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Angst wegen „unvergebbarer Sünde“ ?
„Alle Sünden können den Menschen vergeben werden, selbst die Gotteslästerungen, die sie aussprechen. Wer aber den Heiligen Geist lästert, wird keine Vergebung finden. Wer etwas gegen den Menschensohn sagt, dem kann vergeben werden. Wer aber gegen den Heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der kommenden„. (Mt 12,30-31 / NeÜ)
Die Angst, den Heiligen Geist gelästert und damit eine unvergebbare Sünde begangen zu haben und nunmehr unwiderruflich der ewigen Verdamnis verfallen zu sein, ist wahrscheinlich eine der grausamsten menschlichen Angsterfahrungen – nicht nur wegen ihrer kaum noch zu steigendernden Intensität, sondern auch wegen ihrer möglicherweise jahrzehntelangen Dauer – sofern sie nicht zu einem gesundheitlichen Zusammenbruch und frühem Tod führt wie z.B. bei Francesco Spira (Karl Roenneke, Francesquo Spiera – eine Geschichte aus der Zeit der Reformation in Italien, Hamburg 1874).
Für die gesundheitlichen Folgen ist die Frage sehr wichtig, inwieweit die permanente Angstbelastung zu Schlaflosigkeit führt. Der totale Verlust der Fähigkeit zu schlafen (Asomnie) wird nach etlichen Monaten lebensbedrohlich.
Die extreme Schädlichkeit der seelischen Erkrankung steht in auffälligem Missverhältnis zu den oft halbherzigen Bemühungen, die Ursache der seelischen „Verriegelung“ aufzuspüren.
Wer wirklich effizient und nachhaltig helfen will, dem bieten sich folgende Wege an: 1. Schwächung der Befürchtungen durch Würdigung des Motivs der Beschimpfung. Dieser Weg (Siehe dazu im Detail unter Behauptung Nr.11 der „giftigen Theologie“ ) geht von der Annahme aus, dass die Warnung vor der unvergebbaren Sünde von den Jüngern nicht missverstanden wurde. 2. Bewertung der Warnung mit dem Nützlichkeitsgebot (2.Tim 3,16), führt zur Einordnung der Gerichtsworte als letzte Vorwarnung und nicht mehr als Ankündigung des endgültigen Gerichts. 3. Eine der wirkmächtigsten Hilfen gegen die Angst vor der unvergebbaren Sünde ist auf jeden Fall die Überprüfung der Warnung Martin Luthers vor dem Hebräerbrief. Es gibt keinen biblischen Text, der immer wieder gerade bei gutwilligen Gläubigen die Angst vor unwiderruflichem Heilsverlust so steigern kann wie dieser Brief.
Leider wird selten alles versucht – aus egoistischen Gründen, da immer wieder Seelsorger ihre in der religiösen Sozialisation übernommenen Glaubensvorstellungen nicht überprüfen wollen, selbst wenn diese mit Lüge und Verdrängung gestützt werden müssen..
Dem Bemühen um eine überzeugende Entschärfung kommt auch deshalb Bedeutung zu, weil gewissenlose Seelenfleischer nach wie vor wenig Bedenken haben, das stärkste Seelengift einzusetzen, um ein Maximum an Einschüchterung zu erzielen.
Gebräuchlich, aber weniger leistungsfähig bis mangelhaft sind die folgenden Lösungsansätze in der Seelsorge, die weiterhin unbeirrbar als „ausreichende Hilfe“ angeboten werden:
1. Oberflächliche seelsorgerliche Antworten
1.1. Aufforderung zur Auswahl und Verdrängung
1.2. Luthers Kunstgriff: formale Zustimmung zum Verdammtwerden
1.3. Visualisierungen des Leidens Christi
2. Antworten der „nouthetischen“ Seelsorge (Jay Adams)
3. Definition der unvergebbaren Sünde als „nationale Sünde“ (Arnold Fruchtenbaum)
4. Am Buchstaben klebende „Lösung“ als verheerender „Kunstfehler“ (Adolf Schlatter)
1. Oberflächliche seelsorgerliche Antworten
„Gott-ist-tot“ – Theologen machen es sich hier sehr einfach, indem sie die biblische Warnung vor der Lästerungssünde als allzu menschliche Übertreibung abtun. Diese Sicht kann ein Mensch, der von der Autorität und Zuverlässigkeit der heiligen Schrift überzeugt ist, nicht übernehmen, ohne seinen ganzen Glauben in Frage zu stellen. Er müsste damit etwas tun, was er für zutiefst gottlos hält: sein eigenes Urteil willkürlich über das göttliche Wort stellen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sich dadurch bei ihm die Gewissheit, nunmehr endgültig auf die gottlose Seite zu gehören, und damit die Verdammungsangst noch verstärkt.
Man erweist dem Ratsuchenden keinen guten Dienst, wenn man ihn nicht ernstnimmt und seine Not von vornherein und ausschließlich als irrationale Wahnerkrankung einstuft. Damit ist der Weg zu einer sachlichen Analyse der Wirkungszusammenhänge versperrt.
Ein Patient, der von der Autorität und Zuverlässigkeit der heiligen Schrift überzeugt ist, wird immer versuchen, einen Therapeuten zu bekommen, der ebenfalls eine christliche Glaubensüberzeugung hat.
Manchmal ist das aber nicht möglich. Dann sollte der Therapeut zumindest Verständnis für den christlichen Glauben haben. Es sei das abschreckende Beispiel eines Nervenarztes erwähnt, der einem Patienten, der Angst vor der unvergebbaren Sünde hatte, empfahl, den Heiligen Geist ganz bewusst zu beschimpfen. Dieser Arzt hielt die Erkrankung allen Ernstes für einen „Tick“, für eine Zwangshandlung, die sich auflöst, wenn man genau das tut, was Angst macht. Wenn man einen Waschzwang hat, dann mag es ja den Zwang etwas abbauen, wenn man sich die Hände extra verschmutzt und in diesem Zustande möglichst lange belässt. Aber in dieser Situation dieser Rat ? Haarsträubend und verantwortungslos!
Auch wird einem kranken Menschen, der stark darunter leidet, dass ihm der Glaube abhanden zu kommen droht, wenig geholfen, wenn man diesen Glauben in Bausch und Bogen für wertlos erklärt, und ihm die eigene Weltanschauung als Alternative aufzuzwingen versucht. Die Tatsache, dass man selbst keine Angst hat und sich im Einklang mit der aktuellen Mehrheitsmeinung weiß, ist zudem nie und nimmer ein Beweis für die Richtigkeit der eigenen Weltanschauung. Weltanschauung und Glaubensüberzeugung bilden sich in engster Verbindung zur eigenen unverwechselbaren Biographie. Diese für unbedeutend und unmaßgeblich zu erklären, hieße die Würde des Patienten zu missachten. Mit weltanschaulichen Chauvinismus wird niemandem geholfen.
Ein Arzt mit agnostischer Weltanschauung mag ja privat den christlichen Glauben für ein Hirngespinst halten, für eine bloße Konditionierung durch Erziehung. Doch muss er damit rechnen, dass eine religiöse Prägung nicht mehr umkehrbar ist. Eine Glaubensüberzeugung lässt sich nicht wechseln wie eine Hose oder ein Hemd – gerade sie ist in der Tiefe der Persönlichkeit verankert. Wer ihre Denkmöglichkeiten als vorgegebenen Handlungsrahmen respektiert und die Ressourcen innerhalb dieses Rahmens voll ausschöpft, wird sehr wahrscheinlich besser helfen können als jemand, der sich naserümpfend erst gar nicht für solche Ressourcen interessiert.
Selbst geistig verwirrte alte Menschen haben ein Recht auf diese Vorgehensweise, die ihre Würde schützt, wie Naomi Feil und Nicole Richard mit ihrem weltweit bewährten Konzept der Validation gezeigt haben.
Angesichts eines vorgegebenen Denkrahmens ist eine effiziente Lösung nur „systemimmanent“ möglich. Das heißt: man muss sie mit Hilfe der Bibel und biblisch gut begründeter Interpretationsmethoden finden. („Lösungsverfahren„)
Der Gläubige glaubt an Gott, der zwar unsichtbar, aber dennoch eine reale Person ist. Er hat mit ihm einen Lebensbund, einen Vertrag geschlossen, aus dem sich für ihn bestimmte Rechte und Pflichten ergeben. Das Vertragswerk ist die Bibel. Wenn sie Gottes heiliges Wort ist, haben die in ihr verkündeten Rechte und Pflichten göttliche Autorität, die durch menschliche Einreden nicht aufgehoben werden kann.
Wie eng oder weit diese Rechte und Pflichten gefasst sind, hängt von der Glaubwürdigkeit des Auslegungskonzepts ab, das bestimmt, welche biblische Aussage im Falle konkurrierender Aussagen höheren Rang einnimmt.
