Im finsteren Tal getröstet

von Pastor Markus Rahn, Marburg (eingestellt mit freundlicher Genehmigung)

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02 Im finsteren Tal getroestet 100114

liebe Schwestern, liebe Brüder,
es gibt Situationen im Leben
da wird der Tag zur Nacht,
so hell und freundlich die Sonne scheinen mag,
so finster kann es in unserer Seele
in uns drinnen sein
Von einem Weg durch ein solch finsteres Tal
handelt auch der Text in 1.Buch Mose Kapitel 28.

Dort wird folgendes erzählt:
Jakob zog aus von Beerscheba
und machte sich auf den Weg nach Haran
und er kam an eine Stätte
da blieb er über Nacht,
denn die Sonne war untergegangen.
Er nahm einen Stein von der Stätte
legte ihn zu seinen Häupten
und legte sich an der Stätte schlafen.

Und ihm träumte und siehe eine Leiter stand
auf Erden,
die rührte mit der Spitze an den Himmel
und siehe die Engel Gottes
stiegen daran auf und nieder.
Und der Gott, der Herr stand oben darauf
und sprach: Ich bin der Herr,
der Gott deines Vaters Abraham
und Isaaks Gott.
Das Land, auf dem du liegst,
das will ich dir und deinen Nachkommen geben,
und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden
und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten
Norden und Süden
und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden
gesegnet werden.
Siehe ich bin mit dir und ich will dich behüten, wo du hinziehst,
und will dich wieder herbringen in dieses Land.
Ich will dich nicht verlassen bis dass ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

Als nun Jakob aus dem Schlaf aufwachte, sprach er:
In der Tat: der Herr ist an dieser Stätte
und ich wusste es nicht.

Er fürchtete sich und sprach:
wie heilig ist dieser Ort.
Hier ist nichts anderes als Gottes Haus und die Pforte des Himmels.
Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein,
den er zu seinen Häupten gelegt hatte und richtete ihn auf zu einem Steinmal
und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Beth-El,
das heißt Gottes Haus.

Jakob der Ringer, das bedeutet sein Name,
so jedenfalls kann man die Buchstaben seines Namens interpretieren.
Jakob der Ringer, und wie sehr hatte er gerungen
schon bei der Geburt
mit seinem Zwillingsbruder Esau.
An der Ferse hat er ihn gepackt.
Aber Esau kam als erster zur Welt
und damit konnte und wollte Jakob sich nicht abfinden.
Mit List und Tücke versuchte er seinem Bruder das Erstgeburtsrecht abzukaufen
mit einem Linsengericht
und sich dann den Erstgeborenensegen,
an dem vielleicht auch Erbrechte hingen,
diesen Segen des Vaters zu erschwindeln,
indem er sich für Esau ausgab.

Jakob wollte gesegnet werden
und das hieß damals nicht zuletzt: reich, abgesichert,
von einer großen Familie und vielen Freunden umgeben
gesund, mit einem langen erfüllten Leben beschenkt …
das hat Jakob sich gewünscht.
Er war bereit dafür hart zu arbeiten und viel zu geben,
sehr viel – zu viel.
Und deshalb stürzte er tief.
Er zog sich den tödlichen Hass seines Bruders zu,
der wollte ihn umbringen.

Jakob musste – von jetzt auf gleich – alles zurücklassen,
alles aufgeben, was er sich bisher erarbeitet hatte,
und mutterseelenallein fliehen.
Und in dieser Situation treffen wir ihn hier an.
Die Sonne geht gerade unter
und die einbrechende Dunkelheit wird zum Symbol
für Jakobs innere Finsternis,
für seine seelische Not.
Alles hat er verloren
und ist nach seinem Kämpfen und Ringen so erschöpft,
dass er in der Lage ist, mit dem Kopf auf einem Stein einzuschlafen.
Dazu gehört schon etwas.
Er ist völlig am Ende.

liebe Schwestern, liebe Brüder,
die Menschen, die uns in der Bibel nahegebracht werden,
kennen das Scheitern.
Sie erleben Niederlagen,
manchmal extreme Niederlagen,
in die sie sich
manchmal in bester Absicht,
manchmal auch leichtsinnig
oder sogar schuldhaft
hineinmanövriert haben,
oder auch Niederlagen, in die sie ohne jedes eigene Zutun geraten sind.

