Wie unterschiedlich sind manchmal die Menschen und ihre Lebenswege, die zu Eigenarten, Verletzungen und Befürchtungen führen, die ein anders geprägter Mensch Mühe hat, zu verstehen.
Im Interessenkonflikt fällt es dann schwer, das berechtigte Interesse des anderen anzuerkennen. Man sieht ihn dann schnell negativer als er ist, die Kommunikation wird emotional, die Argumentation wird unsachlich und zu guter Letzt beleidigend. Schließlich bricht der Kontakt ab.
Wie lässt sich das vermeiden ?
„Tut nichts um dem anderen heimzuzahlen oder überlegen dazustehen. In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst. Habt einen Blick nicht nur für eure eigenen Bedürfnisse, sondern auch für das, was der andere braucht.“ (Phil 2,4)
Wer im Detail wissen möchte, wie dieser weise und hilfreiche Rat des Apostels Paulus praktisch angewendet werden kann, dem können wir das Buch „Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens“ von Marshall B. Rosenberg (Paderborn, 2007) wärmstens empfehlen, dem die meisten der folgenden Ausführungen entnommen sind.
Die Tür zur Lösung liegt in einem Bedürfnis, das auch unterschiedlich geprägte Menschen gemeinsam haben und das dem natürlichen Wesen des Menschen entspricht: „die Freude am einfühlsamen Geben und Nehmen„. (21)
Daraus ergibt sich die Frage: „Was geschieht genau, wenn wir die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur verlieren und uns gewalttätig und ausbeuterisch verhalten ? Und umgekehrt: was macht es manchen Menschen möglich, selbst unter den schwierigsten Bedingungen mit ihrem einfühlsamen Wesen in Kontakt zu bleiben ?“ (21)
Wie können wir ein Gespräch trotz Interessenkonflikt in einer freundlichen Weise weiterführen, ohne verletzt und aggressiv zu werden ?
Dazu gibt der Autor 4 einfache, hilfreiche Verhaltensregeln (25):
1. Beobachten ohne zu bewerten.
2. Gefühle beschreiben
3. Bedürfnisse äußern
4. Um durchführbare Handlungen bitten, die unser ALLER (!) Leben bereichern.
1. Regel: Beobachten ohne zu bewerten.
„Schuldzuweisungen, Beleidigungen, in Schubladen stecken, Vergleiche und Diagnosen sind moralische Urteile, die anderen Leuten unterstellen, dass sie unrecht haben oder schlecht sind, wenn sie sich nicht unseren Wünschen gemäß verhalten. Mit dem Fällen von moralischen Urteilen erzeugen wir genau bei den Leuten Abwehr und Widerstand, anderen Verhalten uns etwas liegt. … Wenn sie wirklich damit einverstanden sind, unseren Wünschen zu folgen, werden sie es sehr wahrscheinlich aus Angst, Schuldgefühl oder Scham tun„. (35)
Was ist damit gewonnen ?
Der Poet Rumi schrieb einst: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ (35)
Beobachungen sollten präzise sein, sie sollten mit präzisen Zeitangaben und auf den Zusammenhang bezogen werden (51). Vermeide verallgemeinernde, abwertende, finale Urteile.
Beispiel: „Er hat die letzten 20 Spiele kein Tor mehr geschossen“ = eine Beobachtung.
„Er ist ein schlechter Fussballspieler“ = unsachliche Bewertung.
Weitere Beispiele, anhand derer das Unterscheiden von Beobachtung und Bewertung geübt werden kann, sind im Buch von Rosenberg zu finden (50-54).
2. Regel: Gefühle beschreiben
Wir können uns üben, die eigenen Gefühle und emotionalen Reaktionen ehrlich beschreiben, die durch die Beobachtung ausgelöst werden.
Als Hilfe liefert das Buch einen „Gefühlswortschatz“. (62-63)
Es ist wichtig, dass wir unsere „Gefühlswurzeln erkennen und akzeptieren. …Was andere sagen oder tun mag ein Auslöser für unsere Gefühle sein, aber niemals ihre Ursache„. (69)
Die Beschreibung unserer Gefühle hilft dem anderen uns zu verstehen.
Umgekehrt kann es für den anderen eine Hilfe sein, wenn wir seine Gefühle in eigenen Worten wiedergeben.
Es ist wichtig, die Gefühle ohne Vorwürfe und Urteile zu beschreiben: Andere Menschen hören unseren Schmerz nicht, wenn die Mitteilung bei ihnen Schuldgefühle und seelischen Druck auslöst. (173)
3. Regel: Bedürfnisse äußern
„Wenn wir unsere Bedürfnisse aussprechen, dann steigt die Chance, dass sie erfüllt werden … Wenn wir unsere Bedürfnisse nicht ernst nehmen, tun es andere auch nicht„.
„Wenn wir die Bedürfnisse und Gefühle des anderen hören, dann erkennen wir die Menschlichkeit, die wir gemeinsam haben„. (172)
Damit tiefe Empathie entstehen kann, ist es erforderlich, „mit dem ganzen Wesen zuzuhören“ und alle vorgefassten Meinungen und Urteile vorher abzulegen. (113)
„Je mehr wir uns in eine andere Person einfühlen, desto sicherer fühlen wir uns selbst„. (135)
„Wenn wir im einfühlsamen Kontakt miteinander bleiben, ermöglichen wir es dem Sprechenden, mit den tieferen Ebenen seiner selbst in Kontakt zu kommen„. (123)
Auf Seite 74-75 stellt der Autor eine Übersicht grundlegender Bedürfnisse bereit.
4. Regel: Um durchführbare Handlungen bitten, die unser ALLER (!) Leben bereichern.
Wir können den Zuhörer anschließend bitten, mitzuteilen, was er bei unserer Bitte empfindet, oder darüber denkt, und ob er entsprechend handeln möchte.
Bitten, die nicht von einer Mitteilung der Gefühle und Befürfnisse begleitet werden, können wie eine Forderung klingen (94) und den Hörenden unter Druck setzen.
Erfolg kann unsere Bitte nur haben, wenn sie an dem grundlegenden menschlichen Bedürfnis anknüpft: an der Freude am gegenseitigen Bereichern und Beschenken.
Eine Bitte impliziert den Verzicht auf Zwang. Wenn der andere die Bitte ablehnt, müssen wir es akzeptieren.
Wir können aber bei Gelegenheit neu zur Versöhnung einladen.
Doch letztlich können wir andere Menschen nicht ändern. Wir können froh und dankbar sein, wenn es uns gelingt, unsere eigene Art zu leben zu verbessern, so zu gestalten, dass wir selbst liebevoller und einfühlsamer mit anderen umgehen.