Gleichzeitig ist zu beachten, dass das Auslegungskonzept die Autorität der Heiligen Schrift nicht schwächen sollte, was sich unmittelbar sehr negativ auf die Gültigkeit der Heilsversprechungen und damit auf die Stärke der aus der Bibel gewonnenen Glaubenszuversicht, der Hoffnung, des Trostes und der Ermutigung auswirken würde.
Ein Auslegungskonzept, das die Autorität der Bibel im Wesentlichen negiert, kommt einer Aufforderung zur Aufgabe des Glaubens („Abfall vom Glauben“) gleich. Die gänzliche Aufgabe des Glaubens ist nach der Bibel eine Tat, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, also nicht vergeben wird. (Hebr 6,4-6) Es ist nachvollziehbar, dass sich der Patient auf solche Vorschläge nicht einlassen kann und darf.
Die Bibel bedroht die Missachtung ihrer Autorität mit Strafen. Die Ankündigung einer Strafe ist – selbst wenn sie lange auf sich warten lässt – eine reale Bedrohung. Solange Gebote nicht überfordern, existiert diese Bedrohung nur theoretisch. Sie tritt völlig zurück hinter starke positive Emotionen, die mit dem Glauben an die Heilszusagen verbunden sind.
Erst wenn Gebote überfordern, tritt die Bedrohung wieder in den Vordergrund. Auf starke, reale Bedrohungen reagiert der Mensch normalerweise mit Angst. Eine unendlich hohe Bestrafung ist nach Aussage der Bibel die Folge einer bestimmten Tat. Der Gläubige hat etwas getan, was dieser Tat sehr ähnlich ist und bezieht deshalb die furchtbaren Drohungen auf seine Person.
Der Seelsorger geht davon aus, dass eben dieser Bezug ein Missverständnis ist. Das muss er beweisen.
Weil das Thema schwierig ist, sind Lösungsversuche mit geringstem gedanklichen Aufwand beliebt. Nicht wenige Seelsorger behelfen sich mit dem Zitieren einiger ermutigender Bibelstellen, verbunden mit der Aufforderung, sich ihrer optimistischen Sicht anzuschließen. Wenn der Verzweifelte es nicht kann, dann ist er eben krank oder verrückt, der arme Kerl und kann sich seine Situation nur noch mit Medikamenten erleichtern. Eine Reflexion, warum die Seelsorge scheiterte, unterbleibt häufig.
1.1. Aufforderung zur Auswahl und Verdrängung
So wird manchmal behauptet, wer Jesus seinen Herrn nennt, könne die unvergebbare Sünde nicht begangen haben, denn „Niemand kann Jesus einen Herrn nennen, es sei denn durch den Heiligen Geist.“ (1.Kor 12,3) Tatsächlich ? Dabei heißt es andernorts: „es werden nicht alle, die Herr zu mir sagen, ins Himmelreich kommen, sondern nur die, die den Willen meines Vaters im Himmel tun…“ (Mt 7,21) Offenbar war das Phänomen des biblischen Pauschalstils unbekannt. Oder hat der Seelsorger die entgegengesetzte Aussage in Mt 7,21 gekannt und sie einfach ignoriert ?
Eine seriöse Antwort wird immer auch entgegengesetzte Aussagen einbeziehen. Wird der zweite Vers berücksichtigt, dann ist klar, dass für eine saubere Trennung zwischen Heiligung und Werkgerechtigkeit zu sorgen ist. Denn die Erfüllung des Willens Gottes, die „Heiligung„, ist Voraussetzung, um das Heilsversprechen Gottes in Anspruch zu nehmen.
Eine Optimismus, der auf Verdrängung und oberflächlicher Bearbeitung biblischer Problemstellen beruht, erzeugt bei etlichen Seelsorgern leicht unpassende Überlegenheitsgefühle gegenüber Gläubigen, die unseriöse Lösungsvorschläge nicht übernehmen können. Wie wenig diese Einstellung für die Seelsorge taugt, lässt sich aus einem äußerst deprimierenden Briefwechsel mit einem Pastor der Ev Allianz Bremen ersehen. Solche Reaktionen sind leider nicht die Ausnahme. Wie selbstverständlich halten sich auch solche Pastoren für zuständig, die Verbesserungsvorschläge weder widerlegen noch akzeptieren können und die sich mit der Problematik nur in oberflächlicher Weise befasst haben und auch gar nicht tiefergehend befassen wollen. Ein weiterer Briefwechsel mit einer Pastorin, die sich auf bibel.tv zu Wort meldete, zeigt, dass diese Niveaulosigkeit noch getoppt werden konnte.
1.2. Luthers Kunstgriff: formale Zustimmung zum Verdammtwerden
Luther hatte sich eine besonders originelle Methode ausgedacht: wer Angst hat, in die Hölle zu kommen, der braucht bloß damit einverstanden zu sein. Ein Mensch, der in jeder Hinsicht wünscht, dass Gottes Wille geschehe und sei es die eigene Bestrafung mit der Hölle, kann dies nur durch den Geist Gottes und hat damit den Beweis erlangt, dass er gerettet ist: „Diejenigen, welche Gott in Wahrheit und Freundschaft lieben,… fügen sich aus freien Stücken in jeglichen Willen Gottes, auch in die Hölle und den ewigen Tod, wenn es so Gottes Wille sein sollte, nur damit sein Willen ganz geschehe; so wenig suchen sie das Ihre. Doch ebenso, wie sie sich dem Willen Gottes ohne Vorbehalt gleichförmig machen, ist es auch unmöglich, dass sie in der Hölle bleiben. Denn es ist ausgeschlossen, dass der außerhalb Gottes bleibt, der sich mit Leib und Seele in seinen Willen hineinwirft. Er will ja was Gott will – also findet er Gottes Gefallen. Findet er sein Gefallen, so ist er geliebt; ist er geliebt, so ist er gerettet.“ (Aus der Römerbriefvorlesung (1515/16) Scholie zu Rö 9,3 nach Ficker I,2, Seite 217,26ff)
Eine Lösung, die nicht überzeugt. Wie soll ein Christ, der vor der Hölle zittert, Gott lieben können? Er kann formal seiner Verdammnis zustimmen, zweifellos – aber nur mit dem Hintergedanken, sie eben dadurch zu vermeiden. Die Zustimmung geschieht also aus Berechnung – und keinesfalls freiwillig. Sich mit einem Kunstgriff, einer beispiellosen psychologischen Verrenkung der Liebe Gottes Gottes versichern müssen – wie soll dabei Liebe entstehen ? Und welcher Gläubige „fügt sich in jeglichen Willen Gottes“ und überwindet alles in seinem Leben, was unvollkommen ist, um sein Heil zu sichern ? Eben das wäre ja wieder äußerste Verknechtung der Seele, da Gläubige eben nicht vollkommen sind, auch wenn ihr Herr wünscht, dass sie es sich wünschen. (Mt 5,48)
1.3. Visualisierungen des Leidens Christi
Visualisierungen oder Veranschaulichungen des Leidens Christi können äußerst kontraproduktiv sein: mit einem spitzen Nagel in die Handfläche stechen, einen Stamm als „Kreuzesholz“ anrühren, eine brutale Kreuzigungsszene im Film anschauen. Die gezeigte Brutalität vergrößert nur die Angst, wenn das Sühneopfer Jesu nicht als Beweis der Liebe Gottes gesehen werden kann.
2. Antworten der „nouthetischen“ Seelsorge (Jay Adams)“
Adams geht davon aus, dass die unvergebbare Sünde nur von einem Menschen begangen werden kann, der so „verhärtet“ und gegen den heiligen Geist abgestumpft ist, dass er auch keine Angst mehr vor dem Gericht Gottes empfindet. Gerade die Besorgnis sei ein Indikator für das Heil. (Jay Adams, Handbuch für Seelsorge, Wuppertal 1976, S.311). Wer deshalb Angst habe, könne diese Sünde unmöglich begangen haben.
Das ist in der Tat der Eindruck, den das Verhalten der religiösen Führer Israels im weiteren Verlauf der Geschichte vermittelt. Sie bringen nicht nur Jesus ans Kreuz, sondern versuchen auch später die Gemeinde auszurotten. Nirgends wird etwas von Reue und Bedenklichkeit berichtet. Der Apostel Paulus erscheint als einsame Ausnahme eines Pharisäers, der seine frühere Feindschaft aufgab.
Dieser Punkt wird von etlichen Ratsuchenden zu wenig beachtet. Da Gott jeden Menschen aufrichtig liebt, wird er nichts unversucht lassen, um ihn zu retten. Diese Absicht lässt er sich sogar von Menschen bestätigen (Jes 5,4-5 ). (Siehe ausführlich dazu den Lösungsansatz unter „Giftige Theologie“) Man darf deshalb davon ausgehen, dass der „point of no return“ den Abschluss einer beispiellos gottlosen Lebenszeit bildet, bei dem eine Umkehr nach menschlichem (!) und göttlichen Ermessen nicht mehr zu erwarten ist.
