Vorbemerkung: in eckige Klammern gesetzte Abschnitte sind gekürzt und präzisiert.
L. (Bruder Dicke Lippe): [Wir können unter einer ganz bestimmten Bedingung immer sofort auch von Gott eine Gebetserhörung bekommen. Voraussetzung ist, dass ich, bevor ich überhaupt etwas empfange, wofür ich bitte, dass ich vorher Gott schon im voraus dafür danke]. Macht es nicht der Herr Jesus bei der Auferstehung von Lazarus genauso? „Er sagte, ich danke dir Vater, dass du mich allezeit erhörst“ (Jo 11,42). Das sagte er, bevor er Lazarus von den Toten auferweckte. Genauso sollten wir auch handeln, die Bitte mit Danksagung verbinden, obwohl wir das, worum wir bitten, noch gar nicht bekommen haben. Dann erhört Gott das Gebet gerne.
So bat ich Gott z.B. darum. dass ich einen Parkplatz finden möge. Und siehe da: der Parkplatz war genau vor der Haustür, wo ich hinwollte. Ich hatte aber vorher auch dafür gedankt. Probiert es aus: Ich hab schon sehr oft diese Erfahrung gemacht und kann mich ehrlich gesagt auch nicht daran erinnern, dass ich je kurz gedankt habe und dann nicht das bekommen hab, wo ich um um was gebeten habe.
Benignus: Lieber L., was postest du da? Dass du „wenn du im Glauben dankst, immer sofort eine Gebetserhörung bekommst...?“ Ich denke da an eine liebe Schwester im Glauben, die Gott dankte, dass er sie vom Leberkrebs heilen würde und das auch fest glaubte, weil sie jeden Tag auf so schöne Bibelworte im Losungsbuch stieß… und die trotzdem ein paar Wochen später daran starb. Oder auch bei Kleinigkeiten. Man betet um schönes Wetter, damit das Fest im Garten stattfinden kann. Und doch fängt es an zu regnen. Machst du solche Beobachtungen nicht?
Könnte nicht vielmehr das der Grund für deine Ansicht sein, dass du im Leben materiell überaus gesegnet worden bist, und folglich soviel Optimismus entwickelt hast, dass du Enttäuschungen kaum noch wahrnimmst? Wie du selbst schreibst: „du kannst dich nicht erinnern…“ Ich sage dir: es gibt viele Christen, die vom Herzen glauben wollen, und die dennoch zeitlebens zum Leiden verdammt sind und sich zu dieser Höhe nicht aufschwingen können.
L. (Bruder Dicke Lippe): Ich erlebe auch ständig Enttäuschungen, aber das kann daran liegen, Gott die Enttäuschung benutzt, um auf eine Sünde in meinem Leben hinzuweisen. [So wie uns das Beispiel des Josua lehrt, der das Desaster im Krieg mit der Stadt Ai erleiden musste, weil ein Mensch in seinem Volk sich an der dem Herrn geweihten Kriegsbeute vergriffen hatte. (Jos 7)] Zumindest interpretiere ich es automatisch so und bemühe mich anschließend, diesen Anstoß aus meinem Leben zu entfernen. Früher ist mir das allerdings besser gelungen als heute, weil viele schlechte Angewohnheiten sich bereits zementiert haben in meinem Leben.
Benignus: Ich bezweifle nicht, dass manche unserer Gebete auf wunderbare Weise erhört werden können. Es gibt wirklich erstaunliche Fügungen im Leben. Doch mit solchen Empfehlungen hast du bei sensibleren Gemütern einen Depressionsmechanismus und Perfektionswahn installiert. Wenn das stimmt, dann bin ich an allem was mir Böses widerfährt, auch noch selber schuld. Sünde, und wenn es nur ein Stäubchen (Unvollkommenheit) lässt sich immer finden. „All unsere Gerechtigkeit ist vor ihm wie ein unflätig Kleid“ (Jes 64,5). Ich hab heut auch für einen Parkplatz gebetet. Doch es war alles besetzt. Soll ich jetzt denken: Was habe ich bloß wieder verbrochen?
