Offener Brief an Prof. Dr. Dr. Schirrmacher:

(Eine Antwort auf seine scharfe Kritik an Siegfried Zimmer)

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Dr. Schirrmacher,

Sie beklagen die wenig respektvolle Art und Weise, mit der Prof. Siegfried Zimmer sich gelegentlich über bibeltreue Theologen äußert und bemängeln seinen wenig aktuellen Forschungsstand [1]. Ich habe Ihnen schon vor Jahren in einem Brief geschildert, dass die „bibeltreue“ Indoktrination bei mir, der ich mich ebenfalls voll Vertrauen in einer „bibeltreuen“ Gemeinde in Bremen bekehrt habe, schon in jungen Jahren zu chronischer Angst vor ewiger Höllenqual und zu psychischer Schwer­behinderung geführt hat. Sie reagierten auf die Kritik sehr empfindlich und teilten mir, dass Ihr Sekretariat Briefe, wie ich sie schriebe, in Zukunft vorsorglich aussortieren würde.

Ich bin aber mit vielen Christen und wohl auch mit dem Heiligen Geist einig, dass es von großer Bedeutung für die Qualität der Forschung ist, sich dafür zu interessieren, was die eigene Theologie in der Seele anderer anrichten kann. [2] Wenn nicht einmal das interessiert, was soll es dann nützen, wenn man ein bisschen mehr präsentieren kann, was Hinz und Kunz zu einem Thema gesagt hat. Vielwissen nützt vielleicht der eigenen Karriere, aber Herzensbildung ist für das Wohl der Gläubigen wichtiger. Und hier hat Prof. Zimmer viel Wertvolles und Überzeugendes zu bieten.

Ich möchte daran erinnern, dass der Hebräerbrief damit droht, dass vorübergehender Unglaube zum irreparablen Ausschluss aus der Hoffnung auf den Himmel führen kann (Hebr 3 und 4) sowie davor warnt, dass Gläubige schon zu Lebzeiten ungeachtet einer aufrichtig gemeinten Reue unrettbar der Hölle verfallen können (Hebr 12). Schon in der Jugendzeit (ca. 1975) trieb mich die Angst um, die unvergebbare Sünde (Hebr 10,26 ff) [3] begangen zu haben, die ausnahmslos mit ewiger Höllenqual bestraft wird. Der übliche seelsorgerliche Trost, gerade Angst und Reue seien ein Zeichen der Gegenwart Gottes, wurde durch den Hebräerbrief zunichte gemacht.

Es gab keinen Ausweg. Da Zweifel an den destruktivsten Bibelstellen als eine schwere Sünde galt, als die Ursünde, mit der man sich auf die Seite der Gottlosen stellte, blieb Gott für mich ein zwitterhaftes, teilweise bösartiges Wesen.

Bei „bibeltreuen“ Bibellehrern haben Schadensmeldungen oder Berichte von seelischer Erkrankung keine nennenswerte Rückwirkung auf die vermittelte Bibellehre. Sie werden eher als Angriff auf die Glaubensgewissheit der Gemeindemitglieder empfunden. Die Mehrheit der Gläubigen behilft sich mit Optimismus und mit der Konzentration auf ermutigende Aussagen in der Bibel.

Diesen Weg – mir mit Verdrängung und Verharmlosung zu helfen – konnte ich aber nicht gehen. So dauerte es Jahrzehnte, bis ich feststellte, dass auch ohne Fundamentalismus ein frohmachendes und gesundes Glaubensleben möglich war. Martin Luther blieb vor der seelischen Katastrophe bewahrt: es gelang ihm, sich (nach seiner Entdeckung der Glaubensgerechtigkeit!) rechtzeitig von den bedrohlichen Aussagen des Hebräerbriefes zu distanzieren.

Da ich nun zu guter Letzt doch einen Ausweg gefunden hatte, war es mir ein Anliegen andere Christen vor diesem schrecklichen Irrweg zu bewahren. Und da ich wusste, wie schnell korrigierende Informationen die panische Angst vor dem Glaubensverlust  [4] sowie sofortigen Kontaktabbruch auslösen können, hoffte ich, wenigstens einmal ein Nachdenken über die fatale Wirkung des Hebräerbriefs anzuregen. Meine Erfahrungen und Erkenntnisse sind unter der Adresse

hebraeerbrief.de


im Netz verfügbar (auch als Audio-Datei). Ich schrieb an viele evangelikale Autoritäten, Institutionen und Pastoren, auch an die FTH Gießen mit der Bitte um Kommentierung, Korrektur und ggf. Empfehlung – vergeblich. Niemand war bereit, meine Beobachtungen zur allgemeinen Diskussion zu stellen. Niemand war bereit, Studenten und Gläubige mit der Frage bekanntzumachen, ob nun Martin Luthers Warnung berechtigt war oder nicht!  Soviel zum Niveau des von Ihnen beschworenen „Forschungsstandes“ [5]. Mal abgesehen vom Niveau des brüderlichen Mitgefühls. [6] 

Wie segensreich, ja manchmal sogar lebensrettend wäre doch eine Untersuchung der möglichen Gefährlichkeit des Hebräerbriefes gerade für Gläubige mit bibeltreuer Prägung, die den Mut zu einem Update des Bibelverständnisses [7] niemals finden werden. Möglicherweise ist der Weg, den Luther gehen konnte, der einzige Ausweg aus ihrer Verzweiflung. Ist das so schwer zu sehen?

Wenn du ein neues Haus baust, so mache ein Geländer ringsum auf deinem Dache, damit du nicht Blutschuld auf dein Haus lädst, wenn jemand herabfällt“ (5Mo 22,8). Haben Sie es nicht schon oft gehört, dass gutwillige Menschen durch fundamentalistische Ignoranz abgestürzt und schwer zu Schaden gekommen sind? Wäre es nicht Ihre Pflicht als Bischof, sich  dafür einzusetzen, dass die Warnung Martin Luthers in bibeltreuen Glaubensgemeinschaften bekannt gemacht und ohne theologische Bevormundung geprüft werden darf?

Mit freundlichem Gruß

Christian Rahn


[1] www.bibelundbekenntnis.de/wp-content/uploads/2020/06/gudh_1_2020_final_schirrmacher.pdf

[2] matth2323.de/hoelle-im-kopf

[3] matth2323.de/unvergebbare-suende

[4] matth2323.de/das-einueben-von-verlustangst

[5] matth2323.de/wissenschaftlichkeit

[6] matth2323.de/wie-finster-ist-die-seele

[7] matth2323.de/ohne-update-2-0-bleibt-biblizismus-destruktiv

 

Artikel aktualisiert am 06.09.2025

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