Leider betrachten sehr oft die falschen Leute, die sensibel, schwach und ängstlich sind und deren Sünden sich in vergleichsweise kleinem Rahmen halten, die Warnung Jesu vor der unvergebbaren Sünde wie auch andere Warnungen, die an verhärtete und an Bosheit gewöhnte Menschen gerichtet sind, als an sich gerichtet. (Sorgfaltsparadox)
Die beruhigende Formel „wer Angst hat, braucht keine Angst zu haben...“ mag de facto richtig sein. Sie lässt sich aber nicht zweifelsfrei durch am Buchstaben klebende Interpretation beweisen, da es – wenn auch wenige – verunsichernde Textstellen (wie z.B. Hebr 12,16-17) gibt: „Achtet auch darauf, dass keiner von euch … mit heiligen Dingen so geringschätzig umgeht wie Esau, der für eine einzige Mahlzeit sein Erstgeburtsrecht verkaufte! Ihr wisst, wie es ihm später er ging, als er den Segen von seinem Vater bekommen wollte: Er wurde von Gott verworfen und fand keine Möglichkeit mehr, das rückgängig zu machen, obwohl er sich unter Tränen darum bemühte.“ Hier ist Reue vorhanden, sie kommt indes zu spät. Die Traurigkeit Esaus über sein Fehlverhalten ist hier mitnichten ein Indikator des Heils. Dem ängstlichen Gläubigen hilft es wenig, wenn ihn der Seelsorger auffordert, Textstellen wie Hebr.12,16-17 einfach zu ignorieren. Auch lässt sich hier Hebr 10,26 anführen: „es bleibt nur ein schreckliches Warten auf das Gericht…“ Wer will das zuverlässig unterscheiden, das schreckliche und das angstvolle Warten? Einwenden ließe sich ebenfalls Jak 2,19: „die Teufel glauben auch und zittern.“ Außerdem ist alles, was jemand aus Angst und nicht aus Liebe tut, Werkgerechtigkeit, also Sünde, und da gilt: „wer Sünde tut, gehört zum Teufel.“ (1.Joh 3,8) So lassen sich doch Bibelworte finden, die weiter eine Quelle der Verunsicherung bleiben. Indes: Der Hebräerbrief müsste nicht verunsichern. Denn bereits Martin Luther hat festgestellt, dass diese Spätschrift des NT der Erlösung aus Gnaden widerspricht und dass demzufolge ihre Autorität höchst fragwürdig ist. Das lässt sich heute im Detail sehr gut nachweisen. Leider wird diese Information in evangelikalen Kreisen nicht weitergegeben und ist deshalb immer noch unbekannt, da für die Meinungsmacher dogmatische Geschlossenheit eine viel höhere Priorität hat als eine reelle Chance, sorgfältig lesende Christen aus der Verzweiflung zu retten.
Es geht nicht darum, dass sich der Seelsorger den Ratsuchenden mit einem schlecht wirksamem Argument vom Hals schafft und dann sich noch dem Wahn hingibt, das Beste versucht zu haben. Es muss natürlich eine Untersuchung folgen, warum sein Rat so schlecht wirkt. Alles andere ist unseriös. Eine stabile Deutung bedarf auf jeden Fall einer widerspruchsfreien Einsicht in den wahren Charakter Gottes. Diese ist per se unmöglich, wenn das Gewissen des Ratsuchenden durch perfektionistische Theologie geprägt ist. („Giftige Theologie„) Auch kleine Schwächen und Unzulänglichkeiten erzeugen dann den Eindruck, ein „beispiellos gottloses Leben“ geführt zu haben, an dessen Ende nun das unvermeidliche Verdammungsurteil stehen muss. (Vgl. Rö 14, 15: ist das geistliche Leben eines Christen in höchster Gefahr, wenn er wider besseres Wissen etwas Verbotenes getan hat?) Adams erwähnt eine perfektionistische Sicht der Sexualität, die darin gipfelt, dass bereits der unreine Gedanke als unvergebbare Sünde betrachtet wird. (Vgl. den Artikel „sexuelle Sünden verunreinigen am stärksten.„)
Deshalb muss als erster Schritt die seelische Fesselung durch perfektionistische Theologie aufgelöst werden, was nur mit „systemimmanenter“ Argumentation geschehen kann, d.h. mit einer Methode, die die fundamentalistisch-perfektionistische Sicht „mit ihren eigenen Waffen“ widerlegt. Gleichzeitig ist es wichtig, den positiven Charakter einer Heiligung im Sinne Jesu umfassend und glaubwürdig zu vermitteln.
Richtig ist der Hinweis von Adams, dass die Angst vor der unvergebbaren Sünde nicht die Frage nach anderen Fehlverhaltensweisen überflüssig machen darf. Wird an groben Sünden (Zerstörung der Ehe, Unversöhnlichkeit, Neid) festgehalten, dann kann beim Bibellesen das lebendige Reden, Wirken und Bevollmächtigen nicht entstehen, die Interaktion zwischen Bibel und Gläubigen, die für geistliches Leben typisch ist. Dann ist es auch um die Gewissheit des Heils schlecht bestellt.
Kontraproduktiv ist dieser Ansatz, wenn der Seelsorger ohne konkretes Wissen von vornherein unterstellt, dass der Ratsuchende die Angst vortäuscht, weil er „von anderen Sünden ablenken will“. Ohne es zu wollen, können Seelsorger sehr grausam reagieren. Das zeigt auch die am Buchstaben klebende Antwort von Adolf Schlatter.
3. Definition der unvergebbaren Sünde als „nationale Sünde“ (Arnold Fruchtenbaum)
Nach Fruchtenbaum bildet der Hinweis auf „dieses böse Geschlecht“ (Mt 12,41+42+45) den Schlüssel für das Verständnis der unvergebbaren Sünde. Nur eine einzige Generation hatte die Möglichkeit, dem Messias direkt zu begegnen und sich von seinem sündlosen Charakter und seiner göttlichen Vollmacht zu überzeugen. Jesus vollbrachte zudem die Wunder, die in der jüdischen Tradition nur der Messias tun konnte: die Heilung von Aussätzigen, das Austreiben eines stummen Dämons und die Heilung eines Blindgeborenen.
Bessere Beweise für die Vollmacht des Messias konnte es nicht geben. Auch ging Jesus auf die Menschen mit vollkommener Liebe zu. Niemals war es leichter, mit der Liebe Gottes, seiner Hilfe und seiner heilenden Kraft in Berührung zu kommen.
In dieser einzigartigen Situation gab es Menschen, die Jesus als Verkörperung des Bösen bezeichneten, als Boten Satans. Wieder werden als Schiedsrichter im Endgericht Menschen bemüht, die Leute von Ninive und die Königin von Saba (VV.41-42), die das verdammende Urteil aussprechen.
Das Verdammungsurteil ist also keine überlogische, unverständliche Grausamkeit Gottes: die Einstellung der Pharisäer ist so boshaft, dass auch Menschen um der Fairness willen darüber ähnlich urteilen würden. Wer Jesus unter diesen Bedingungen und in dieser Weise ablehnt, der hat den endgültigen Bruch mit dem Messias vollzogen.
Am Ende des Kapitels 12 wird der Bruch mit Israel und der Übergang des Heils zu den Heiden angedeutet. Jesus wertete seine verwandtschaftlichen Beziehungen ab, und bezeichnete nur noch die als zugehörig zum Gottesvolk, die den Willen Gottes respektieren. (Mt 12,47-50). Der endgültige Bruch wurde bald offenkundig, als der Tempel samt Jerusalem zerstört und das jüdische Volk in alle Welt vertrieben wurde. „Wahrlich, all dieses wird über dieses Geschlecht kommen.“ (Mt 23,36) Dieses Gericht war unvermeidlich, da Gott die Verwerfung des Messias nicht vergeben konnte.
Hilfreich an der Lösung von Fruchtenbaum ist die Tatsache, dass sie die geistliche Katastrophe mit der Verwerfung des Messias verknüpft und nicht mit einer falschen Bezeichnung von Wundern. In pfingstlerischen und charismatischen Gruppen wird manchmal behauptet, dass jemand, der die dort gezeigten Wunder in Frage stelle, eine unvergebbare Sünde begangen hätte. Wie verantwortungslos ist diese Behauptung ! Wunder, die Menschen vorzeigen, sind nicht eindeutig. Wie viel Betrug hat es da schon gegeben – auch in christlichen Gruppen.
Wenn ein Christ so leicht verloren gehen könnte, weil er ein Wunder für unecht hält, was wären dann die Verheißungen Jesu und seine Kraft zu bewahren, wert ?
