15. Behauptung: “Wenn dein Gebet nicht erhört wird, dann gibt es nur einen Grund dafür: eine Sünde steht zwischen dir und Gott.”
“Wahrhaftig: die Hand des Herrn ist nicht kürzer geworden, dass er nicht helfen könnte, auch ist sein Ohr nicht taub geworden, dass er nicht hören könnte, sondern eure Gemeinheiten haben einen Graben zwischen euch und Gott aufgerissen. Eure Sünde ist es, die euch hindert auf Gott zu blicken. Eure Sünde ist daran schuld, dass ihr nicht mehr angehört werdet.” (Jes 59,1+2)
Wer böse handelt und anderen schadet, stellt sich taub gegen die Bitten um Mitgefühl. Die folgenden Verse beschrieben es im Detail: „eure Hände sind mit Blut befleckt und eure Finger mit Verschuldung; eure Lippen flüstern Falsches, eure Zunge spricht Bosheit. Es ist niemand, der eine gerechte Sache vorbringt, und niemand, der redlich richtet.“ Die Menschen damals pflegten zugleich ihre fromme Fassade. „Zwar befragen sie mich Tag für Tag und wollen zu gern meine Wege erkennen. Wie ein Volk, das recht vor mir lebt und auch meine Gebote hält, fordern sie von mir gerechtes Gericht und begehren Gottes Nähe. Warum fasten wir, und du siehst es nicht? Warum demütigen wir uns, und du merkst es nicht einmal?‘ – Seht doch, was ihr an euren Fastentagen tut! Ihr geht euren Geschäften nach und beutet eure Arbeiter aus.“ (Jes 58,2-3) Zugleich gemein sein und fromm – das wirkt widerlich und bigott. Der erste Schritt zur Selbsterkenntnis wäre die Einsicht: wir haben kein Recht uns bei Gott zu beklagen, wenn auch mit uns unbarmherzig umgegangen wird.
Fatal wird die Bibelauslegung, wenn sie Gebetserhörung mit dem Anspruch verknüpft, dass der Gläubige seine Unvollkommenheit überwindet. Wenn das stimmt, dann gibt es überhaupt keine Gebetserhörung – denn das ist unmöglich: “wenn wir behaupten, wir hätten keine Sünde, dann lügen wir.” (1.Jo 1,8) Es bleibt dann nur die Verzweiflung oder religiöser Hochmut. Man kann es nur Hochmut bzw. Blindheit nennen, wenn Gläubige meinen, so untadelig zu sein, dass Gott sie “erhören müsse”. Mit Wohlverhalten lässt sich Gott nicht manipulieren.
Die Bibel lädt aber die Gläubigen ein, den Vater im Himmel zu bitten: “Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet“. (Jak 4,2) Dazu gehört aber auch der Hinweis, dass die Bitte nicht egoistisch sein darf: “Manche von euch bekommen nichts, weil sie in übler, egoistischer Weise bitten. Ihr Treulosen, wisst ihr nicht dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott bedeutet?” (Jak 4,3-4). Auch Jesus betonte, dass Gott gerne Bitten erhört, die seinem Willen entsprechen: “was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, um den Vater im Himmel zu ehren.” (Joh 14,13) Um zu wissen, was man beten soll, braucht der Gläubige eine enge Beziehung zu Jesus und eine innerliche Ausrichtung auf die unsichtbare Welt: “Bemüht euch eifrig um das, was in der unsichtbaren Welt wichtig ist, und nicht um das, was die Welt irrtümlich für wichtig hält.” (Kol 3,2) Festzuhalten ist: Gott sieht es gerne, wenn seine Gläubigen ihn bitten und gibt grundsätzlich gerne und großzügig. (Luk 11,11 / Jak 1,5)
Dessenungeachtet wird Menschen manchmal schwerstes Leid zugemutet, ohne das Gott die Bitte um Hilfe erhört. Paulus flehte dreimal, dass Gott ihm eine schwer erträgliche Krankheit wegnehmen möge. “Gott antwortete: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.” (2.Kor 12,9) Diese Tatsache widerspricht einer voreiligen Pauschalisierung von Jes 53,4 (Jesus trägt die Krankheiten des Gläubigen) bzw. von Jak 5,15, wo es heißt, dass das Ältestengebet bei Krankheit helfen soll. Unerträglich war auch die lange Leidenszeit des Hiob, von dem das älteste Buch der Bibel berichtet. Gott schenkte ihm Erlösung noch in diesem Leben. Hebr.11,35 ff berichtet von Gläubigen, die erst im nächsten Leben aus ihrer Not erlöst werden werden. Der Gläubige soll auch in aussichtsloser Situation am Glauben festhalten und Gott mit diesem Vertrauen ehren.
Gottvertrauen ist eine grundsätzliche Entscheidung und nicht von Gebetserhörung abhängig. Es wird niemals soviel Gebetserhörung geben, dass sie als “Gottesbeweis” dienen könnte und das Vertrauen überflüssig macht. Der Gläubige lebt hier auf Erden “im Glauben und nicht im Schauen” (2 Kor 5,7) Die Quelle seine Vertrauens sind nicht spektakuläre Wunder (die allesamt bezweifelbar wären !), sondern die Erfahrung, dass Gott die Persönlichkeit und den Charakter prägt. Diese Erfahrung ermutigt dazu, sich Gottes Führung immer mehr anzuvertrauen und Prioritäten im Leben entsprechend zu setzen.
Was tut der Mensch mit wunderbaren Gebetserhörungen ? Wieviel Menschen haben jahrelang gebetet, dass doch die Teilung Deutschlands ein Ende haben möge. Gott hat es geschenkt, dass viele Menschen schon zu ihren Lebzeiten die Erfüllung dieser Bitte erlebten – ohne dass ein Mensch dabei zu Schaden kam. Man kann es nun von zwei Seiten sehen: “Die Gläubigen haben die DDR kaputtgebetet”. Oder: “Da die DDR finanziell am Ende war, hätte es über kurz oder lang so kommen müssen…” Tatsächlich?
Wieviele Menschen bitten Gott in höchster Not und wenn sie dann das Erbetene erhalten haben, ist alles vergessen. Kein Gedanke mehr an Dankbarkeit. Hinterher heißt es nur: “Glück muss der Mensch haben.”