Destabilisierende Aussagen

Bei „buchstabenhöriger“ Auslegung („frommes System„) liefert die Bibel in allen für die seelische Stabilität relevanten Aspekten (freundliches, verlässliches Gottesbild, Gültigkeit der Heilszusagen und erfüllbarer Pflichtenkatalog (Ethik), stark verunsichernde Informationen. Die Folge ist eine Instabilität der Seele und des sozialen Zusammenhalts. Die Alternative ist eine Bewertung und Deutung („Reparatur“) der Problemstellen im Lichte des Barmherzigkeitsgebots Jesu (Mt 23,23).

1) Der Wortsinn stiftet Verwirrung durch widersprüchliche Angaben über das Gottesbild,

Da die bibeltreue Elite eine „wissenschaftlich zuverlässige“ Aussage über den Sinn von Bibeltexten abgeben will, kann sie sich nur schwer vom Wortsinn lösen. Sie klammert sich daran, und schustert auf diese Weise ein System zusammen, das die Heilsgewissheit und das Vertrauen in die Liebe Gottes sehr fragwürdig werden lässt. Das alles müsste nicht sein, wenn man sich bei der Deutung biblischer Aussagen kompromisslos am Vorrang der Barmherzigkeit orientieren würde. 

Ist man dem Wortsinn gegenüber zu leichtgläubig, so ist es kaum möglich, eine widerspruchsfreie Vorstellung vom Charakter Gottes und seiner Reaktion auf Fehlverhalten zu bilden. Einerseits verkündet das Neue Testament, dass Gott den Menschen mehr als jeder andere liebt, ja die Liebe selbst ist (1Joh 4,7), andererseits schreiben Texte in der Bibel Gott Verhaltensweisen zu, die unter Menschen als bösartig gelten. (Zweideutiges Gottesbild)

 

2) Der Wortsinn stiftet Verwirrung durch widersprüchliche Angaben über die Forderungen Gottes und über die Heilszusage

Die Forderungen des Neuen Testamentes und auch die Strafen für fortgesetzten Ungehorsam sind so maßlos, dass der sensible Gläubige, der sich ehrlich an diesem Maßstab misst, eigentlich aufs Tiefste erschrecken muss. Er sucht dann Trost in ermutigenden Bibelworten und versucht sich daran aufzurichten. Doch in wieweit kann das gelingen, wenn das „buchstabenhörige“ Bibelverständnis das  Bild eines Gottes vermittelt, der teils liebevoll, teils unberechenbar grausam reagieren kann?  Ist es dann ein Wunder, wenn sich immer wieder Gläubige mit dem Zweifel herumplagen, ob sie wirklich im Himmel ankommen? Da sie für ihre Nöte immer eigenes Versagen verantwortlich machen, werden sie sich sehr wahrscheinlich in ihr Schicksal ergeben und ein freudloses, deprimierendes Leben hinnehmen. 

Ein Widerspruch, der mit der „buchstabenhörigen Auslegung“ in einem frommem System sehr schwer aufzulösen ist. Es gibt die tröstliche Verheißung, dass sich der Gläubige nicht den Himmel verdienen muss, sondern auf Gottes Gnade vertrauen darf. Doch wozu dann die erschreckende Strenge, die weiter die Ermahnungen an die Gläubigen begleitet (Phil 2,12 / 2.Petr 3,11 / Hebr 12,4 / 1.Joh 3,8) ?

In einem dogmatischen System macht sie keinen Sinn. Ein unverfälschtes Bild von der Liebe Gottes erhalten wir erst dann, wenn wir die strengen Worte richtig einordnen. Wenn wir erkennen, dass es keine Gesetzesparagrafen sind sondern vielmehr Momentaufnahmen aus der Geschichte des Glaubens. Sie haben offenbar nur den Zweck, die dickfälligsten Gewissen aufzuscheuchen. Falsch angewendet bzw vorsätzlich missbraucht werden sie, wenn sie dazu dienen, sensiblen Gewissen Angst einzujagen (Sorgfaltsparadox). Liest man die Bibel durch die von Theologen verordnete „Zwangsbrille“, so ist das leider nicht zu vermeiden. 