Ebenso positiv ist zu sehen, dass das menschliche Fairnessurteil eine wichtige Rolle spielt, sodass die endgültige Trennung von Jesus nicht wie ein willkürliches Verhängnis über den Menschen hereinbricht. (siehe dazu Details)
Positiv an der Lösung von Fruchtenbaum ist auch zu sehen, dass er auf die einzigartige privilegierte Stellung der Generation Jesu hinwies. Auch die Zeit der Apostel, die Zeichen und Wunder im Namen des Messias vollbrachten, die göttliche Liebe beispielhaft vorlebten und Anschluss an die göttliche Inspiration hatten (Apostelbriefe!), ist noch als eine privilegierte Situation der Urgemeinde zu sehen.
De große Schwäche der Argumentation Fruchtenbaums ist darin zu sehen, dass die Auffassung der unvergebbaren Sünde als „nationale Sünde“ – selbst dann, wenn sie zutreffen sollte – nicht zwingend ausschließt, dass diese Sünde auch von einem einzelnen Menschen begangen werden kann. Wie soll auch ein derartiger Beweis geführt werden? Die Drohungen in Mt 12,32 wie auch im Hebräerbrief beziehen sich vom Wortlaut her eher auf einen einzelnen Menschen statt auf eine Personengruppe.
Der Hebräerbrief ist möglicherweise noch an privilegierte Gläubige gerichtet, die die Predigt der Apostel noch gehört haben, wie Hebr 2,3b nahelegt. Man kann aber nicht sagen, dass er viel Spielraum zwischen einer damaligen einzigartig privilegierten Situation und heutigen Verhältnissen lässt. Das Risiko einer unumkehrbaren Verdammung zu Lebzeiten verknüpft er mit einem Fehlverhalten des Gläubigen, das sehr allgemein formuliert wird und deshalb auch auf spätere Generationen bezogen werden kann. Der Zeitraum für die absolut tödliche Wirkung des Verhaltens beginnt mit der Ablösung des Mose durch Christus. Ob und wann er endet, darüber gibt es keine sichere Information. Wie der Hebräerbrief androht, kann zeitweiliger Unglaube mit verspäteter Reue (4Mo 14,39ff / Hebr 3,7 ff) sowie auch das „mutwillige Sündigen“ (Hebr 10,26) sowie auch das Zurückstellen geistlicher Prioritäten hinter weltlichen Genuss (Hebr 12,16) zum irreversiblen Heilsverlust führen. Absichtliches Sündigen lässt sich als mangelnde Wertschätzung des Sühnetodes Jesu deuten, die mit dem „Unrein achten des Blutes“ (Heb 10,29) in Verbindung gebracht werden kann. Die Drohungen werden noch erheblich durch die Tatsache verschärft, das sie sich an Gläubige richten, die bereits all ihr Hab und Gut in der Verfolgung geopfert haben (Hebr 10,34). Eine deprimierende Schlussfolgerung liegt nahe: wenn selbst diese bewährten Gläubigen mit einem Bein in der Katastrophe stehen und mit aller Härte gewarnt werden müssen, was soll dann aus dem Ratsuchenden werden, der noch weit von ihrem hohen Niveau entfernt ist?
So gesehen schwächt der Hebräerbrief Fruchtenbaums eigentlich hilfreiche Argumentation erheblich. Ohne eine angemessene Einordnung des Hebräerbriefes wird er immer wieder verunsichern. Völlig inakzeptabel ist gar das traditionelle Schweigen zum Hinweis Luthers, dass der Hebräerbrief schon in der frühen Christenheit aus gutem Grund sehr umstritten war..
4. Am Buchstaben klebende „Lösung“ als verheerender „Kunstfehler“ (Adolf Schlatter)
Seelsorge, die sklavisch am Buchstaben klebt, kann den Rest jeglicher Hoffnung zerstören.
Dies soll anhand der Ausführungen des Theologieprofessors Adolf Schlatter (1852-1938), der für eine ganze Reihe ähnlich denkender Theologen steht, veranschaulicht werden. Auch er hat sich mit der Frage befasst, wie man Menschen helfen könnte, die Angst haben, die unvergebbare Sünde begangen zu haben. Es tut uns leid, ihn hier kritisieren zu müssen, denn er hat in seinen Werken der Gemeinde viele wertvolle Erkenntnisse hinterlassen. Viele haben ihn mit großem Gewinn gelesen. Doch in der Frage der unvergebbaren Sünde hat er leider schwerwiegende Fehler begangen, die angesprochen werden müssen.
Seine Antwort lautet, dass in diesem Fall Hilfe unmöglich ist. Niemand könne wissen, ob jemand diese Sünde begangen habe. Der Mensch, der von dieser Angst gequält wird, natürlich auch nicht.
Nach Schlatters Ansicht ist selbst das Glaubensleben kein Beweis: der Feigenbaum, den Jesus verflucht hatte (Mt 21,19), trüge ja auch noch Blätter und wäre doch längst tot. (Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seite 55.)
Diese Argumentation zeigt, dass eine orthodoxe Auslegungsregel (“Schrift erklärt die Schrift” = “Sola Scriptura!”) bei Schlatter die entscheidende Beurteilungsgrundlage bildet. Zweifellos macht die Anwendung der Auslegungsregel “Schrift erklärt die Schrift” in einer dem Heiligen Geist gemäßen (!) Weise Sinn: die Bibel erklärt sich selbst, wenn Jesus das Alte Testament auslegt (Mt 5,21ff / Mt 22,42-46) oder wenn im Hebräerbrief Zusammenhänge zwischen dem Priestertum im Altem und Neuen Testament erläutert werden.
Doch ein gedankenlos mechanischer “Schriftbeweis” auf der Basis des nur-wörtlichen Verständnisses kann – wie man hier sieht – auch zu haarsträubenden Ergebnissen führen. Es ist fürwahr eine schaurige Vorstellung, dass vielleicht viele Brüder und Schwestern, die sich ihres Glaubens freuen, gerne in der Gemeinde mithelfen, den Herrn freudig bekennen und anderen den Weg zu Christus zeigen, gar nicht wissen, dass sie selber nichts anderes als leichenkalte Untote sind, weil sie mal irgendwann ein unüberlegtes Wort gegen geistliche Dinge gesagt haben.
Der Denkfehler liegt bereit darin, dass das Problem als eine Art Denksportaufgabe gesehen wird und ein Lösungsansatz ausschließlich mit „neutraler“, dogmatischer Logik versucht wird.
Das funktioniert schon deshalb nicht, weil es keine allgemeine Auskunftspflicht Gottes dem Bibelleser gegenüber gibt. Die Bibel ist kein Prospekt für die Reise ins Jenseits, der jedem Kunden „unpersönliche“ Informationen anbietet, für deren Richtigkeit der Veranstalter der Reise (Gott) haftet.
Die Bibel erkennt vielmehr den inneren Zustand und Lebensstil des Lesers und reagiert darauf. (Selbstverstärkung) Sie schenkt keinesfalls automatisch Klarheit. Soweit der Leser Wahrheitsliebe vermissen lässt, fördert sie Irrtum und Missverständnis. „Deshalb schickt Gott ihnen wirksame Täuschung, sodass sie der Lüge Glauben schenken. So wird jeder gerichtet, der die Wahrheit nicht glauben will, sondern das Unrecht liebt“ (2Thes 2,11-12). „Euch lässt Gott die Geheimnisse seiner neuen Welt verstehen, anderen sind sie verborgen. Denn wer viel hat, der bekommt noch mehr dazu, ja, er wird mehr als genug haben. Wer aber nichts hat, dem wird auch noch das Wenige, das er hat, genommen” (Mt 13,10 ff.).
Auch enthält der Buchstabe der Bibel nicht alle Informationen, die zum Glaubenswachstum notwendig sind. Damit Glaubenswachstum stattfinden kann, müssen weitere Informationen hinzukommen, die nicht in der Bibel enthalten sind und diese Informationen werden nur durch die geistliche Lebenspraxis, durch die Interaktion zwischen göttlichem Wort und dem Gläubigen, der darauf hört, geliefert.
(Das wäre etwa so, als würde jemand behaupten, dass nur der DNS-Code das Leben enthalten würde, während doch die Interaktion zwischen DNS und lebendiger Zelle für das Leben typisch ist. Die isolierte DNS ist aber nur totes Eiweiß. (s.a. schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell. )
Wie kann Schlatter der Ansicht sein, dass das, was die Bibel direkt zur unvergebbaren Sünde sagt, völlig ausreicht? Gerade in der alles entscheidenden Frage, ob man bei Gott nun noch eine Chance hat oder keine mehr, sind diese Informationen so dürftig und sparsam, dass es mehr als auffällig ist.
