Es ist sinnvoll, bei der Interpretation biblischer Aussagen zu unterscheiden, ob sie zum Verantwortungsbereich des Menschen oder zum Verantwortungsbereich Gottes gehören.
Der Mensch kann seinen Verantwortungsbereich mit Hilfe seines Urteilsvermögens durchdringen. Es wird von ihm erwartet, dass er in diesem ihm anvertrauten Bereich konsequent und widerspruchsfrei denkt und handelt. Der Mensch darf Kritik, die ihm widersprüchliches Denken nachweist, nicht zurückweisen, sondern muss sein Denken korrigieren, bis es wieder widerspruchsfrei und konsequent ist.
Der göttliche Verantwortungsbereich ist nur teilweise logisch nachvollziehbar. Es gibt Bereiche, die “überlogisch” sind (biblische Antinomien). Sie funktionieren zuverlässig, obwohl das nach menschlichem Ermessen unmöglich ist. ” Meine Gedanken sind nicht wie eure Gedanken, und eure Wege nicht wie meine Wege!, spricht Gott. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meine Gedanken über alles hinaus, was ihr euch denken könnt, und meine Möglichkeiten über alles, was für euch machbar ist.” (Jes 55,8-9)
In der Natur können wir dieses Phänomen direkt beobachten. Im Bereich der subatomaren, kleinsten Elementarteilchen herrschen bizarre, “verrückt” scheinende Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten. Man könnte daraus schließen, dass das Universum vom Zufall regiert wird.
Dennoch kann sich der Mensch in seinem Verantwortungsbereich nicht auf Zufälligkeit berufen, wenn er mit seinem Auto einen Verkehrsunfall verursacht. Dort gelten die nachvollziehbaren Gesetze von Ursache und Wirkung nach wie vor.
Auch beim Lesen der Bibel begegnen wir diesen beiden Verantwortungsbereichen. Es gibt Parallelen zwischen Schöpfung und Bibel (vgl schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell bzw prioritätenorientiertes Inspirationsmodell).
Die Ethik zum Beispiel gehört zweifelsohne zum menschlichen Verantwortungsbereich. Der Mensch darf nicht nur, sondern er muss diesen Bereich konsequent durchdenken, um ehrlich und verlässlich zu urteilen. Widersprüche in diesem Bereich sind ein Hinweis auf Unehrlichkeit, Halbherzigkeit und Unzuverlässigkeit (Inkonsequenz).
Dann aber gibt es Aussagen in der Bibel, die nicht konsequent durchdacht werden können. Themen wie Himmel und Hölle oder Erwählung gehören eindeutig zum göttlichen Verantwortungsbereich – der durch “Überlogik” geprägt ist.
Auch im göttlichen Verantwortungsbereich behalten die Qualitätsmaßstäbe Jesu ihre absolute Priorität. Auf dieser zuverlässigen Grundlage kann der Gläubige einzelne Aspekte dieses Bereiches, soweit sie von der Bibel erläutert werden, verstehen und auch Folgerungen für sich daraus ziehen. Er kann diesen Bereich selbst aber nicht mit seinem Verstand durchdringen. Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Viele Antworten, die gläubige Theologen aus dem Wortlaut biblischer Aussagen hergeleitet haben und für zuverlässig halten, erweisen sich bei genauer Prüfung als unglaubwürdig, weil sie mit dem Charakter Jesu nicht in Einklang zu bringen sind.
Deshalb handelt der Gläubige vernünftig, wenn er sorgfältig auf die Unterscheidung der beiden Bereiche achtet.