Zunächst die strengen Details:

Jesus sagte: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.,,,Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet!“ (Mt 7,21)

Das Tun scheint nach dieser undifferenzierten Warnung  der Schlüssel zum Himmelreich zu sein. Doch was tun?  „Daran merken wir, dass wir ihn erkannt haben, wenn wir seine Gebote halten.“ (1.Joh 2,3) Wer also die Gebote nicht hält – was immer sie sagen – „kennt Gott nicht“… Wird ihn dann Gott anerkennen?

Noch mehr Verunsicherung kann durch 1.Joh 3,22 entstehen: „was wir bitten, empfangen wir von ihm; denn wir halten seine Gebote.“ Wenn der Gläubige um etwas betet, aber keine Erhörung seines Gebetes kommt, muss er dann nicht annehmen, dass er nicht zu jener Personengruppe gehört, die „die Gebote halten“ und zu Gott gehören?

Was wird also vom Gläubigen verlangt? Alle Gebote halten, zumindest die, die im neuen Testament bestätigt oder neu vorgestellt werden. Was beinhaltet dies?

Zunächst der Entschluss, alles Leid, das mit dem Glauben verbunden ist, willig zu ertragen. „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.“ (Mt 10,38) Dies scheint den weitgehenden Verzicht auf eigene Wünsche zu beinhalten: „Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen.“ (1.Tim 6,8)  „Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten.“ (Mk 8,35).Das ist sehr allgemein gefasst und scheint sich nicht nur an die 12 Apostel zu richten.

Selbst das physische Leben soll der Gläubige notfalls opfern: „wir sollen auch das Leben für die Brüder opfern.“ (1.Joh 3,16) Das heißt auch, dass der Gläubige verpflichtet ist, bei allen bekannten Nöten hilfreich einzuspringen: „Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?“ (1.Joh 3,17) Andernfalls gerät man in Sünde: „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut’s nicht, dem ist’s Sünde.“ (Jak 4,17). Folgt man dieser Logik konsequent, wird man immer gezwungen sein, am Rande des Existenzminimums zu leben, wenn man in den Himmel kommen will.

Darüber hinaus fordert Paulus den Glaubigen zur völligen Selbstbeherrschung auf: „Jeder Wettkämpfer verzichtet auf viele Dinge – nur um einen vergänglichen Siegeskranz zu bekommen. Wir aber werden einen unvergänglichen erhalten. Darum laufe ich nicht wie ins Blaue hinein und kämpfe nicht wie ein Faustkämpfer, der Luftschläge macht, sondern ich treffe mit meinen Schlägen den eigenen Körper und mache ihn mit Gewalt gefügig. Ich will nicht anderen predigen und selbst disqualifiziert werden.“ (1.Kor 9,25-27) „Disqualifiziert“ für den Himmel = ab in die Hölle?

Auch völlige sexuelle Selbstbeherrschung bis in die Gedanken hinein wird offenbar bei schwerster Strafe gefordert: „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Wenn dich aber dein rechtes Auge verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Wenn dich deine rechte Hand verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle fahre“ (Mt 5, 28-30)

Was wird für den Fall der fortgesetzten Nichterfüllung eines Gebotes angekündigt? Der Gläubige riskiert damit offenbar den unumkehrbaren Verlust des Heils:“ Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt hinfort kein Opfer mehr für die Sünden,  sondern ein schreckliches Warten auf das Gericht.“ (Hebr 10,26) Verwendet der Gläubige die Bibelübersetzung Martin Luthers, so wirken die Worte des Apostels Johannes geradezu fatal: „Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an. Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Wer aus Gott geboren ist, der tut keine Sünde; denn Gottes Same bleibt in ihm, und er kann nicht sündigen; denn er ist aus Gott geboren. Daran wird offenbar, welche die Kinder Gottes und welche die Kinder des Teufels sind: Wer die Gerechtigkeit nicht tut.“ (1.Joh 3,8-10)

In einem System dieser Art gefangen, ist der ständigen Erpressung mit dem schlechten Gewissen Tür und Tor geöffnet. Insbesondere starkes sexuelles Verlangen kann Schuld- und Versagensgefühle zu einem ständigen Begleiter machen. Ein gewisser Typus von Kirchenleuten hat sich in allen Zeiten bemüht, solche Schuldgefühle aufs Äußerste zu steigern („Verklemmtheit ist heilig„).