Warum werden Merkmale eines geistlichen Lebens, die der Betroffene zeigt, von Schlatter von vornherein als bedeutungslos abgetan? Muss man hier nicht fragen: wenn geistliches Leben nicht einmal für den Gläubigen selber einen Zeugniswert hat, welchen Zeugniswert kann es dann für andere haben? Welchen Wert hat dann das christliche Zeugnis überhaupt? Wenn es genauso gut Einbildung sein kann, warum muss man denn unbedingt seine Mitmenschen mit diesem brutalen Glauben belästigen?
Dürftig und trostlos muss man nennen, was Schlatter als Ratschlag anzubieten hat. Der Gläubige soll am Glauben festhalten, dass Jesu Opfer für wirklich alle Sünden ausreicht, und soll sich dann durch die Warnung vor der unvergebbaren Sünde „erschrecken lassen“. (Ebd. S.44.)
Schlatter hat sich offenbar mit der Lebensgeschichte von Christen, die diese Ängste haben, niemals sorgfältig befasst. Hätte er das getan, so würde er auch wohl kaum diesen praxisfernen „Rat“ gegeben haben.
Welchen Nutzen soll es haben, wenn “man sich erschrecken lässt”? Die Angst vor der unvergebbaren Sünde rückt die Hölle in unmittelbare Nähe, sie lässt sie bereits in diesem Leben beginnen.
Es ist gar keine Frage, dass dieses unmenschliche Grauen bei ängstlichen Gläubigen ein Höchstmaß an serviler Unterwerfung erzwingt, mit dem sie sich gegen ein mögliches Widersprechen gegen den heiligen Geist abzusichern versuchen. (Vgl. ebd., Seiten 44+53).
Doch das ist – wie gesagt – eine Illusion. Wie sollte der Gläubige aus Liebe die Gebote beachten können, wenn alles Tun vom Motiv begleitet ist, es sich auf keinen Fall mit einem derartig grausamen Herrn zu verderben? Kein Mensch kann das! Hier haben wir die klassische Situation, die Paulus in Römer 7 schildert – und zwar bei bekehrten Christen!
Um sich abzusichern, flüchten sie in freudlose Werkgerechtigkeit. Um einen Widerspruch zu Gottes Willen gar nicht erst aufkommen zu lassen, der in ein Widersprechen gegen den heiligen Geist ausufern könnte, schinden sie sich nach Kräften, um den Forderungen Gottes möglichst vollständig zu entsprechen. Da das Neue Testament „Vollkommenheit“ verlangt (Mt 5,48), kann man sich das Ausmaß der Belastung vorstellen.
Dass ihr Verhalten der allsonntäglich verkündeten „Erlösung aus Gnaden“ (Eph 2,8) widerspricht, nehmen sie kaum noch wahr. Die falsche theologische Grundlage zwingt sie konsequent auf diesen fatalen Kurs. Dabei werden Zusagen Gottes wie z.B. Hebr 2,15 (“Gott hat die erlöst, die durch Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben lang Sklaven sein mussten”) weder vergessen noch bestritten. Sie sind aber etwas, was nur in der Theorie existiert und nie existenziell erfahren wurde.
Sie sind im Grunde genommen reine Propaganda. Gott hat nun einmal befohlen, „die frohe Botschaft weiter zu sagen“. Und weil der Gläubige, der sich dieser Pflicht entzieht, Gott ungehorsam ist und Strafe zu erwarten hätte, muss auch mit durch Theologie zerrütteten Nerven gejubelt und gelobt werden.
Kritik an Gott ist ohnehin hochgefährlich und unvorstellbar. Deswegen ist es auch zwecklos, sich über die Tatsache, dass man selber das genaue Gegenteil erlebt, den Kopf zu zerbrechen. Für aufkeimende Zweifel steht immer das erlernte Totschlagargument der “göttlichen Unerforschlichkeit” bereit. Oder das Totschlagargument der geforderten “Demut”, mit dem man Gläubige an die Geringschätzung des Urteilsvermögens und des geheiligten Verstandes gewöhnt hat.
In der Meinung, dass Gott wie weltliche Diktatoren bestellten und erpressten Jubel liebt, zeigt sich die erlernte Unfähigkeit zu einer realistischen Einschätzung des göttlichen Charakters. Ohne theologisch verbildet worden zu sein, würde kein Mensch so krumm denken.
Eben diese erlernte Unfähigkeit kann zu abstrusen Absicherungshandlungen führen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass gerade die eifrig zum Zwecke der Absicherung betriebene Werkgerechtigkeit zu guter Letzt genau das bewirkt, was man unter allen Umständen vermeiden wollte: nämlich den verbalen Exzess in der Lästerung. Ständig wehrlos der Angst vor der Ungnade Gottes ausgesetzt zu sein, und keine andere Hilfe zu haben als eine unehrliche Theologie – das erzeugt schließlich Hass.
Auch Luther hasste vor seinem Turmerlebnis Gott schließlich aus tiefster Seele (TR 2, 2654a, Sep 1532), was ihn aber in noch tiefere Ängste stürzte, da ihm dieser Hass ein Beweis dafür zu sein schien, dass er zur Verdammnis bestimmt war.
Wird in der Gemeinde gar noch gelehrt, dass der Gläubige mit der Bekehrung eine allumfassende Begabung erhalten hat, die ihm ermöglicht, alle Gebote leicht zu erfüllen (“Totalbegabungswahn”), so bedarf es noch nicht einmal einer exzessiven Lästerung, um in panische Angst zu geraten.
Die erkannte Unfähigkeit, vollkommen zu leben, kann bereits zu ähnlich grausamen Ängsten Anlass geben, nämlich zur Angst, den heiligen Geist möglicherweise verloren zu haben (Hebr 6,4-6). Zwar fällt dem Gläubigen keine konkrete unvergebbare Lästerung ein, aber er kann das Ereignis ja schlicht vergessen haben, zumal er sich der Bedeutung dieses Vorgang möglicherweise gar nicht bewusst war.
Ist eine Beschimpfung des heiligen Geistes nicht ohnehin sehr wahrscheinlich? Dem Gläubigen ist doch geboten, zwischen „geistlich“ (im Interesse des heiligen Geistes) und „fleischlich“ (im Interesse des Menschen, dessen „Fleisch“ konkurrierende Ansprüche stellt) zu unterscheiden. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Rö 12,2). Er unterliegt also einem Entscheidungs und Urteilszwang!
Dann ist es doch leicht möglich, dass er irgendwann einmal – weil er sich durch geistliche Dinge überfordert sieht – Geistliches zu Alibizwecken als fleischlich deklarieren könnte (z.B. Diffamierung des schiedsgerichtlichen Dienstes gemäß 1.Kor 6,1ff als „ungeistliches Richten“ usw.)
Wer sehr eng denkt, könnte darunter bereits „ein Wort gegen den heiligen Geist“ verstehen. An solchen Punkten spitzt sich der Widerspruch zwischen pauschalen Heilszusagen und dem heilsrelativierendem „Kleingedruckten“ in nicht mehr zu übersehender Deutlichkeit zu!
Wie bewertet Gott lästernde Gedanken, die von einem schwachen Willensimpuls begleitet waren? Wertet er diesen Willensimpuls als Genehmigung und Zustimmung? Bestraft er sie möglicherweise, als ob sie gesprochen worden wären? Warum soll der Gebrauch der Stimmbänder das entscheidende Instrument sein, das die Weiche zur endgültigen Vernichtung stellt?
Wie soll der Gläubige auf diese Gedanken reagieren? Wie soll er den Willensimpuls bewerten, wenn seine Seele längst vom Abscheu gegenüber einem Gott erfüllt ist, der tyrannisiert und erpresst und dabei ständig von Liebe redet?
Je mehr er sich vor diesen Gedanken fürchtet, desto häufiger kommen sie, dutzendemal, hundertemal am Tag, oder noch häufiger. Und jedesmal muss er sich rechtzeitig davon distanzieren. Das wenigstens muss er tun, denn die negativen Gefühle gegenüber Gott wird er nicht los, so sehr er es wünscht. Deswegen wird der Willensimpuls, der lästernde Gedanken begleitet, auch immer stärker.
Bald kann er sich nicht mehr erinnern, ob er rechtzeitig etwas gegen den lästernden Gedanken gedacht hat. Jetzt muss er laut formulieren, dass er sich distanziert, denn an das laut Gesprochene erinnert er sich besser.
Bald ist er im Zweifel, ob er eine Lästerung gedacht hat. Um sich zu vergewissern, spricht er die lästernden Gedanken nach. Bald ist er im Zweifel, ob er einen lästernden Gedanken gewollt hat oder nicht. Er versucht nun den Willensimpuls zu rekonstruieren, um sich besser zu erinnern.
Dieser Prozess geht weiter und weiter und eines Tages genügt ein relativ kleiner Anlass, um die Lästerung in aller Deutlichkeit hinauszubrüllen, sie minutenlang richtig und gut zu finden, um dann das tonnenschwere Gewicht einer grenzenlosen Angst auf sich herabstürzen zu sehen.