Die Bibel erzählt davon sehr viel
und ich persönlich finde,
in diesen Geschichten und Berichten Trost,
weil es mir auch so geht und gegangen ist in meinem Leben,
und ich weiß,
dass es den meisten und den allermeisten von Ihnen und euch
auch so gegangen ist und geht.
Das kann schon ganz früh anfangen mit dem Scheitern,
ganz früh im Leben,
schon bei Kindern, bei Konfirmanden, bei Jugendlichen
kann das passieren,
dass wir in die Schule nur die Rücklichter sehen
und nicht mitkommen und immer wieder den Eindruck haben:
ich schaff’s nicht –
oder dass gute und vielleicht allerbeste Freundinnen und Freunde
uns den Rücken kehren und sich nicht mehr für uns interessieren
und wichtige Beziehungen zerbrechen.
Schon früh kann das passieren,
dass wir uns schlecht fühlen und den Eindruck haben,
es wird so bleiben.
Es wird sich nicht bessern.

Und je älter wir werden,
desto mehr solche Erfahrungen können wir machen,
dass wir merken, das Leben läuft nicht so,
wie ich es mir gewünscht habe.
Ganz wichtige Dinge brechen mir weg:
Menschen, an denen ich sehr gehangen habe und hänge,
wollen nichts mehr von mir wissen.
Ich komm im Beruf nicht klar
oder ich versage in wichtigen Prüfungen,
schon als Student oder als Auszubildender.
Solche Erfahrungen sind uns nicht fremd.
Und irgendwann ist es so,
dass auch unser Körper Stück um Stück
seinen Dienst versagt und wir merken,
dass wir auf einmal nicht mehr so gut hören können,
nicht mehr so scharf sehen,
nicht mehr so weit laufen,
dass wir vergesslicher werden,
dass wir Dinge durcheinander bringen,
dass wir Fernsehsendungen nicht mehr komplett folgen können.
Das ist schmerzlich.

Versagen –
wir kennen das,
die allermeisten,
vielleicht sogar jeder und jede von uns
und deshalb können wir uns auch in den Jakob hineinversetzen
und uns vorstellen,
wie er sich gefühlt haben mag,
obwohl die Bibel das nicht erzählt.
Aber wir können uns das vorstellen,
dass er tief enttäuscht war,
auch enttäuscht von Gott und den Menschen und sich selbst
und sich gefragt hat:
warum habe ich das so schlecht hinbekommen ?
Warum habe ich mein Leben so vor die Wand gefahren ?

Er war todtraurig,
vielleicht voller Angst,
wie soll das alles noch werden ?
Ratlos, erfüllt von Selbstzweifel.
Vielleicht war er auch wütend
und fragt sich: warum wird mir das angetan ?
oder einfach nur müde
und bereit von allem Abschied zu nehmen.

So liegt er da und fällt in einen tiefen Schlaf
und hat dann diesen unglaublichen Traum
von einer Leiter – oder im Hebräischen dasselbe Wort –
von einer Treppe.
Direkt da, wo er liegt
führt sie direkt hinaus in den Himmel
und auf dieser Treppe sind Engel unterwegs.
Sie steigen auf und nieder
und oben steht Gott,
Gott selbst
Was für ein Traum in dieser Nacht !
Jakob ist von diesem Traum so überrascht
und dieser Traum ist für ihn so real,
dass er in ihm Wirklichkeit erkennt.

Nun mag mancher etwas kritisch gestricktere Mensch denken:
„… aber es gibt doch gar keine Treppe in den Himmel,
wir schweben doch auf unserer Erdkugel im Weltall,
da gibt es kein oben und kein unten.“
Richtig!
Es ist ja auch nur ein Traum, ein Bild,
Aber Gott passt sich eben
unserem Denken, unseren Bildern, unserer Sprache an.
Gott sei Dank !
Sonst könnten wir ihn gar nicht verstehen.