L. (Bruder Dicke Lippe): Hast Du Gott auch vorher schon gedankt für den Parkplatz?
Benignus: Wann merkt ihr Superchristen eigentlich, dass eure Theologie Menschen, die schwer zu tragen haben, noch mehr auflädt? Zu deiner Information: ich klaue nicht, ich hure nicht, ich gucke keine Pornos, ich bemühe mich um Sanftmut und Freundlichkeit. Aber es reicht wie immer nicht. Natürlich habe ich auch Gott gedankt, damit auch ja 100% Glaube geliefert wurde.
L. (Bruder Dicke Lippe): Ich zitiere Hiob 11:5-6:
„Aber möchte Gott doch …. dir kundtun die Geheimnisse der Weisheit, das sie das Doppelte ist an Bestand! Dann müsstest du erkennen, das Gott dir viel von deiner Missetat übersieht .“
Benignus: Der Spruch ist wenig hilfreich bei deinem Denkansatz. …
L. (Bruder Dicke Lippe): Ich will das, was ich dir sagen will, mal anhand eines Gleichnisses sagen, weil es vielleicht etwas verständlicher. Ich glaube, dass viele Christen eine eine völlig falsche Vorstellung haben von Gott, als ob er uns völlig überfordern wollte. Er wird von uns – wie ein Vater von seinem Kind, nicht alles auf einmal fordern, sondern immer nur den nächsten kleinen Schritt. [Und diesen Schritt müssen wir gehen, weil Gott absolute Geduld mit uns hat. Wird dürfen nicht sagen: weil ich nicht alles sofort schaffe, lass ich auch den nächsten kleinen Schritt ganz sein.] Und das Zweite ist Gott motiviert dich, er schenkt dir die Freude über dein Heil ne, aber du musst diese Dinge auch annehmen [und glauben. Ein gutes Beispiel dafür ist David]. Auch David hat hatte viele Sünden begangen, die Gott ihm aber gar nicht nachgesehen hat. Aber beachte, dass David beständig Gott suchte. Das heißt, die Voraussetzungen dafür, dass David immer besser wurde, waren gegeben, weil David jeden Morgen in der Schule Gottes antrat. … Diese Vertrautheit, diese Liebe zu Gott möchte er im Grunde von uns, dass wir wissen, er meint es nur gut mit uns. Und diese Liebe zu Gott, die vermisse ich bei dir. Bei dir ist sehr viel Bitterkeit da. Vielleicht sagst du jetzt nein, ich hab gar keine Bitterkeit, aber zumindest hört man die immer wieder raus aus dem, was du sagst. Und vielleicht solltest du einfach wieder neu anfangen, Gott als absolut gütig ansehen, damit du auch das Gute erkennst, was er in deinem Leben getan hast, oder?
Benignus: Brauche ich wirklich ein Vorbild wie König David, der auf dem Sterbebett noch einen dubiosen Auftragsmord begeht und von einer Lustsklavin warm gehalten werden muss (1Kö 1,1-4)? David wurde „immer besser„? Wie kann man nur solche Vergleiche ziehen?
Wie kannst du fordern, dass Menschen Gott als „gut“ ansehen sollen, wo du als Fundamentalist selbst die destruktivsten Sätze in der Bibel noch als heilsam und richtig etikettierst und damit Gottes Güte unglaubwürdig machst? Fundamentalisten stützen ihren „Glauben“ durch Verdrängung dieser schrecklichen Sätze und verlangen dasselbe Verhalten auch von anderen. Sie umgeben sich nur mit Leuten, die sie nicht in Frage stellen und erzeugen mit unablässiger Nachplapperei eine Schein-Gewissheit, die ohne die ständige Bestätigung durch die Gruppe schrumpfen würde wie Eis in der Sonne.
Dieser Denkansatz hat so viele Menschen krank gemacht. Das fällt kaum jemand auf, denn sie verlassen die Gemeinden und lassen sich dort nie wieder blicken. Dir fällt das natürlich erst recht nicht auf.
