Auch gläubige Menschen stehen immer in der Versuchung, sich geistlicher Disziplin zu entziehen. Entsprechend blüht die Kultur der Verharmlosung und Entschuldigung. Fromme Lippenbekenntnisse garantieren das Gefühl, es mit dem Glauben ernst zu meinen (Mt 15,8). Dabei hat man sich aus der Bibel das herausgesucht, was den eigenen Status quo bestätigt. Der Weg, den Gott eigentlich plante (Eph 2,10), interessiert nicht.
Um dieses Problem zu meistern, bedarf es mehr als einer Anhäufung lückenlos richtiger Informationen. Es bedarf dazu einer einzigartigen Eigenschaft der Heiligen Schrift. Die Bibel reagiert auf den Leser. Sie liefert keine standardisierte, allen gleichermaßen zugängliche Information, sondern sie verbirgt und enthüllt. Zuverlässige Information, die der Leser zur Gestaltung des christlichen Lebens braucht, erhält er nur durch starkes Interesse für die Wahrheit. Ist dieses Interesse nur halbherzig, ist ihm anderes gar wichtiger, so wird er das, was er liest, auch nur zum Teil oder gar gänzlich missverstehen:.
“Jesus sprach zu ihnen: “Euch lässt Gott die Geheimnisse seiner neuen Welt verstehen, anderen sind sie verborgen. Denn wer viel hat, der bekommt noch mehr dazu, ja, er wird mehr als genug haben. Wer aber nichts hat, dem wird auch noch das Wenige, das er hat, genommen..” (Mt 13,11-12). Das gilt genauso für das Alte Testament: “Gegenüber den Heiligen bist du heilig, und gegenüber den Treuen bist du treu, gegenüber den Reinen bist du rein, aber für die Falschen bist du falsch.” (Ps 18,26-27)
Deshalb kann das göttliche Gesetz typische Illusionen hervorrufen.
Dass Gott solche Illusionen zulässt, heißt nicht, dass er lügt. “Gott ist Licht und in ihm ist keine Finsternis” (1.Jo 1,5). Dieses Axiom bleibt uneingeschränkt gültig. Doch wenn man Kritizismus und Verachtung des Gotteswortes erfolgreich abwehren will, dann darf man nicht Methoden verwerfen, die Gott in seiner Weisheit für sinnvoll hält. Wenn Gott Illusionen zulässt, so steht auch dahinter sein Interesse an der Wahrheit (1.Tim 2,4). Das unterscheidet ihn vom Menschen, der zur Täuschung greift. Anders als Gott hat der unwahrhaftige Mensch keine Interesse daran, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt (Jo 3,20).
Warum wählt Gott bisweilen gerade diese Methode, die uns auf den ersten Blick suspekt erscheint?
Der Glaube an Gott bietet viele Möglichkeiten der Selbsttäuschung. Die eigentliche Realität, die ewig Bestand hat, ist unsichtbar. Das innere Leben des Gläubigen und die Seele der Mitmenschen ist unsichtbar. Die Folgen des menschlichen Verhaltens sind oft ebenfalls nur schwer zu erkennen, soweit sie sich auf den seelischen Bereich auswirken und sich mit anderen Einflüssen überschneiden. Auch sind die Nebenwirkungen eines Frömmigkeitsstils möglicherweise erst nach Jahrzehnten erkennbar.
Die Bibel beschreibt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einiger Personen. Die Lücken lassen sich sehr oft nur durch Vermutungen schließen. Denn die in der Bibel geschilderten Persönlichkeiten kann man ja nicht mehr befragen. Wie sie im Detail gefühlt und gedacht haben, ist bei einer zeitlichen Distanz von zweitausend Jahren und mehr wohl kaum rekonstruierbar. Somit ist die Bibel eine Notlösung. Sie macht den Gläubigen nur mit dem Wichtigsten vertraut.
Das führt natürlich dazu, dass die emotionalen Bedürfnisse der Gläubigen sich in den Vordergrund drängen und die Interpretation sehr stark beeinflussen. Entsprechend groß ist die Neigung zum Selbstbetrug.
Einige falsche Interpretationen haben wir unter der Überschrift “Giftige Theologie” zusammengestellt.
Da aber eine Aufzählung aller möglichen Missverständnisse und faulen Kompromisse unmöglich ist, hat Gottes Weisheit einen anderen Weg gefunden.
Er erzieht zu einer inneren Haltung, die zur Überwindung des Selbstbetrugs befähigt. Wer sich selbst betrügt, etikettiert Informationen, die ihn auf Fehlverhalten aufmerksam machen, wider besseres Wissen als unwichtig. Er akzeptiert nur noch Informationen, die ihm zusagen. Ein unangenehmer, aber notwendiger Entscheidungskonflikt wird vermieden. Somit erzeugt der Selbstbetrug Selbstberuhigung und Seelenfrieden. Zugleich entsteht damit ein Anreiz, sich noch mehr Seelenfrieden auf dieselbe Weise zu verschaffen.
Gott durchbricht diesen Teufelskreis durch die Ankündigung, nun seinerseits zu diesem Seelenfrieden beizutragen. Er sagt allerdings offen, dass es sich dabei um Täuschung handelt. Und siehe da: so mancher empfindet diese “Hilfe” Gottes plötzlich alles andere als beruhigend. Er wird stattdessen unsicher. Aus dieser Unsicherheit heraus entsteht ein Bewusstsein für die Gefahr, in die er sich mit leichtfertigen und oberflächlichen Entschuldigungen hineinbegibt.
Auf diese Weise macht Gott es ihm leicht, sich ganz für die Liebe zur Wahrheit zu entscheiden. Insofern stimmt es doch, was die heilige Schrift sagt: “Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und die Wahrheit erkennen” (1.Tim 2,4).