Heute gehen wir davon aus,
dass der Himmel nicht nur da oben ist,
sondern überall,
aber auch da oben.
Wir wissen es gibt keine reale Treppe dorthin
sondern wir kommen dahin durch eine Veränderung unserer Existenzweise,
unserer Wahrnehmung.
Wir ändern uns
und dann sind wir dort.

Aber trotzdem ist der Vergleich mit einer Treppe sehr hilfreich und stark
und er sagt uns vor allem eins:
in deiner und meiner unmittelbaren Nähe
gibt es einen Zugang zum Himmel.

Der Jakob denkt:
ich bin hier im Niemandsland,
irgendwo in der Wüste im Nirgendwo
und die Tatsache ist :genau da,
genau da neben ihm steht diese Treppe.
So fern uns Gott scheinen mag,
so einsam wir uns wähnen mögen –
Gott ist da,
ganz nah und uns zugewandt.
Er schaut uns an
und seine Engel sind mit uns –
sie steigen auf und nieder.

Ein interessantes Detail finde ich:
die Engel steigen zunächst auf, und dann nieder –
nicht umgekehrt.
Man würde ja erwarten:
erst einmal müssen sie runter kommen,
damit sie wieder raufgehen können.
Nein, sie sind schon da,
als Jakob in diesen Traum einsteigt,
die Engel sind immer schon da.

„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr…“
dichtet Dietrich Bonhoeffer Ende 44.

Von guten Mächten treu und still umgeben –
in diesem Vertrauen dürfen wir leben.
Das ist die Realität,
denn diese guten Mächte sind nicht nur bei Jakob gewesen,
sie sind auch bei uns
und Gott in seiner ganzen Aufmerksamkeit und Liebe
war nicht nur dem Jakob zugewandt,
er ist es auch dir und mir
und spricht auch zu uns seine Trost- und Segensworte,
so wie er sie zu Jakob spricht
Dem Jakob sagt er: du wirst viele Kinder haben,
eine gewaltige Nachkommenschaft,
dein Leben ist hier nicht zu Ende.
Aus dir wird ganz viel werden
und durch deine Nachkommen
sollen alle Menschen auf Erden gesegnet werden.
Und siehe ich bin mit dir und ich will dich behüten,
wo auch immer du hinziehst
und ich will dich wieder herbringen,
wieder nach Hause bringen,
in dieses Land.
Ich will dich nicht verlassen,
bis ich alles tue was ich dir zugesagt habe
und danach natürlich auch nicht,
dürfen wir ergänzen
Das ist ein großer, umfassender Segen,
der dem gescheiterten Jakob am Tiefpunkt seines Lebens
in dunkelster Nacht gegeben wird.
Dein Leben wird sich erfüllen,
es wird seinen Sinn haben und erreichen
und vielfältige Früchte bringen.
Niemals werde ich dich verlassen,
du bist ganz und gar geborgen
auf einem guten Weg,
der zu einem guten Ziel führt.

Das sagt Gott auch zu uns,
auch dann wenn wir vielleicht keine eigenen leiblichen Kinder haben.
Das ist gar nicht so wichtig:
wir können viele viele geistliche Kinder haben,
wir können eine gute Wirkung auf andere Menschen haben,
mit denen wir gehen, die wir segnen,
die wir beschenken und lehren.
Gott will durch jede und jeden von uns ganz viel Gutes in diese Welt hineintragen
und unser Leben zur Erfüllung bringen.
Auch wenn wir vielleicht ganz wenig davon sehen,
dürfen wir fest daran glauben.

Jesus sagt, das Reich Gottes funktioniert so wie ein Senfkorn.
Ganz klein ist der Same und groß ist die Pflanze,
die daraus wächst.
Du siehst vielleicht in deinem Leben ganz wenig,
aber du darfst dich darauf verlassen,
dass ganz viel Gutes geschieht
und dass dein Leben einen Segensstrom in diese Welt hineingeben wird.
Das sagt Gott dir und mir zu:
dein Leben wird sich erfüllen.

