Der Tiefgang im Verstehen des Alten Testamentes lässt bei vielen Gläubigen den Wunsch entstehen, dieses Buch dem herausragendsten Apostel, eben Paulus zuzuordnen. Doch ist es wirklich so klar?
In der von Fritz Laubach verfassten Erläuterung des Hebräerbriefes (Wuppertaler Studienbibel) werden die Argumente für und gegen eine Verfasserschaft des Paulus zusammengetragen. Eine eindeutige Antwort mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ wird hier nicht gegeben.
Der Hebräerbrief spricht vom Evangelium, das „zuerst gepredigt ist durch den HERRN und dann auf uns gekommen ist durch die, die es (von den Aposteln) gehört haben, und dass es danach von Gott beglaubigt worden ist mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften und mit Austeilung des heiligen Geistes nach seinem Willen“. (Hebr 2,3)
Würde ein Paulus tatsächlich so vom Evangelium reden, der größten Wert darauf legte, dass er seine Botschaft eben nicht von den Aposteln empfangen hatte, sondern direkt durch eine Offenbarung Jesu Christi? Deshalb hatte er wie die anderen zwölf Apostel den Rang eines unmittelbaren Augen- und Ohrenzeuge – insbesondere war er Zeuge des wichtigsten Heilsereignisses, der Auferstehung Jesu. (1.Kor 15,8) „Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlichen Ursprungs ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ (Gal 1,12-12)
Alle Evangelisten berichten über das letzte Passahmahl, das Jesus vor seinem Leidensweg mit seinen Jüngern aß. Paulus, der damals gar nicht anwesend war, berichtete ebenfalls darüber, betonte aber auch hier, dass er die Informationen über dieses wichtige Ereignis nicht aus zweiter Hand, nicht wie andere Gläubige von den Evangelisten, sondern persönlich von Jesus selbst empfangen hatte. (1.Kor 11,23a)
Für Luther war das ein deutlicher Hinweis, dass der Verfasser nicht Paulus war. Mir jedenfalls leuchtet das ein.
Auffällig ist auch: Paulus beansprucht in vielen seiner Briefen gleich im ersten Satz eine zu den Zwölfen gleichwertige Stellung des Apostels, besonders wenn seine Stellung stark umstritten oder angegriffen war. Warum fehlt dieser Anspruch dann im Hebräerbrief, der sich ganz allgemein an Gläubige mit einer jüdischen Prägung richtet?
Andererseits finden wir im Hebräerbrief in der Art der Schriftauslegung eine Parallele zur allegorischen Deutung des AT durch Paulus. Wie Paulus schrieb, empfing Abraham den Segen und mit ihm alle Völker durch den Glauben, bevor das Gesetz gegeben wurde (Gal 3,6 ff) Der Verfasser des Hebräerbriefes argumentiert ähnlich: Melchisedek war Priester eines Priestertums, das höher stand als das levitische Priestertum, da er den Abraham segnete und mit ihm Levi, der später aus Abraham hervorging. (Hebr.7,10)
Ein hieb- und stichfester Gegenbeweis ist das aber nicht, denn auch ein anderer Verfasser kann sich der von Paulus verwendeten Methode bedienen.
Mag die Verfasserschaft des Paulus für die Gültigkeit des Briefes unwichtig sein, so bleibt es dennoch wichtig, sich auch in solchen nebensächlichen Fragen um eine vernünftige Argumentation zu bemühen.
Viele religiöse Gruppen bilden leider ihre Ansichten wesentlich auf der Grundlage ihrer emotionalen Bedürfnisse und haben nicht das geringste Interesse, Fakten, die Bedürfnissen entgegenstehen, näher zu untersuchen. Ist damit für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums irgendetwas gewonnen?
Wer wirklich die Wahrheit liebt, hat immer den Wunsch, zwischen Tatsache und Wunschdenken zu unterscheiden. Ist es nicht so? Je dringender der Wunsch, desto vorsichtiger und sorgfältiger wird er prüfen.
Den inhaltlichen Einwand Luthers gegenüber dem Hebräerbrief, „dass er im 6. und 10. Kapitel die Buße den Sündern nach der Taufe stracks verneinet und versagt und Kap. 12,17 sagt, Esau habe Buße gesucht und doch nicht gefunden, was wider alle Evangelien und Briefe des Paulus ist“ sollte man ernstnehmen.
Alle drei Stellen sagen nämlich, dass Menschen in die Hölle kommen können, obwohl sie ihre Taten bereuen und gerne ungeschehen machen würden. Menschen wollen umkehren, aber dürfen es nicht mehr.
