Es gibt in der Kirchengeschichte viele große Persönlichkeiten mit segensreicher Wirksamkeit, die an die Irrtumslosigkeit der Bibel geglaubt haben. Können wir dieses Dogma deshalb als von Gott selbst beglaubigt ansehen?
Zunächst einmal ist festzustellen: lange Zeit war das beziehungsorientierte Schriftverständnis die einzige Alternative zur Irrtumslosigkeitsdoktrin, das eine Fehlerlosigkeit der Bibel nur bei Aussagen unterstellte, die die Beziehung zu Gott betrafen, während man bei naturwissenschaftlichen, historischen Informationen annahm, dass hier von Gott Fehler der Autoren toleriert würden.
Der große Nachteil dieses Schriftverständnisses: es bietet kaum eine Möglichkeit, die theologische Spekulation materialistischer Bibelkritiker in Grenzen zu halten. („Pullover-Effekt„) Zunehmend entsteht der Eindruck einer von Fehlern strotzenden Bibel, in der zu guter Letzt alles fraglich wird, nicht zuletzt sogar, ob die Worte Jesus und der Apostel überhaupt authentisch sind.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass bekannte Bibellehrer und Gläubige wie Spurgeon, Francke, Modersohn, Wilhelm Busch und Francis Schaeffer sich mit der einfachsten Form der Glaubenssicherung behalfen, nämlich zum kindlichen Vertrauen aufzufordern und alles, was Probleme bereitete, als „für den menschlichen Verstand zu hoch“ beiseite zu schieben.
Diese Lösung lag nahe, weil man nichts Besseres kannte, aber deswegen war sie immer noch nicht biblisch. Denn die Bibel wertet den Verstand des Gläubigen nicht ab, im Gegenteil: sie fordert ihn auf, „nicht kindisch sondern erwachsen zu denken“ aber „kindlich-vertrauensvoll“ zu handeln. (1.Kor 14,20)
Die Abwertung des Verstandes hatte gravierende Nebenwirkungen: zunächst hatte sie eine Lähmung des Urteilsvermögens zur Folge, sodass die Gemeinde manipulierbar und für die Einfluss- und Machtinteressen einzelner gefügig gemacht werden konnte. Mit dem wachsenden Einfluss des Schriftgelehrtentums wurde auch ihr „Sauerteig“ (Mt 16,6), die Werkgerechtigkeit und der Mangel an Selbsterkenntnis, zu einer großen Gefahr.
Hatte nicht Paulus selbst den „Buchstaben“ der Heiligen Schrift mit geistlichem „TOD“ in Verbindung gebracht (2.Kor 3,17) – ohne damit die Schrift abzuwerten? Hat er nicht damit deutlich auf destruktive Wirkungen biblischer Sätze hingewiesen und die Gläubigen aufgefordert, sie zu identifizieren und abzuwehren? Offensichtlich lieferte erst das lebendige Glaubensleben die Informationen, die für ein lebensförderndes Verstehen (Mt 4,4) ALLER Aussagen der Bibel (2.Tim 3,16) unverzichtbar waren. Für ein sinnvolles Verständnis der Funktionsweise musste man über die Prioritäten der einzelnen Sinneinheiten Bescheid wissen. Die Bibel gibt die höchste Priorität dem Gebot der Liebe (Mt 22,38-40), die durch die Qualitätsstandards der Barmherzigkeit, der Liebe zum Recht und der Ehrlichkeit konkretisiert wird (Mt 23,23). Dies war zweifellos nicht mehr ein kindlicher, sondern ein „erwachsener“ Ansatz des Denkens.
Für diesen Ansatz wurde der Begriff des „schöpfungsgemäßen Inspirationsmodells“ gewählt. Die Buchstaben im „Lebensbuch“ der Schöpfung, d.h. in der Erbsubstanz, zeigten dieselbe Gesetzmäßigkeit. Die Erbsubstanz wurde nur wirksam, wenn sie in eine lebendige Zelle eingebettet war. Aus der lebendigen Zelle erst kamen die Impulse, die eine sinnvolle Funktionsweise ermöglichen. Ohne die lebendige Zelle blieben die „Buchstaben“ des „Lebensbuches“ totes Eiweiß – bedeutungslos und nichtssagend.
Je länger sich Gläubige mit dem schöpfungsgemäßen Inspirationsmodell befassten, desto besser schien es zur Bibel zu passen. Es empfahl sich selbst, denn es trug „gute Früchte“ (Mt 7,16): es machte es im Gegensatz zur Irrtumslosigkeitsdoktrin sehr leicht, Werkgerechtigkeit, religiöse Bevormundung und Machtmissbrauch zu erkennen, und das, ohne der bibelkritischen Spekulation Tür und Tor zu öffnen.
Deswegen steht die Behauptung auf sehr wackligen Füßen, dass die Väter des Glaubens auf jeden Fall an der Irrtumslosigkeitsdoktrin festgehalten hätten, selbst wenn ihnen das schöpfungsgemäße Inspirationsmodell und seine „guten Früchte“ bekannt gewesen wäre. Soll man das wirklich glauben?
Durch den Vergleich beider Modelle werden zahlreiche Nachteile der Irrtumslosigkeitsdoktrin offenbar, die deutlich machen, warum dieses Denkmodell für manche Menschen glaubenszerstörende Wirkung haben kann. Andere Gläubige wiederum sind mit der Fehlerlosigkeitsdoktrin gut klargekommen und fühlen sich durch das schöpfungsgemäße Modell trotz seiner Verbesserungen stark verunsichert.
Um die Gefahr einer Unverträglichkeitsreaktion zu vermeiden, werden gewissenhafte Bibellehrer Gläubige immer über beide Inspirationsmodelle informieren, damit diese dann ihr religiöses Selbstbestimmungrecht wahrnehmen und eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen treffen können.