Was sollen wir nun hierzu sagen?

Diese Sicht, der man eine gewisse Logik nicht absprechen kann, produziert nicht nur viele „überanstrengte Christen, die sich als Opfer einer falsch verstandenen, verkehrt angewendeten Askese freudlos, gedrückt und verkrüppelt durchs Leben schleppen“ (A.Köberle)

Letztlich kann sie auch zu ständigem Zweifel am Heil führen. Ja, sie hat immer wieder Gläubige in die seelische Katastrophe geführt.

Die Blick von außen auf die zum frommen System verunstaltete Bibel ist gleichermaßen deprimierend.

Zwar wird einerseits behauptet, dass Jesus jeden Menschen liebt (1.Tim 2,4), andererseits aber gilt sein Erlösungswerk offenbar nur einer ganz kleinen, exklusiven Gruppe, nämlich denen, die seine „Gebote halten.“

Diese Gruppe scheint sehr knapp bemessen zu sein, da Jesus sagte: „Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind’s, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s, die ihn finden!“ (Mt 7,13-14) Ähnliches scheint Petrus zu sagen, wenn er feststellt, dass „selbst der Gerechte kaum gerettet wird.“ (1.Petr 4,18) Fast die ganze Menschheit in der Hölle – ewig gefoltert?

Wir müssen aber aus diesen Aussagen keine negativen Schlüsse ziehen. Müssen wir nicht? Nein! Denn die Bibel sagt nicht nur „Du musst tun… um in den Himmel zu gekommen“ sondern auch „Du kommst nicht in den Himmel, wenn du … dir mit deinem Tun den Himmel verdienen willst.“

Wirklich? Lesen wir selbst….

Denn nur durch die Gnade  aufgrund des Glaubens seid ihr gerettet worden. Dazu habt ihr selbst nichts getan, es ist Gottes Geschenk und nicht euer eigenes Werk. Denn niemand soll sich etwas auf seine guten Taten einbilden können.“ (Eph 2,8-9) „Heute beweist Gott seine Gerechtigkeit dadurch, dass er den für gerecht erklärt, der aus dem Glauben an Jesus lebt. Kann man da noch selbst auf etwas stolz sein? Das ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz kommt das? Durch das Gesetz, das Werke fordert? Nein! Es kommt durch das Gesetz, das auf den Glauben abzielt.  Denn wir sind zu dem Schluss gekommen, dass ein Mensch durch Glauben für gerecht erklärt wird und nicht durch das Einhalten von Gesetzesvorschriften.  (Röm 3,26-28)… 

Selbst wenn ich meinen ganzen Besitz zur Armenspeisung verwendete, ja wenn ich selbst das eigene Leben für die gute Sache opferte, um berühmt zu werden,  aber keine Liebe hätte, nützte es mir nichts.“ (1.Kor 13,4)

Die Bergpredigt sagt: „wer tut, was Gott verlangt,… kommt in den Himmel“. An diesen Satz kann die fromme Werkgerechtigkeit anknüpfen: „wer möglichst alles tut, was geboten ist, der hat einen Nutzen davon: er kommt in den Himmel.“ (Entsprechendes lehren auch die Prediger der frommen Seelenfleischerei) Doch ist das Motiv Liebe? Nein, das maßgebliche Motiv ist der Eigennutz, die Vorsorge für das Leben nach dem Tode. Deshalb nützt auch die größte Bemühung – nichts.

Ja es kommt noch toller: bereits der Versuch, Gebote zu halten, um sein Leben vor der Hölle zu retten, führt zum Verlust des Christus und seines Heils: „Wenn ihr durch die Erfüllung des Gesetzes vor Gott bestehen wollt, habt ihr euch von Christus getrennt und die Gnade verloren.“ (Gak 5,4)

Das ist der genaue logische Widerspruch zur Bergpredigt: „wer meinen Willen tut, kommt in den Himmel, sonst niemand.“ Das ist das logische Gegenteil von dem, was die strengen Warnungen besagen, die dem Gläubigen mit Verdammnis drohen, falls er nicht tut, was verlangt wird.

