Gibt es tatsächliche Bibelstellen, die eine überwiegend destruktive Wirkung haben ?
Gibt es nicht, behaupten etliche Theologen. Wir brauchen uns deshalb damit nicht zu befassen.
Was aber sagt die Schrift?
Sie fordert den Gläubigen auf, die Qualität von Aussagen anhand ihrer Auswirkungen, der „Früchte“ zu überprüfen. (Mt 7,16) Hier geht es also nicht um Vermutungen, sondern um deutlich erkennbare Auswirkungen in der Geschichte bis zum heutigen Tag. Darüber wäre zu sprechen.
Die Qualitätsmaßstäbe Jesu – „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ werden von Jesus „wichtigste Gebote“ (Mt 23,23) genannt. Wenn sie tatsächlich die „wichtigsten Gebote“ sind, dann sind alle anderen Gebote und Aussagen weniger wichtig, und dürfen folglich mit Hilfe dieser Maßstäbe beurteilt werden.
Was ergibt nun das ehrliche und unvoreingenommene Urteil? Zum einen: sehr viele Aussagen der Bibel haben dieselbe Qualität und Vollkommenheit wie die wichtigsten Gebote und können ebenso zur Orientierung dienen (finaler Lehrsatz-Stil). Zum anderen: vereinzelt findet man es aber auch Aussagen, die nicht zur Orientierung dienen können und dürfen, da sie mit den Qualitätsmaßstäben Jesu unvereinbar sind.
Nur selten tauchen sie in der Bibel auf, die schwerverdaulichen Problemstellen, aber sie können die Seele erheblich belasten und sind teilweise so abscheulich, so grotesk, so destruktiv, dass sie das Vertrauen in die Liebe und Zuverlässigkeit Gottes wieder auflösen können.
Etliche „schriftgelehrte“ Theologen wollen dem Gläubigen weismachen, dass Menschen auch in diesen Fällen eine Beurteilung nicht abgeben dürften. Sie „müssten glauben“, dass solche Bibelstellen nicht destruktiv, sondern im Gegenteil konstruktiv und Ausdruck göttlicher „Vollkommenheit“ (Ps 19,8) seien. (siehe „Chicago-Erklärung„)
Wir müssen ihnen auf der Grundlage des Wortes Gottes widersprechen: „Der geistliche Mensch aber beurteilt ALLES und niemandem darf ihn daran hindern.“ (1.Kor 2,15) Die Begründung wird von der Bibel mitgeliefert: „Wir aber haben Christi Sinn.“ (V.16). Anderorts heißt es „Wir haben die Salbung von dem, der heilig ist und wissen alles, was notwendig ist.“ (1.Jo 2,20) Es ist nun einmal Tatsache: der Heilige Geist hat die Macht, die Gläubigen „in ALLE Wahrheit zu führen“ (Joh 16,13) – mögen auch etliche Vertreiter der schriftgelehrten Zunft heftig protestieren: ..“ aber dies und jenes dürfen sie doch nicht, und wenn überhaupt, dann nur mit unserer wissenschafttichen Bildung …“ Lasst uns nicht auf solche Behauptungen hereinfallen!
Auf „Wissenschaftlichkeit“ hat ohnehin kein Recht sich zu berufen, wer nicht sehen will, was jeder andere sieht und Fakten ignoriert und herunterspielt, die schlecht zu seiner Weltanschauung passen.
Wenn Leute, die sich so verhalten, meinen, sie könnten andere verbindlich darüber belehren, was „Vollkommenheit“ der Schrift ist, so ist das nicht viel besser, als wenn ein Blinder über Farbe belehrt. Immer wieder wird dieser Fehler gemacht. Man verwechselt „Fehlerlosigkeit“ mit der „Betriebssicherheit“ der Bibel.
Natürlich ist es legitim und auch aus Gründen der Fairness notwendig, zunächst nach einer Erklärung zu suchen, die das Destruktive weniger destruktiv erscheinen lässt. Doch das „weniger Destruktive“ bleibt immer noch unversöhnlich geschieden von vollkommenen Texten, die geistliche Orientierung geben. Zudem: bei vielen Problemstellen scheitert bereits der Versuch der Erklärung: der Argumentierende wird immer unglaubwürdiger und am Ende von seinem Kritiker zu recht nicht mehr ernst genommen.
Es gibt drei untrügliche Testfragen zur Feststellung eines Problemtextes:
1. Würde ich diesen Text als mangelhaft kritisieren, wenn er in der Glaubensurkunde einer anderen Religion stünde?
2. Gibt mir dieser Text notwendige Orientierung auf meinem Glaubensweg?
3. Ist eine Verbesserung schwer vorstellbar, so wie es bei alle anderen vollkommenen Texten im finalen Lehrsatz-Stil der Fall ist?
Die Frage, die sich dem Gläubigen, der seine Bibel schätzt, stellt, ist der Zweck der „Problemtexte“. Wozu muss es destruktive Texte überhaupt geben?
Soll der Gläubige lernen, wider besseres Wissen zu reden, soll er lernen, seinen Gott mit Lügen und betonierter Theologie zu unterstützen? Schwer vorstellbar, wo doch Selbstbetrug, scheinbarer Glaube und Heuchelei seit Jahrhunderten die tödliche, kaum heilbare Krankheit der Kirche ist!
Wiederum finden wir die Antwort, den „Schlüssel“ bei Jesus, unserem Herrn. Für den Fall der Ehescheidung hatte er eine bessere Lösung. (Mt 19,1-9) Und seine Jünger, die „Christi Sinn“ haben, sind beauftragt, auch darin ihrem Meister zu folgen, nämlich sich eine produktive Lösung zu überlegen, die sich im Einklang zu den Qualitätsmaßstäben Jesu befindet.
Somit sind Problemstellen nicht überflüssig. Sie sind uns nicht gegeben, um verharmlost, ignoriert oder geleugnet zu werden. Sie sind schlicht und einfach da, um das Urteilen mit Hilfe des Heiligen Geistes zu üben. Sie dienen der Stärkung der Urteilskraft und der Förderung der konstruktiven Phantasie. Sie dienen uns in sparsamer Dosierung als „Impfstoffe„, die bei uns eine allergische Reaktion auslösen und nach einer konstruktiven Lösung suchen lassen, die dem Geist Christi entspricht (1.Kor 2,16). Sie erinnern uns wieder an die Freundlichkeit unseres Gottes, der zwar die Macht hat, uns zugrundezurichten, aber es nicht tut, sondern das Leben seiner Gläubigen vor solchen Entgleisungen durch die ausnahmslose Priorität (Mt 23,23) seiner Qualitätsmaßstäbe schützt.