Es erfordert wenig Phantasie, sich das Ausmaß der Traumatisierung vorzustellen. Es ist dem Leben in der Todeszelle vergleichbar. Der Gläubige sieht sich an ein Starkstromkabel gekettet. Er vegetiert dahin in der ständigen Erwartung des tödlichen Stromschlages. Wann die Katastrophe eintritt, ist nur eine Frage der Zeit.
Solche Prozesse, die die Persönlichkeit des Menschen quasi auslöschen, seine Würde und seelische Gesundheit bis auf den Grund ruinieren, markieren die Endstation, die gutwillige und ahnungslose Gläubige auf der Schiene der traditionellen Überbewertung des Buchstabens auf Kosten des Verstandes erreichen können.
Wie sinnlos ist das alles! Wie leicht vermeidbar! Wie würde sich der wahre Gott dazu äußern, der keine zweideutige Persönlichkeit hat? Dessen Ethik nicht willkürlich und widersprüchlich ist? Bei dem die Begriffe “Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, Verlässlichkeit” (Mt 23,23) nicht umgedeutet und ausgehöhlt werden, sondern das beinhalten, was sie aussagen?
Die Möglichkeit, solche Gedankenprozesse durch ein christusgemäßes Schriftverständnis zu stoppen, ist der handgreifliche Beweis, dass es sich bei solchen tragischen Entwicklungen nicht um eine Geisteskrankheit handelt, wie von gewissen Theologen vorschnell behauptet wird.
Eine Geisteskrankheit, die auf schwer erforschbare Ursachen wie hirnorganische Schädigung, charakterliche Fehlprägung, geistige Minderbegabung usw. zurückzuführen ist, wäre in der Regel als unabänderliches Schicksal hinzunehmen. Natürlich können solche Ursachen im Einzelfall vorhanden sein. Doch in jedem Fall muss doch die naheliegendste Ursache erst einmal ausgeschlossen werden, zumal sie zuverlässig beseitigt werden kann!
Das ist die Zweideutigkeit im Gottesbild, in der Ethik und in der Heilszusage! Wenn alles zweideutig ist, dann können Gläubige mit sensiblem Gewissen und gedanklicher Sorgfalt sehr leicht in den mörderischen Sog frommer Absicherungsbemühungen hineingeraten.
Ein paar Interviews mit solchen Gläubigen hätten eigentlich Schlatter die Einsicht vermitteln können, dass wenigstens in solchen Fällen seine große Ahnungslosigkeit, was denn nun aus solchen Leuten wird, unangebracht ist. Es scheint ihn wenig zu stören, dass harmlose Christen jahrzehntelang eine völlig sinnlose seelische Folter erleiden, bis sie dann endlich wieder Mut zum Glauben fassen und auch Erfahrungen mit der Hilfe Gottes machen. Ein hilfreiches, die Panik lösendes Wort ist nach seiner Einschätzung überflüssig.
Ist das der langen kirchengeschichtlichen Schulung zu verdanken, in der man gründlich gelernt hat, auf entsetzliches Leid von Gläubigen zu blicken und nur gleichgültig mit den Achseln zu zucken?
Keiner bezweifelt, dass Schlatter selbst keine Angst hatte, als er seinen Text schrieb. Sein Seelenfrieden beruht jedoch nicht auf nachvollziehbaren Gründen, sondern auf dem ihm zur Verfügung stehenden Optimismus bzw. der Stärke seiner Einbildungskraft, es werde schon bei ihm selber nicht so schlimm sein.
Nach seinen eigenen Worten kann bereits ein negatives Wort über Brüder, über ein Bibelwort, über etwas, was der heilige Geist will, die unvergebbare Sünde sein.(Ebd., Seite 52-53.) Tatsache ist aber, dass sich niemand an alle negativen Worte erinnern kann, die er jemals gesagt hat.
Somit bleibt die Frage, ob der Gläubige nun erlöst oder verdammt ist, nach Schlatter ungeklärt und unbeantwortbar.
Schlatter erklärt, dass man „ganz fest“ (Einbildungskraft! Optimismus!) daran glauben soll, dass die Gnade Jesus „ausreicht“, „alle“ Sünden außer der unvergebbaren zu bedecken. In dem Wort „alle“ sieht er angeblich „den ganzen Reichtum göttlichen Vergebens vor uns ausgebreitet“. (Ebd., Seite 44.)
Was hier vor den Lesern “ausgebreitet” wird, ist etwas ganz anderes. Man nennt das wohl “Frohe Botschaft”. Aber so richtig froh will dem Gläubigen dabei nicht werden. Auch wenn etliche Schriftgelehrte mit ihrem abgebrühtem, frommem Stoizismus und Optimismus bei unsicheren Gläubigen mächtig Eindruck schinden werden.
Absurd ist Schlatters „Rat“, der verzweifelnde Gläubige müsse in dieser wichtigen Frage auf Klarheit verzichten, dürfe aber außerdem noch den Lobpreis der „Wohlgefälligkeit“ (Mt 11, 26!) anstimmen. (Schlatter benutzt in diesem Zusammenhang tatsächlich dieses Zitat! (Ebd., Seite 55.)) Das ist wirklich der Gipfel der Gefühlsabstumpfung!
Vielleicht will er ja gerne barmherzig sein. Aber er kann es nicht. Sein theologisches Denksystem zwingt ihn, unmenschlich zu denken. Und weil das Unmenschliche dem Menschen widerlich ist, erscheint ihm möglicherweise gerade das “treue” Festhalten an der Unmenschlichkeit als ein Kennzeichen besonders konsequenter Frömmigkeit.
Dann ist es nur folgerichtig, wenn sich der Gläubige über Mitchristen, die in der Psychiatrie möglicherweise bis zum Lebensende in grausamstem Seelenleid dahinvegetieren, keine weitergehenden Gedanken macht. Retten braucht man daraus auch niemand. Man kann ja in Ruhe warten, bis die „Blätter“ von selber abfallen!
Das ist auch das weitverbreitete Verhalten von bibeltreuen Gläubigen gegenüber Mitchristen, die befürchten, gegen den heiligen Geist gelästert zu haben. Man lässt sie einfach im Stich! Mögen sie sang- und klanglos aus den Gemeinden verschwinden. Dann muss man das Elend wenigstens nicht mit ansehen!
Ist die Verkündung des „geschenkten Heils“ dann noch glaubwürdig ? Sagt nicht die Bibel, dass es Gott verabscheut, wenn fromm vom Frieden geredet wird, „obwohl kein Friede da ist“ (Hes 13,9-10), dass er es hasst, wenn aus schwarz weiß und „aus sauer süß gemacht“ wird (Jes 5,20) ?
Dass das so ist, ist nicht schwer nachzuvollziehen. Wie sehr wird seine Ehre durch Heilspropaganda und verlogenen Jubel verletzt! Wie sehr leidet der Respekt, wenn Gott zur Sicherung seines Einflusses der frommen Lüge und des bestellten Beifalls bedarf! Dabei hat er es doch mit der Erlösung so ernst gemeint, dass ihm dafür kein Opfer zu teuer war, nicht einmal das Opfer seines lieben Sohnes. Wie lächerlich muss sein Bemühen nun jedermann erscheinen.
Ist es nicht besser, wir respektieren konsequent, was die Bibel über sich selbst sagt: es ist die Absicht JEDES Bibelwortes, Leben zu geben ? „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von ALLEM, was aus dem Mund des HERRN geht” (5.Mo 8,3) Somit kann es nur ein lebensförderndes, ermutigendes Verständnis dieser problematischen Textstelle geben oder gar keines! Ein lebensförderndes Verständnis (!), das einen klaren pädagogischen Nutzen hat (2.Tim 3,16).
Nützlich ist es sicher, zu erkennen, dass die wichtigste Frage (!) nicht mit einem “Schriftbeweis” auf der Basis des nur-wörtlichen Verständnisses zu beantworten ist, nämlich die Frage, ob man selbst auf den Himmel hoffen darf oder nicht. Das Sola-Scriptura-Prinzip versagt an dieser entscheidenden Stelle. Die Frage nach dem persönlichen Heil ist und bleibt aber die wichtigste Frage, weil ihre negative Beantwortung alle weiteren Fragen überflüssig macht.
Die unvergebbare Sünde: Angst und Missbrauch in der Kirche
Die Angst vor der „unvergebbare Sünde“ ist ein mächtiges Werkzeug, das im Laufe der Geschichte von Kirche und Staat missbraucht wurde, um Menschen zu kontrollieren und zu unterdrücken. In diesem Blogbeitrag beleuchten wir die biblische Grundlage dieser Angst, ihre psychologischen Auswirkungen und ihre historischen Missbrauchsfälle.
