Gift Nr. 31

31. Behauptung: “Ein Christ darf in Notwehr niemand töten. Er ist verpflichtet, sich töten zu lassen, damit der Täter nicht in die Hölle kommt.”

Was kann man mit einer solchen Lehre, die man Jugendlichen vorsetzt, hervorrufen ? Eine wahrhaft ausweglose Situation: die junge Seele eingesperrt zwischen der Aussicht der physischen Selbstauslöschung und der grauenhaften Aussicht, für den Rest des Lebens mit einem aufs Äußerste beschwerten Gewissen leben zu müssen. Was soll die Frucht einer solchen Belehrung sein? Tiefere Liebe für die Mitmenschen?

Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass hier Hilflosigkeit und Depression gründlich eingeübt wird, seelische Defekte, mit denen man Familie und Mitmenschen später zur Last fällt ? Die stabile Seele braucht den gesunden Selbsterhaltungstrieb – er ist nichts Böses oder Verwerfliches. Doch solche skurrilen Blüten gedeihen auf dem Sumpf einer allgemeinen Geringschätzung des Rechts.

Auch wenn man solche grotesken Behauptungen selten offen und in aller Deutlichkeit hören wird, so ergeben sie sich dennoch aus einem konsequent mechanistisch-wörtlichen Bibelverständnis. Jesus gab sein Leben für die, die ihn hassten, der Jünger ist verpflichtet, dem Vorbild des Meisters in “vollkommener” Weise (Mt 5,48) zu folgen. Dabei soll er die Bereitschaft haben, sein eigenes Leben “zu verlieren” (Mt 10,39). Wer seinen Nächsten nicht missioniert hat, obwohl er Gelegenheit dazu hatte, ist schuld an dessen Bestrafung mit vorzeitigem Untergang und wird dafür angemessen von Gott bestraft  Wer einen Menschen tötet – auch aus Notwehr -, der nimmt ihm endgültig die Gelegenheit, missioniert zu werden und sich zu bekehren, denn “nach dem Tode folgt nur noch das Gericht” (Hebr 9,27). Diese Tat ist wesentlich schlimmer, als nicht missioniert zu haben. Was würde dafür die angemessene Strafe sein? Müsste sie nicht um ein Vielfaches schlimmer sein ? “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und die Seele nicht können töten; fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.” (Mt 10, 28). Wird Gott nicht grenzenlos brutal reagieren ? Alles scheint ganz logisch – oder ?

Der Denkfehler liegt in einer Verwechslung von göttlichem und menschlichem Verantwortungsbereich. Es ist Gott, der das Unglück zulässt (Amos 3,6 b), mithin auch die lebensbedrohliche Situation. Es ist Gott, der entscheidet, ob er jemandem nach dem Tod noch das Heil verkündigt (1Pe 3,19) oder nicht. Es ist Zweifel angebracht, dass der Gläubige gezwungen wird, diese Entscheidungen Gottes durch Opfern des eigenen Lebens zu verbessern oder zu kompensieren. Das Opfer Jesu erfolgte völlig freiwillig (Jo 10,17-18). Das gerade macht seinen Wert aus. (Eph 2,6 ff) Es ist absurd anzunehmen, dass Gott ein solches Opfer von Gläubigen durch Androhung schlimmster Strafe erpressen würde.

Eine ähnliche Beschädigung des gesunden Selbsterhaltungstriebs verursacht die Lehre, dass das Verleugnen des Glaubens, um Tod oder Folter zu vermeiden, eine unvergebbare Sünde sei. In dieser Situation stelle Gott den Gläubigen tatsächlich vor die Wahl zwischen ewigem und körperlichen Tod.

Welch beängstigende Perspektiven werden damit jungen Menschen zugemutet!

Die Vorstellungen vom Charakter Gottes und von der Verlässlichkeit seiner Heilszusagen können kaum deprimierender sein!

Artikel aktualisiert am 25.04.2018

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