In dem Bemühen die Bedingung für das Heil zu erfüllen, und damit zur Heilsgewissheit zu gelangen, haben sich bei Gläubigen, deren Denkmöglichkeiten durch ein buchstabenhöriges Bibelverständnis begrenzt sind, zwei Auffassungen herausgebildet, die zwar weit verbreitet sind, aber wenig konstruktiv, ja absurd erscheinen.
Die naheliegendste Lösung scheint die möglichst genaue Anwendung des Buchstabens zu sein. Alle Menschen sind aufgerufen, die hohen Anforderung der völligen Selbstverleugnung, die das Neue Testament dem Wortsinn nach stellt, zu erfüllen: dazu gehört der Verzicht auf materiellen Besitz zugunsten der Hungernden und Hilfsbedürftigen, der Verzicht auf eigene Verfügung über die Zeit, um mit ständigem Missionieren möglichst viele Mitmenschen vor der Hölle zu retten, das Bemühen um vollständige Unterdrückung des Geschlechtstriebes, um absolute „Reinheit“ auch in den Gedanken und Wünschen. Nur wer in dieser Weise „sein Leben verliert“, wird es retten. Diese Lösung erscheint simpel: Nur eine exklusive Leistung lässt es plausibel erscheinen, dass nur wenige Menschen das Heil, die Aufnahme in den Himmel, erreichen werden. Nur eine kleine Schar kann sich dazu entschließen, die höchst anspruchsvollen Bedingungen zu erfüllen. Deswegen werden auch nur wenige gerettet und die vielen, die dem Buchstaben halbherzig oder gar nicht gehorchen, verdammt. In der ganzen Kirchengeschichte hat diese Sicht bis heute große Bedeutung gehabt, ja sie ist im Mönchtum noch durch den völligen Verzicht auf Sexualität ergänzt worden.
Der Plausibilität dieses Weges, der zu allen Zeiten viele überzeugt hat (berühmtestes Beispiel ist der Mönch Martin Luther), steht nur die Tatsache entgegen, dass er quälend und unbarmherzig ist, dass trotz allem Bemühen immer die Frage im Raum stehen bleibt, ob das Bemühen „ausreicht“, um nicht verdammt zu werden, und dass sich die Hoffnung auf einen „liebenden und verzeihenden“ Gott immer mehr auflöst. Nicht zuletzt steht ihm die deutliche Aussage des Neuen Testamentes entgegen, das verbietet, durch Erfüllung des Gesetzes Gottes Anerkennung zu erlangen. (Gal 5,4)
Eine alternative Sicht wird durch die Vertreter der absoluten Heilssicherheit präsentiert. Sie behaupten, dass das Problem durch das Ereignis ihrer Bekehrung vollständig gelöst sei. In der Bekehrung hätte der Gläubige einen Vertrag mit Gott geschlossen, durch den Gott sich unwiderruflich zur Gewährung des Heils verpflichtet hätte. Selbst fortgesetztes gemeinstes Verhalten mache den Segen der Bekehrung nicht zunichte. Der Gläubige könne dadurch allenfalls Lohn verlieren, aber nicht das Heil. In der Tatsache der Bekehrung manifestiere sich der Wille Gottes, einen bestimmten Menschen zum Heil zu erwählen. Indem Gott nur wenige Gläubige erwählt und die meisten verdammt, offenbart er seinen souveränen Willen in der Heilgeschichte.
Diese Sicht erscheint weitaus attraktiver, ist aber weniger plausibel. Zum einen lässt sie den Wunsch des Gläubigen nach unauflöslicher Beziehung zu Gott als abstoßenden Heilsegoismus erscheinen. Zugleich erzeugt sie ein ebenso abstoßendes, würdeloses Gottesbild. Sie steht in unauflöslichem Widerspruch zum fundamentalen Gebot der Fairness und Gerechtigkeit. Gibt es Liebe ohne Fairness? Vergleichsweise wenige Menschen leben an einem Ort, wo sie genug zu essen haben, von ärztlicher Versorgung profitieren und ausreichend Gelegenheit haben, die biblische Botschaft in attraktiv präsentierter Form kennenzulernen. Die meisten Menschen auf der Erde haben diese Gelegenheiten nicht und können deshalb zum Zeitpunkt ihres Todes auch keine Bekehrung, die „Eintrittskarte in den Himmel“ vorweisen. Sollen sie deshalb alle für die Verdammnis bestimmt sein? Ist es irrelevant, ob sie sich zeitlebens um Liebe und gutes Verhalten bemüht haben? Sorgt also Gott selbst dafür, dass sich auch nach dem Tod die Ungerechtigkeit auf Erden in anderer Form fortsetzt? Jesus sagte anderes. (Mt 5,3-6 / Mt 25, 34 ff / Luk 12,45 ff)
Wie leicht zu sehen, können in christlichen Glaubensgemeinschaften Auffassungen kursieren, die zwar Sicherheitsgefühle hervorrufen können, obwohl ihnen durchaus wichtige biblische Aussagen entgegenstehen.
Wie viel können wir von einer nur oberflächlichen Kenntnis biblischer Texte erwarten? Wenn der Gläubige wieder zum Frieden seiner Seele zurückfinden und seine Beziehung zu Gott neu befestigen will, dann muss er sich um eine überzeugende Rangbestimmung biblischer Aussagen bemühen.
Jeder Seelsorger, der ihm hierbei wirklich helfen möchte, wird auf der Basis der Glaubensurkunde nachvollziehbar argumentieren und bewerten müssen.