Die biblische Grundlage
Jesus Christus selbst spricht in Matthäus 12,31 von der Sünde gegen den Heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann. Die genaue Definition dieser Sünde bleibt jedoch unklar. Manche interpretieren sie als bewusste Lästerung des Heiligen Geistes, während andere sie als Ablehnung der göttlichen Gnade verstehen.
Psychologische Auswirkungen
Die Angst vor der unvergebbare Sünde kann eine lähmende Wirkung auf die Psyche haben. Sie kann zu Gefühlen von Scham, Schuld und Verzweiflung führen. In einigen Fällen kann sie sogar zu Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen führen.
Historische Missbrauchsfälle
Im Laufe der Geschichte haben sowohl die Kirche als auch der Staat die Angst vor der unvergebbare Sünde ausgenutzt, um ihre Macht zu festigen. Ketzer wurden verfolgt und gefoltert, Andersgläubige unterdrückt und politische Gegner diffamiert.
Ein Beispiel aus der Geschichte
Francesco Spira war ein italienischer Rechtsanwalt, der im 16. Jahrhundert zum Protestantismus konvertierte. Später widerrief er seinen Glauben und kehrte zum Katholizismus zurück. Von da an litt er unter ständiger Angst, die unvergebbare Sünde begangen zu haben. Er verfiel in Depressionen und starb schließlich an den Folgen seiner Angst.
Heutige Relevanz
Die Angst vor der unvergebbare Sünde ist zwar nicht mehr so verbreitet wie früher, aber sie kann immer noch Menschenleben beeinflussen. Es ist wichtig, dass wir diese Angst verstehen und ihre Entstehung und Auswirkungen erkennen.
Was tun, wenn man Angst vor der unvergebbare Sünde hat?
Sprich mit einem Seelsorger oder Therapeuten. Es ist wichtig, über deine Ängste zu sprechen und professionelle Hilfe zu suchen.
Lies die Bibel. Die Bibel ist voller Geschichten von Vergebung und Gnade. Gott liebt dich und will dir vergeben, egal welche Sünden du begangen hast.
Konzentriere dich auf das Gute. Bete und danke Gott für die guten Dinge in deinem Leben.
Vergib dir selbst. Vergebung ist ein wichtiger Schritt zur Heilung.
Fazit
Die Angst vor der unvergebbare Sünde ist ein ernstes Problem, das nicht ignoriert werden sollte. Es ist wichtig, dass wir uns mit dieser Angst auseinandersetzen und Wege finden, sie zu überwinden.
Lieber Bruder E.,
ich danke dir für deine ausführliche Antwort. Mir geht es allerdings nicht um einen Austausch, der alles so lässt wie es ist. Aber fange ich mit mir an. Du schreibst mir, dass ich manchmal „herabwürdigend“ formuliere. Als mein Vater noch lebte, habe ich ihm meine Texte vorgelesen und er hat mir geholfen, .verbindlicher zu formulieren. Leider habe ich dieses Korrektiv nicht mehr und habe keinen Ersatz gefunden. Vielleicht genügt es, den Begriff „bibeltreu“ durch „buchstabenhörig“ zu ersetzen, damit sich Gläubige weniger angegriffen sehen. Namentlich angegriffen wird bei mir ohnehin möglichst niemand. (Doch manchmal muss man halt die Quellen nennen) Ich wäre dir dankbar, wenn du mir die anstößigsten Beispiele nennen könntest.
Deine Ansicht, dass sich die Verhältnisse wesentlich gebessert haben, teile ich nicht. Die Notfall-Berichte bezeugen das Gegenteil. Sagt nicht auch die Bibel, dass der Anlass immer gegeben ist? Hat der Buchstabe etwa aufgehört zu töten (2Kor 3,16)? Hat er? Ist er nun plötzlich harmlos geworden? Oder ist es naiv, ja dumm, das zu glauben?
Auch deine „Erklärung“ zur unvergebbaren Sünde zeigt, dass sich in Bezug auf Fahrlässigkeit nichts geändert hat. Du schreibst, wer sich die Frage stellt, ob er die Sünde begangen hat, hat sie „ziemlich sicher“ (!!!) nicht begangen… Diese fragwürdige Argumentation wird mir seit den 60er Jahren immer wieder aufgetischt. Fällt es dir nicht selber auf, dass schon der Begriff ein Unsinn ist? Wem ist mit „ziemlicher Sicherheit“ gedient? Glaubest du im Ernst, dass irgendjemand sich seines Glaubens freuen kann, wenn er meint, dass seine Chancen für die ewige Folter in der Hölle „nur“ 10% betragen. Wo steht in der Bibel, dass Angst Sicherheit garantiert? Esau heulte vor Reue, aber es war zu spät für ihn. (Hebr 12, 16-17) Nie gelesen? Judas zeigte die tiefste Reue, die überhaupt möglich ist: er warf den Pharisäern das Geld vor die Füße und klagte sie des Mordes an. Damit riskierte er sein Leben. Kurt Marti hat seine Umkehr in einem Gedicht gewürdigt: ach was war / dein EINER Verrat / gegen die VIELEN / der Christen der Kirchen / die dich verfluchen? / ich denke dir nach / und deiner / tödlichen Trauer/ die uns beschämt“… Doch die tiefste Reue ohne Rücksicht auf die Gefährdung der eigenen Person nützte ihm nicht mehr. Nie gelesen? „Die Teufel glauben auch und zittern“ (Jak 2,19) Nie gelesen? Und wer Angst hat, kann gar nichts mehr aus Liebe tun. Er sündigt nur noch. Und… „wer Sünde tut, gehört zum Teufel“ (1.Joh 3,8). Das steht alles unter Punkt 4. 2. Antworten der „nouthetischen“ Seelsorge (Jay Adams) (https://matth2323.de/ unvergebbare-suende/#adams) Ich stelle nur sehr traurig fest, dass du meine Texte gar nicht gelesen oder nur desinteressiert überflogen hast. Warum setzt bei dir sofort der automatische Telefonbeantworter ein, der vor 50 Jahren bespielt wurde?
Warum kannst du nicht ehrlich sagen: die Gemeinde braucht dringend bessere Begründungen und hier, wo nachgedacht und bewertet werden darf, könnte man sie vielleicht finden… ? Das wäre verantwortungsbewusst. Das genau ist der Grund, weshalb wir ein offenes Forum brauchen: es interessiert überhaupt nicht, welche schlechten Erfahrungen die Betroffenen mit eurer „Medizin“ gemacht haben, die die Qualität eines gefärbten Wässerchens hat. Was interessiert euch wirklich, wenn euch die Not der Betroffenen so wenig interessiert?
Oder braucht es niemanden zu interessieren, weil es „so wenige“ sind. „Mache ein Geländer auf deinem Dach, damit nicht jemand herabstürzt und du Blutschuld auf dich lädst.“ (5Mo 22,8) Wenn ein einziger herabstürzen sollte ist es bereits einer zuviel. Was man sofort begreift, wenn jemand aus der eigenen Familie herabfallen sollte. Ich versuche ein Geländer anzufertigen, aber die EVAB – dickfellig und selbstgerecht, wie sie nun einmal ist – will mir weismachen, dass ein Geländer gar nicht nötig ist.
„Manchmal muss der Geist der Bibel den Buchstaben der Bibel heilen.“
(Eugen Biser, kath. Theologe)
Als jemand, der die Bibel ständig mit Argusaugen nach Warnungen & Drohungen durchforstet, kann ich das alles ganz gut nachvollziehen glaube ich…
Ich denke mittlerweile, und das sagt auch meine Frau:
Nicht alles in der Bibel kann gleichzeitig für jeden gelten !
Wenn ich versuche, die Gerichtsandrohungen sowie unzähligen ethischen bzw. moralischen Anforderungen an uns einerseits und das System der freien Gnade andererseits gleich stark zu gewichten,
dann führt mich das in einen Zustand, den man volkstümlich wohl als „Schizophrenie“ bezeichnet.
Oder psychologisch gesehen ein sog. „Double Bind“, also ein unauflösliches Dilemma aus diametral entgegengesetzten Auffordungen:
Einerseits soll ich mich nicht „gesetzlich“ verhalten, um mir mein Heil zu verdienen, andererseits setze ich eben jenes Heil aufs Spiel, wenn ich „gesetzlos“ bin und mich an keinerlei Handlungsanweisungen halte…
Komischerweise ist ja auch im Weltgericht bei Matthäus und in der Joh-Offenbarung keine Rede von „Sola fide“, sondern da geht es scheinbar nur und ausschließlich um Taten:
„Und es wurde gerichtet ein jeder nach seinen Werken.“ (Offb 20,13)
Man muss die Bibel also mit einer Brille bzw. mit einem Filter lesen, weil man sonst seines Lebens nicht mehr froh wird.
Nur: das steht so nicht in der Bibel selbst, da gibt es keine Gebrauchsanleitung.
