3. Behauptung: “Wer seiner Gemeinde nicht den Zehnten seines Einkommens spendet, ist verflucht und wird mit finanziellen Einbußen rechnen müssen.”
Es gibt auch noch eine weit weniger harmlose Variante, wie religiöse Gemeinschaften und Kirchen sich das Geld der Gläubigen aneignen, nämlich mittels religiöser Erpressung. Hier liefert nicht der Vorteil einer späteren Belohnung das Motiv sondern die Angst vor Bestrafung. Auch dazu kann man – wenn man will – die Bibel missbrauchen.
Betrachten wir dazu einmal die folgende Aussage: “Ist’s recht, dass ein Mensch Gott täuscht, wie ihr mich täuscht? Ihr entgegnet: “Womit täuschen wir dich?” Ich sage euch: Am Zehnten und Hebopfer. Darum seid ihr auch verflucht, dass euch alles unter den Händen zerrinnt; denn ihr täuscht mich allesamt. Bringt mir den Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf dass in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hierin, spricht der Herr der Heerscharen, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.” (Mal 3,10)
Und doch ist das wörtliche Verständnis nicht das letzte Wort, sondern oberflächlich, kurzschlüssig und falsch. Um das zu erkennen, müssen wir das Verständnis „auf den ersten Blick“ an wichtigeren Bibelworten prüfen. „Selbst wenn ich all meinen Besitz an die Armen verschenke und für meinen Glauben das Leben opfere, aber ich habe keine Liebe, dann nützt es mir gar nichts.“ (1.Kor 13,3) Es geht Gott um Liebe, nicht um Opfer. Es ist in der Tat möglich, das größte Opfer zu geben, alles Geld, alles Gut, Leben und Gesundheit, aber ohne Liebe, vielleicht um des Ruhmes willen, aus Fanatismus, aus Rechthaberei und religiösem Starrsinn. Hier sagt die Bibel ganz klar: Ohne Liebe ist auch das größte Opfer wertlos und nutzlos. Warum?
Geben, um materieller Vorteile oder Nachteile willen, das ist Werkgerechtigkeit. Es ist der Versuch, Gott zu manipulieren und für die eigenen Ziele einzuspannen. Dieses Verhalten ist Sünde. Es entehrt Gott und entwürdigt den Nächsten. Das kann man gar nicht genug betonen. Nicht aus Liebe und Erbarmen hilft man dem Nächsten aus der Not: er ist nur Mittel zum Zweck. Die Wirkung der Werkgerechtigkeit auf den Glauben ist immer destruktiv, egal ob sie nun eine optimistische Form oder – wie hier – eine pessimistische Form annimmt. In beiden Fällen wird der Sinn des Textes verdreht.
Diese falsche Auslegung richtet den Blick wiederum auf das Materielle, das zeitlich verzögert als Belohnung für das Opfer eintreffen soll. Der eigentliche wohltuende Sinn des Gebotes wird dadurch zerstört. Der Gläubige erhält die 10% in der Tat am Ende tatsächlich zurück – aber in veredelter Form. Indem er notleidenden Menschen hilft und ihnen Erleichterung, Befreiung, Dankbarkeit und Freude verschafft, erreicht diese Freude auch ihn. Er lebt “viele Leben.” Das ist der Sinn des Gebotes im Alten Testament.
Umgekehrt wird das Herz eines Menschen, der alles für sich selbst verbraucht, hart und gefühllos. Er hat keinen Anteil an der Freude, die der Notleidende empfindet, wenn ihm geholfen wird. Er lebt nur ein Leben: sein eigenes. Den Mangel an Freude versucht er auszugleichen, indem er sich massenhaft Genuss verschafft. Irgendwann stellt er fest, dass dieser Ausgleich nicht funktioniert. Die Bibel nennt das “Unsegen” oder “Fluch”.
Hat das Gebot des Zehnten noch eine Bedeutung für die neutestamentliche Gemeinde ? Durch den Apostelkonvent werden alle jüdischen Gebote aufgehoben bis auf vier Ausnahmen (Apg 15,28-29), an denen man festhielt, um den Judenchristen in der Gemeinde nicht unnötig Anstoß zu bieten. Das heißt: als Gebot spielt der Zehnte für die neutestamentliche Gemeinde keine Rolle mehr. Doch nicht wenige Christen nehmen ihn gerne als Anregung, wenn sie regelmäßig Werke und Missionare unterstützen.
Die Behauptung einer Gemeindeleitung, Gott würde es bestrafen, wenn nicht 10% des Einkommens an sie abgeliefert werde, entbehrt jeder biblischen Grundlage. Gläubige sollen ihre Prediger unterstützen und nicht materielle Not leiden lassen. “Der aber unterrichtet wird mit dem Wort, der teile mit allerlei Gutes dem, der ihn unterrichtet.” (Gal 6,6) Das ist nur fair. Doch von einem bestimmten Betrag oder Prozentsatz, der gezahlt werden muss, steht dort nichts. Eine alleinerziehende Mutter, die kaum Geld für ihre Kinder hat, handelt angemessen, wenn sie alles verfügbare Geld ihren Kindern zukommen lässt. Geld, das die Kinder brauchen, der Gemeinde zu geben, wäre eine „Korban„-Sünde (Mk 7,11).