Dann tut Gott noch mehr,
das deutet diese Geschichte nur am Rande an
und später erzählt die Bibel es weiter.
Hier steht ja:
„durch dich sollen alle Menschen auf Erden gesegnet werden…“
und da denken wir natürlich rückwirkend,
dass Jesus ein Nachkomme von Jakob ist,
und damit wird angedeutet,
dass diese Treppe später im Laufe der Geschichte
noch einmal eine ganz andere Bedeutung gewinnt.
Gott bleibt nicht oben stehen,
sondern auf dieser Treppe kommt er eines Tages Stufe um Stufe herunter,
und auf jeder Stufe
gibt er ein Stück mehr von seinen göttlichen Eigenschaften ab
und kommt schließlich unten an
als wahrer bloßer Mensch,
um uns auf Augenhöhe zu begegnen
Um ganz bei uns zu sein
in der dunkelsten Nacht.

Das ist die Geschichte,
die die Bibel weitererzählt.
Das ist das, was sie uns sagt:
Gott ist uns ganz nah
und er hat diese Welt besucht
und er hat gesagt,
als er hier war:
„Die Vögel haben Nester, die Füchse Höhlen,
aber der Menschensohn hat keinen Ort,
an den er sein Haupt legen kann.
Da muss man doch fast an diese Geschichte von Jakob denken.
Dass Jesus damit sagt:
so wie es dem Jakob ging,
so geht es mir auch oft
und ich bin dazu gekommen,
mit euch zu sein
und mit euch hineinzukommen
auch in das tiefste Leid.

Ja Gott ist gekommen, um in tiefstes Leid zu geraten,
weil wir auch immer wieder leiden müssen,
will Gott auch darin bei uns sein.
Wir Christen – das ist ganz überraschend –
glauben an den Gott,
der aus Liebe zu seinen Menschen in tiefstes Leid geraten ist
Er musste es erdulden, dass sie ihn zu Tode gefoltert haben.
Gott kennt das schrecklichste Leid aus eigener Erfahrung
und er hat mit eingestimmt aus ganzem Herzen
in den ungezählten Ruf
Warum ? Warum ? den wir auch kennen.
Wir glauben an einen Gott, der das tiefste Leid kennt,
der diesem Leid nicht ausweicht,
sondern der hindurchgeht,
auch immer wieder neu auf die Treppe hinweist
die wieder nach oben führt,
die Treppe auf der wir aufsteigen können und sollen,
eines Tages umfassend in die Friedenswelt hinein,
in der es keinen Schmerz und keine Tränen und keine Trennung
und keinen Tod mehr geben wird.

Aber auch schon jetzt immer wieder können wir etwas davon erfahren
und das an den überraschendsten Orten,
irgendwo im Niemandsland,
irgendwo mitten in der Not,
wenn wir auf einmal uns der Gegenwart Gottes bewusst werden,
vielleicht wenn wir still werden oder wenn wir ein Lied singen
oder hören oder wenn Freundschaft uns berührt
oder wenn in einem kostbaren Moment das Glück uns streift,
und wir merken:
hier ist Bethel,
hier ist Gottes Haus
und in diesem Haus bin ich zuhause –
ich bin immer zuhause.

Das ist übrigens auch der Gedanke,
mit dem der wunderbare 23 te Psalm schließt:
„…ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar“
das heißt: ich bin immer bei Gott zuhause.
Ich wohne im Erdgeschoss
und er wohnt eine Treppe höher,
und wenn ich will,
dann kann ich zu ihm gehen
und ihn besuchen
und ab und zu kommt er auch mal runter
und schaut nach mir.
Wir leben in einer Wohngemeinschaft.
– so sagt es Jesus sogar in Johannes 14 –
in einer Wohngemeinschaft mit Gott.

Gott ist uns nah.
Warum sollen wir uns dann fürchten,
warum verzweifeln ?
Auch in den dunkelsten Stunden
wird uns nichts von seiner Liebe trennen können:
„Eher sollen Berge zur Seite weichen und Hügel zusammenfallen…“,
so sagt es die Bibel.
Es erfreut Gottes Herz,
wenn wir ihm das zutrauen.

Sein Frieden, der höher ist als alle Vernunft
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus.

Artikel aktualisiert am 30.10.2024