Die selbsternannten „Bibeltreuen“ machen die Bibel ja, wie mir scheint, gerne zum „papiernen Papst“.
(dieser Ausdruck stammt wohl sogar von Luther… obwohl das „Sola scriptura“, das von den „Bibeltreuen“ ja so gefeiert wird, von ihm stammt, war er durchaus in der Lage, die daraus erwachsenden Gefahren zu erkennen !)
Und noch was zu Roger Liebi:
Ich denke der Mann hat ein fundamentalistisches Bibelverständnis…
es gibt bei Youtube den Ausschnitt eines Vortrages von ihm, wo er stolz verkündet, dass es im Neuen Testament das „Gesetz Christi“ gäbe, welches ja „noch viel mehr Ge- und Verbote als das Alte Testament“ enthalte…
Zudem ist er Dispensationalist, d.h.: er meint wohl, dass die meisten jesuanischen Aussagen sowie Jakobus- und Hebräerbrief nicht für uns Heidenchristen gelten würden.
(die Offenbarung wohl auch nicht)
Dafür wird in diesem System dann sämtlichen paulinischen Aussagen allerhöchste Bedeutung zugemessen und ihnen quasi gesetzlichen Status verliehen…
Der Dispensationalismus („Lehre von der rechten Schriftteilung“) ist ein Gedankenkonstrukt aus dem 19. Jahrhundert, das ursprünglich auf den Briten John Nelson Darby zurück geht, der als Begründer der „Brüdergemeinden“ gilt.
Lieber Bruder, ich freue mich immer wieder über deine Beiträge. LG Benignus
Guten Tag,
sehr schön ausgearbeiteter Text. Ich habe es genauso durcherlebt wie es geschildert wurde. Über die Lästergedanken gegen HL-Geist oder Gott. Wusste auch nicht manchmal, ob ich den Lästergedanken ausgesprochen habe oder nicht und wollte den Willensimpuls so rekonstruieren um mich besser zu erinnern. Der Prozess ging bei mir auch so weiter bis ich den Lästergedanken ausgesprochen habe, um mich zu vergewissern, dass ich es gesagt habe. Im Nachhinein oder dort im aktuellen Moment weiß man, dass es falsch war und ich habe Angst, dass ich die Sünde begangen habe. Meine Frage ist, wie ist Ihre biblische Position dem gegenüber: ist es nur ein psychisches Problem oder sündigt man wirklich, wenn man den Gedankenkampf aufgibt und diese Lästergedanken ausspricht?
Vielen Dank für eine Mitteilung.
Lieber Bruder,
je mehr man Angst vor Lästergedanken hat,, desto häufiger kommen sie. Das ist eine vielfach bezeugte psychologische Gesetzmäßigkeit. Und der Wechsel zwischen Lästerimpuls und mühsamen Dagegen-an-Denken wird immer quälender werden und immer mehr mentale Kapazität aufsaugen, bis man an nichts anderes mehr denken kann. Man kann dadurch unfähig werden, einen Beruf auszuüben. Ein lieber Bruder, dem das auch passierte, erzählte mir, dass er eine Tages beschloss, für die Lästerung nicht mehr um Vergebung zu bitten. Denn die Bitte um Vergebung enthielt ja bereits den Wahn, dass er mit der vermeintlichen Lästerung Schuld auf sich geladen hätte. Stattdessen sprach er ein Gebet: Lieber Gott, ich danke dir, dass du weißt, wie sehr ich die Lästergedanken verabscheue. Das ist ja nicht schwer zu erkennen. Es ist mir ab jetzt völlig egal, ob ich diesen Schrott weiter denken muss oder nicht. Ich werde nicht mehr dagegen ankämpfen. Ich vertraue dir, dass du mit diesen Gedanken fertig werden wirst – zu deiner Zeit. Und siehe da plötzlich wurden die bösartigen Gedanken immer weniger und verschwanden nach kurzer Zeit völlig. Ist das erstaunlich? Nein, dies ist ein Weg des Vertrauens, dass Gottes Liebe zuverlässig ist. Vielleicht bringt dieser Weg auch für Sie eine baldige Hilfe. Solche überflüssigen Ängste entstehen durch eine Überbewertung des Wortlauts biblischer Texte. Das buchstäbliche Verständnis geht oft am lebensfördernden Sinn vorbei. Der „Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig“ (2.Kor 3,6) Bitten Sie Gott, das biblische Wort durch seinen Geist für Sie lebendig werden zu lassen.
Lieber Benignus,
Ich finde ihren Kommentar zum Thema Lästergedanken sehr treffend. Genau wie Sie denke ich, dass die extreme Angst vor Lästergedanken das Leben von Menschen sehr einschränken könnte. Trotz starker Bemühungen läuft auch mal etwas schief und man tut vielleicht Dinge, die nicht gut sind, allerdings sollte man sich davon nicht herunterziehen lassen, sondern weiterhin sein Bestes geben. Und Gott kann da eine gute Stütze sein. Man sollte sich seine guten Eigenschaften immer vor Augen halten aber natürlich trotzdem weiter an sich arbeiten und auf Gottes Unterstützung vertrauen. Auch schlechte Gedanken sind menschlich, machen aber nicht die ganze Persönlichkeit aus. Alleine der Versuch ein besserer Mensch zu werden ist schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Liebe Grüße
Liebe Benigna, danke für deinen freundlichen Kommentar. Du sprichst einen wichtigen Punkt an, nämlich dass man nicht so bleiben sollte, wie man ist. Man dient nicht nur dem Nächsten, sondern auch sich selbst, wenn man bereit ist, an sich zu arbeiten, um die eigenen Kompromisse mit Lieblosigkeit und Unaufrichtigkeit immer besser zu überwinden. Wer sich nichts vormacht, merkt, dass er immerfort einen starken Sog in diese Richtung ausgesetzt ist. Sehr oft schütten Gläubige nämlich das Kinde mit dem Bade aus: weil es den Missbrauch von Strenge gibt, üben sie nun überhaupt keine Strenge mehr gegen sich selbst. Die Bibel ist nur noch eine Art Supermarkt, der leckere Süßwaren zu liefern hat und der dazu dient, den religiösen Genuss bzw religiöse Betäubung zu optimieren. Das aber taugt nicht viel. Dazu gibt es zu viel Leid in der Welt. Jeder ist aufgerufen, in der ihm zugemessenen Zeit anderen Menschen neben ihm ein Segen zu sein und jeder hat die Chance, sich zu bewähren.
Sehr geehrter Herr Pofahl, Hilfe ist dann möglich, wenn es gelingt, den Betroffenen zu überzeugen, dass seine Befürchtungen nicht zutreffen. Im Beitrag unter https://www.matth2323.de/gift-nr-11/ wird gezeigt, wie schnell diese Angst durch eine unbarmherzige Theologie entstehen kann und wie sehr sie dem Gebot der Gerechtigkeit widerspricht. Weitergehend wird unter https://www.matth2323.de/seelengift/ gezeigt, dass es Sinn macht, die Warnung vor der unvergebbaren Sünde als ein Missverständnis der Jünger einzuordnen, da die Warnung vor einer derartigen Sünde dem Nützlichkeitsgebot in 2.Tim 3,16 widerspricht, das ausnahmslos für ALLE inspirierten Texte gilt. Diese Warnung ist unter insgesamt sechs Aussagen in der Bibel einzuordnen, die in der Geschichte nachweislich bisher nur destruktiv gewirkt haben (www.matth2323.de/destruktive-bibelworte-in-der-geschichte/). Grundlage dieses Lösungsweges ist also die Erkenntnis, dass nicht alle Textteile der Bibel gleiches Niveau haben, sondern dass unfehlbare Lehrtexte neben seltenen korrekturbedürftigen „Übungstexten“ stehen. Der herkömmlich-bibeltreuen Theologie ist dieser Lösungsweg unmöglich, da sie auch die sechs destruktivsten Texte für unfehlbar deklariert und es folglich zur Persönlichkeit Gottes nur widersprüchliche Informationen geben kann, die keine sichere Vorhersage seiner Reaktion zulassen. Die immer wieder verwendete Phrase,“Gott sei eben souverän“ wird bei Ratsuchenden immer wieder die Furcht erzeugen, dass Gott sich eben auch in ihrer Angelegenheit mit einer „souveränen“ Entscheidung über Barmherzigkeit und Gerechtigkeit hinwegsetzen wird. Ohne ein bibeltreues Update wird man aus dieser Sackgasse nicht herauskommen.
Sehr geehrter Herr Rahn,
danke für diesen Beitrag, den ich nicht kommentieren möchte, aber zu dem ich eine Frage habe: Haben Sie einen Rat für einen Menschen, der mit dieser grausamsten menschlichen Angsterfahrungen lebt?
Herzliche Grüße
Peter Pofahl