Was soll diese Art Selbstzerfleischung, diese ständige waidwunde Suche des Gewissens, wo denn vielleicht noch ein Sündlein sein könnte, damit es mir ein pedantischer Gott nicht heimzahlt und mich drei Stunden auf der Suche nach einem Parkplatz herumirren lässt? Das alles ist ein langsam wirkendes Gift für die Seele.
Genauso wie die kürzlich geführte üble Diskussion, ob eine Frau mit negativen Gegenreaktionen Gottes rechnen muss, wenn sie Hose statt Rock anzieht. Apg 15 ist schon vergessen. Dort heißt es: „wir und der Heilige Geist haben beschlossen, euch nichts weiter aufzuerlegen…“ Nichts weiter! Aber da kommt wieder irgendein „Bruder Dicke Lippe“ , als der Erleuchtete, der so tut als ob ihm der Allmächtige wunschgemäß das dritte Testament ins Ohr geflüstert hat und ihm allein sagt, wie unser Gewissen zu reagieren hat. Das Netz ist voll von solchen „Lichtgestalten“.
Was ist der psychologische Gewinn dieses Verhaltens? Hier wird die eine Angst gefördert, um von einer größeren Angst abzulenken. Lieber erträgt man die Angst, einen leicht reizbaren Gott zu erzürnen, als die Angst, dass sich der Glaube wegen einer fehlerhaften Bibel als Irrtum herausstellen könnte. Das ist zwar Unsinn, aber wenn die Angst vor dem Verlust des Glaubens erst einmal eingeübt ist, hat man sich selber genaueres Hinschauen für allezeit unmöglich gemacht.
So versucht einer den anderen mit seiner „Erkenntnis im Glauben“ zu übertrumpfen. Eine riesige Blase eingebildeter „Erkenntnis“ entsteht, die man als gesichertes „Fundament“ missversteht.
Man kann nicht genug warnen vor dem krankhaften Drang andere belehren zu müssen, um eigene Unsicherheit abzubauen. Wenn wir aufhören, die Bibel in dieser Weise zu missbrauchen, dann bietet bietet sie gute Hilfen gegen den Glaubenswahn, auch Hilfe gegen deine hanebüchene Argumentation. Wer vollkommen sein will und meint anderen mit seinem Vollkommenheitswahn ständig auf die Zehen treten zu müssen, dem sei das Wort Jesu entgegengehalten: „willst du vollkommen sein“ (und turmhoch über den anderen schweben) „dann verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen, …“ dann können auch andere zu Recht zu deinem Vollmaß der Hingabe aufschauen. Aber an dieser Stelle war der so selbstbewusste Jüngling plötzlich ganz still (Mt 19,22). Eigentlich eine ganz einfache Frage: Was Gott wohl mehr gefällt, wenn man anderen einschärft, dass sie Hosen tragen sollten, um Gott nicht zu missfallen oder ob nicht ein selbstloses Ganzopfer viele wichtiger wäre, das viele christliche Familien vor dem Hungertod retten würde? Was einem Gott der Liebe mehr gefallen würde, dürfte eigentlich nicht schwer zu erkennen sein.
Je länger ich darüber nachdenke, erkenne ich immer klarer, dass Fundamentalismus und selbstgerechter Pharisäismus zwei Seiten derselben Medaille sind. Wir sollten diese Art „Belehrung“ als das erkennen, was sie ist, nämlich als Verführung zur Sünde, sich selber als maßgebend darstellen zu wollen. Die Sünde des Narzissten. Ich nenne das aber auch eine Krankheit, denn einer guckt es sich in der Glaubensgemeinschaft vom anderen ab, und so findet die Seuche der Wortgefechte und närrischen Fragen immer neue Nahrung. Weil es bei einer fundamentalistischen Einstellung in erster Linie nicht um widerspruchsfreie Klarheit, sondern um Selbstbehauptung geht. Sorry, ich kann dir dazu nichts Sanfteres schreiben.