Wie soll man den Widerspruch zuverlässig auflösen? Kann man den Gläubigen damit trösten, wenn man sagt „wer den Willen Gottes nur zu einem kleinen Teil erfüllt, kommt dennoch in den Himmel, sofern er sich auf die Gnade beruft“ ? Wie sicher ist das? Wer garantiert, dass der kleine Teil „ausreicht“. Kann man sich mit guten Vorsätzen begnügen? Wie klein kann der kleine Teil sein, ohne dass es gefährlich wird?  Wer will das wissen? 

Was gilt denn nun?

Der Widerspruch hat zunächst die logische Folge der psychischen Instabilität. Viele Gläubige, die entsprechend ihrer traditionell-bibeltreuen Prägung jeden Satz der Bibel für 100% heilig und richtig ansehen,  schwanken ständig hin- und her zwischen Optimismus und Depression. Schlimmer trifft es Menschen, die aufgrund ihres deprimierenden Lebensweges ohnehin an der Liebe Gottes zweifeln und eine klare Antwort suchen. Es ist nachvollziehbar, dass sie ihr Leid bereits als Strafe sehen und folglich  den drohenden Worten mehr Gewicht beimessen und sich dann zeitlebens mit schweren Schuldgefühlen und Ängsten herumquälen.

Auch soziale Instabilität entsteht; der Wunsch sich selbst sicherer zu fühlen, führt zu immer neuen Abgrenzungen innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Man sieht die Fehler des anderen, die Defizite dessen Lebensführung durch ein Vergrößerungsglas, um sich selber zu bescheinigen, dass man es mit dem Glauben umso ernster meint. Auf diesem Boden gedeiht der Richtgeist und der religiöse Narzismus: „Lieber Gott, danke, dass ich nicht so bin wie der da…“ (Luk 18,11) Auch die Heuchelei gedeiht, wenn man Glaubenseifer zeigen will, indem man mit Worten strenger ist als mit seinem eigenen Leben und anderen zu strenge Gebote auflegt. (Mt 23,4) Auch haben viele optimistisch veranlagte Gläubige erfahrungsgemäß sehr wenig Mitgefühl für Glaubensgeschwister, die durch Überforderung in Depression hineingeraten, sodass man ihnen Hochmut, Glaubensunwilligkeit und Kritiksucht, also ein eigenes Verschulden an psychischem Leid unterstellt.

Das sind üble seelische Fehlentwicklungen. Wenn man sie nicht bewusst macht, wie soll man ihnen dann entgegensteuern?

Deswegen tut der Bibellehrer gut, wenn er die Maßstäbe Jesu als Schlüssel der schwierigen Stellen präsentiert, als da sind „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ (Mt 23,23) und über das Recht jedes Gläubigen aufklärt, abweichend vom Wortlaut (!) seinem Gewissen zu folgen (2.Kor 8,10-11) und unbarmherzige Deutungen am Maßstab Jesu zu messen und zurückzuweisen. Besser keine Deutung als eine unbarmherzige und destruktive!

Man muss sich vor allem von dem Wahn lösen, dass Bibelworte des Neuen Testamentes über die Nachfolge (d.h. ein Leben, das sich am Vorbild Jesu orientiert) 1 zu 1 in das Leben jedes Menschen zu übertragen seien und dass Bibellehrer die Pflicht hätten, jeden, der sich nicht zum „Heroismus der Nachfolge“ erpressen lässt, als Verräter am Glauben und scheinheiligen „Wohlfühlchristen“ zu brandmarken. Im Neuen Testament gibt es auch eine sehr „abgespeckte“ Version der Nachfolge in Jak 1,27: „Wer Gott, dem Vater, wirklich gefallen will, der helfe Waisen und Witwen in ihrer Not und beschmutze sich nicht am Treiben der Welt.“ Grobe Sünden meiden und mit Menschen in Not barmherzig zu sein – das reicht offensichtlich für ein gottgefälliges Leben aus.

 

 

Artikel aktualisiert am 14.10.2024

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