Diese Aussage ist für Gläubige sehr schwer verdaulich, die Angst haben, irgendwann einmal (möglicherweise in der Zeit vor ihrer Bekehrung) etwas gegen den Heiligen Geist gesagt zu haben, was ihnen niemals vergeben werden könne. (Luk 12,10)
Viele Evangelikale versuchen mit dem Argument zu helfen, wer befürchte, den Heiligen Geist gelästert zu haben, der zeige ja mit seiner Furcht, dass er für Gott noch empfänglich sei, und dürfe deshalb gewiss sein, dass er diese furchtbare Sünde nicht begangen hätte. Das ist die übliche, weit verbreitete Argumentation.
Der Hebräerbrief löst – wie es scheint – dieses Argument wieder auf, indem er zeigt, dass Reue, Furcht usw. die Verdammnis nicht ausschließt.
Wie können Gläubige in dieser Lage wieder zu einem frohen Glauben zurückfinden? Muss ein Engel vom Himmel erscheinen, um ihren Glauben zu stärken? Das wird wohl kaum geschehen. Oder sollte der Gemeinde, die „als Leib leidet, wenn eins ihrer Glieder leidet“ (1.Kor 12,26), diese Frage egal sein?
Adolf Schlatter vertrat in seinem haarsträubenden Aufsatz „Die Sünde gegen den Heiligen Geist“ die Auffassung, dass niemand solchen Menschen helfen könne. Sie müssten es abwarten und würden es dann nach ihrem Tod erfahren.
Diese Ansicht, sehr buchstabentreu und „irgendwie“ konsequent, ist, bei Licht besehen, pervers. Was bleibt denn da von der Verheißung übrig, dass Christus seine Jünger zur Freiheit befreit hat, wenn einige Gläubige ihr ganzes Leben lang grauenhafte Angst haben müssen, bloß weil sie sich an das, was sie früher gesagt haben, nicht mehr genau erinnern können? ( Details zu Schlatters Aufsatz siehe unter: www.matth2323.de/unvergebbare-suende/#dogma )
Auch der Begriff einer „mutwilligen Sünde“ im Hebräerbrief (Hebr 10,26) bleibt unklar und lässt bei vielen Gläubigen die Furcht entstehen, das Heil durch „eine Sünde zuviel“ wieder zu verlieren. Um sich zu schützen, geraten manche in schlimmste Werkgerechtigkeit und Erbsenzählerei hinein. ( www.matth2323.de/gift-nr-7/ )
Ein konkreter Anlass für diese Furcht kann beispielsweise eine Heirat trotz Ehelosigkeitsgelübdes sein oder eine Wiederheirat nach unverschuldeter Scheidung oder die Unfähigkeit zum materiellen Totalopfer oder die Verweigerung riskanter Missionstätigkeit ( Details zu den Beispielen siehe unter: www.matth2323.de/kompetenz-test/ ) oder auch nur die Unfähigkeit, mit Masturbation aufzuhören ( www.matth2323.de/gift-nr-1/ )
Wieder leben Gläubige in ständiger Angst und werden sie nicht mehr los. Wie kann man ihnen helfen und sie überzeugen? Oder sollte der Gemeinde, die „als Leib leidet, wenn eins ihrer Glieder leidet“ (1.Kor 12,26), auch diese Frage egal sein?
Wer sorgfältig und verantwortlich denkt, wird den Einwand Luthers nicht so leicht vom Tisch wischen können. All diese Gläubigen leben sehr wohl in einem Widerspruch, in den sie Worte der Heiligen Schrift gebracht haben: einerseits die ständige Drohung und sklavische Furcht vor dem tötenden Buchstaben (2.Kor 3,17), andererseits die Verheißung der Liebe und Vergebung Jesu, die unversehens kraftlos im Raum steht.
Wir haben leider feststellen müssen, dass evangelikale Seelsorge in diesem Konflikt gewöhnlich sehr schwach ist. Jedenfalls wurde uns bisher noch keine überzeugende Lösung auf der Basis eines buchstabenorientierten Bibelverständnisses (Chicago-Erklärung) präsentiert. Das heißt konkret, dass die betroffenen Gläubigen in der Gemeinde keine Hilfe bekommen, sondern ihre Seelenqual nur durch den Einsatz gesundheitsschädlicher Psychopharmaka lindern können.
Wenn Sie, lieber Bruder, eine überzeugende Lösung wissen, lassen wir uns gerne belehren.
Auf der Basis eines prioritätenorientierten Bibelverständnisses und der Annahme biblischer Aussage-Stile ( www.matth2323.de/resultate/ ) kann eine zweideutige Gottesvorstellung überwunden, neues Vertrauen gebildet und die Angst überwunden werden. ( www.matth2323.de/gift-nr-10/ ) Mit Hilfe der Aussage-Stile lässt sich auch ein destruktives Verständnis des Hebräerbriefes entschärfen. ( www.matth2323.de/spezielle-stile-der-bibel/
Diese praktische Erfahrung sollte Gläubige eigentlich ermutigen, das bibeltreue „Update“ ( www.matth2323.de/update/ ) kritisch zu diskutieren und zu prüfen. ( www.matth2323.de/modelle/ )