Ist der Verlust des Glaubens irreparabel?

Die Warnung, dass die Abwendung vom Glauben als „point of no return“ einer unvergebbaren Sünde gleichkäme und nicht mehr zu reparieren sei,  findet sich in der Bibel nur im Hebräerbrief, der aufgrund seiner überzogenen Drohungen weder von der frühen Christenheit noch von Martin Luther als vollwertiges Glaubensdokument anerkannt wurde. Da evangelikale Hardliner  mit der sogenannten Chikago-Erklärung die gesamte Christenheit auf das Dogma verpflichten wollen, dass heutige Bibelausgaben auf irrtumslosem Urtext beruhten, mussten sie damit auch die unverdaulichen „Kröten“ im Hebräerbrief schlucken. 

Im Evangelium steht anderes. „Wer immer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ sagte Jesus. „Wenn auch eine Mutter ihr Kind vergessen könnte, ich werde dich nicht vergessen.“ (Jes 49,15) Eine Zusage aus dem Alten Testament.  Noch deutlicher: „wenn der Herr einen Menschen verstößt, dann tut er es nicht für immer und ewig. Er lässt ihn zwar leiden, aber erbarmt sich auch wieder, denn seine Gnade und Liebe ist groß.“ (Klgl 3, 3132) Wäre nicht alles andere unbarmherzig?

Selbstredend werden die Spitzen der klerikalen Hierarchie wenig Zweifel an ihrer traditionell deprimierenden Sichtweise äußern, die ihnen sichere Arbeitsplätze, Ansehen und hohes Einkommen verschafft. Doch Gottvertrauen ist nun einmal keine einfache Sache. Sie hängt eng mit der Glaubensfreude und spiritueller Geborgenheit zusammen. Es ist eine Geschenk, eine Gnade, wenn Menschen glauben können. Es ist schwer am Glauben festzuhalten, wenn man sich mit seinem Leid, mit Zweifeln und Fragen von Gott alleingelassen, im Stich gelassen sieht, wenn man in der frommen Belehrung Selbstbetrug, Erpressung und unerträgliche Dressur  wahrnimmt, die gegen die eigene Würde verstößt.  

Bereits in der frühen Christenheit war die klerikale Führung nicht zimperlich in dem Bemühen, Christen bei der Stange zu halten. Ein Christ, der dem Kaiser etwas Weihrauch opferte und mit diesem Ritual als göttlich anerkannte, um der Hinrichtung zu entgehen, die ihm andernfalls drohte, galt bei vielen Gläubigen als ein Christ, der „vom Glauben abgefallen war“ und nun unrettbar der Höllenstrafe verfallen war. Dieser Wahn wurde noch im Mittelalter verbreitet. (Details siehe unter „Gift Nr 32„)

Wie grausam diese Lehre war, ist an dem Schicksal von Francisco Spiera zu sehen, den die katholische Obrigkeit mit Androhung der Todesstrafe zur öffentlichen Absage an den evangelischen Glauben zwang und der binnen weniger Monate an psychischen Qualen elend zugrunde ging. In der christlichen Literatur musste er dann immer wieder als abschreckendes Beispiel für einen Menschen herhalten, der die „unvergebbare Sünde“ begangen hatte.

Artikel aktualisiert am 29.03.2022

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