man erkennen, dass die fromme Reaktion weder liebevoll noch gut ist. (Mt,7,16). „Ein guter Baum kann nicht giftige Früchte bringen, und ein giftiger Baum kann nicht gute Früchte bringen.“ (V.18)

Ist die Arbeit einer mafiosen Baufirma, die in einem armen Land mit mangelhafter Rechtsprechung tätig ist, wirklich eine „gute Frucht“ ? Sie errichtet beeindruckende Bauwerke, die der Allgemeinheit dienen –  Krankenhäuser, Schulen und Kirchen -, womit sie sich viel Unterstützung und Sympathie der Bevölkerung sichert.

Ein kleiner Schönheitsfehler: um Geld zu sparen, werden Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt. Gelegentlich stürzt ein Bauarbeiter vom Gerüst in die Baugrube hinab, wo ihn niemand mehr sieht. Da es nur selten passiert und alle gut entlohnt werden, stört sich kaum jemand daran. Die Bauleitung ist der Ansicht, wer stürzt, sei unaufmerksam gewesen und habe sich das selbst zuzuschreiben. Die Belegschaft darf über Unfälle nicht informiert werden. Die Belegschaft vermeidet selbst, über dieses Thema zu sprechen, da niemand das „gute Betriebsklima“ gefährden will. Niemand „will in die Hand beißen, die ihn füttert.“

Keine Frage, dass sich eine Kirche gerne mit sozialen Projekten profiliert (wobei der Löwenanteil durch ehrenamtliche Arbeit ehrlich gesinnter Gläubiger beigesteuert wird).

Wenn die Kirche aber gleichzeitig in Kauf nimmt, dass einzelne Menschen durch destruktive und dilettantische Theologie schwer geschädigt werden, und ihre Theologie nicht nachbessert, kann dann das Motiv der leitenden Personen tatsächlich aufrichtige Liebe sein ? Können sie für sich beanspruchen, dass sie die wichtigsten Qualitätsstandards Jesu – Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, wahre Treue – respektieren ? Oder muss man sie eher den „Schriftgelehrten und Pharisäern“ zuordnen, die sich über diese Maßstäbe hartnäckig hinweggesetzt haben ? (Mt 23,23) Haben sich das Recht, sich für ihr Tun auf Jesus Christus zu berufen ?

Wie wird wohl später einmal die Nachwelt – viel wichtiger: wie wird Jesus – über diese Leute urteilen, die sich jetzt noch selbstbewusst für „gute Hirten“ und „Verteidiger der Wahrheit“ halten ? Wird er sagen: „O ihr treuen und frommen Diener, was habt ihr doch für beeindruckende Erfolge vorzuweisen, insbesondere ein volles Gotteshaus!“ Wird er sagen: „Oh ihr treuen Diener, wie seid ihr doch fromm, das ihr die meisten Besucher zufriedengestellt habt ? “ Oder wird er sagen: „Was ihr dem Geringsten unter meinen Brüdern angetan habt, das habt ihr mir angetan“ ? (Mt 25,40)

Artikel aktualisiert am 25.04.2018

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