Liebe Albertine,
ich musste mir einige Zeit nehmen, um A.Tozer besser kennenzulernen, dessen Traktat du mir zugeschickt hast. Die Informationen über den Unterschied zwischen altem und neuem (d.h. an die Wünsche des Ego angepassten) Kreuz, die ich aus dem Traktat gewinnen konnte, waren doch etwas knapp. Unter Sermon-online.de waren glücklicherweise viele Aufsätze und Predigten von Tozer eingestellt.
Sein Anliegen ist berechtigt. Christen stehen in der Gefahr, sich zu wenig Gedanken über eine charakterliche Fehlentwicklung bzw. ein wucherndes Ego zu machen, das auf Kosten der Empathie gedeiht. Sehr leicht gibt man mit religiösen Bekenntnissen und Gewohnheiten zufrieden, die von außen gesehen den Eindruck eines engagierten Christen machen. Die Folge der Oberflächlichkeit ist bleibende Unreife und der Nachteil, dass das Ego noch im Alter immer weniger korrigierbar ist. Die Erfahrung lehrt: man kann sehr egozentrisch sein, seine Götzen und sein Image pflegen, sich zum Nachteil anderer breitmachen, obwohl man eine Position und ein gewisses Ansehen in der Gemeinde hat.
Mitgefühl und barmherziges Tun werden immer seltener in der Welt wie in der Gemeinde und sind daher kostbare Eigenschaften.
Frei von sich selbst wird man nur, wenn man reich in Gott ist. Tersteegen hat es wunderbar ausgedrückt: „ich will, anstatt an mich zu denken, mich in das Meer der Liebe versenken.“ Dies ist der Grund tiefsten Seelenfriedens. Deshalb ist die Voraussetzung der Liebesfähigkeit der unbedingte Glaube an einen treuen Gott, der allen Mangel des Gläubigen zu seiner Zeit ausgleicht.
Ist das wirklich Liebe, was ich tue? Geschieht es aus einer dankbaren Einstellung, die die Liebe des Vaters im Himmel widerspiegelt? Deswegen das tägliche Gebet: Vater im Himmel reinige mich von allem, was noch zu selbstbezogen ist. Ohne diese selbstkritische Frage gibt es keine Klarheit, ob das Leben nicht in ganz falscher dh unfruchtbarer Richtung verläuft. Es ist eine ganz entscheidende Frage! Wie gefährlich ist doch der Wahn der Selbstzufriedenheit!
In diesem Punkt kann ich Tozer recht geben. Die Tyrannei des Ich múss zerbrochen werden, daran führt kein Weg vorbei. Doch das kann nur aus Überzeugung geschehen. Druckk von außen kann die Kraft der Überzeugung nicht ersetzen. Weder Erpressung mit Schuldgefühlen, Drohungen mit der Hölle oder der Rache Gottes werden etwas im Charakter zum Positiven ändern. Wie schnell wird auf diese Weise das fromme Fleisch, die Werkgerechtigkeit aktiviert, die das Bild eines Gottes entstehen lässt, dem es niemand recht machen kann.
Wie Tozer es in seiner Schrift „Gottes Nähe suchen“ ausführt, kann sich der Gläubige täglich vom ichhaften Streben im Gebet distanzieren, und die dabei wachsende Einsicht wird es ihm erleichtern. Wohl dem, der gute Vorbilder hat, an denen zu ersehen ist, welche Freude ein durch Liebe bestimmtes Leben entstehen lässt. Dieser Vergleich lässt am ehesten den Verlust an Freiheit erkennen, der mit Egozentrik verbunden ist. Gott lädt uns ein, solchen Vorbildern nachzueifern.
Was mir allerdings auffällt, dass Tozer auf die Gefahr destruktiv wirkender Bibelstellen nirgends eingeht. In der Schrift „Gib mir dein Herz zurück“, S. 48 , wird von ihm eine lehrmäßige Übereinstimmung mit den Aposteln gefordert und mit dem Glauben an die ganze Bibel gleichgesetzt. Offensichtlich ist ihm unbekannt, dass Martin Luther aus gutem Grund Zweifel an der 100%igen Autorität des Hebräerbriefes anmeldete. Auf solche Gewissensnöte geht er aber nicht ein. Was ist nun mit den Gläubigen, die dank der Drohungen des Hebräerbriefes nie zu froher Glaubenszuversicht gelangen? Die Angst um das eigene grausige Schicksal lässt das Ego riesengroß werden und überhaupt keine Raum mehr für den Nächsten.
Hier muss es eine Antwort geben, die verlässlich ist, und die wir durch eine Unterscheidung zwischen „altem und neuen Kreuz“ nicht bekommen.
Liebe Albertine,
gerne würde ich kurz auf einen Teilbereich deines Kommentars eingehen.
Du schreibst ja, dass selbst Jesu sagt, dass nur „wenige auf dem schmalen Pfad nachfolgen“…
ich denke mal, du beziehst dich hier auf die berühmte Passage aus der Bergpredigt, Mt. 7,13.
Meine persönliche Ansicht hierzu ist folgende:
Man sollte diese Aussage auf den Zeitpunkt des Beginnes von Jesu öffentlichem Wirken beziehen, denn damals scheinen ja viele Juden von Gottes Wegen abgeirrt zu sein, sei es freiwillig oder durch falsche Lehrer wie die Pharisäer.
Ich glaube nicht, dass man diese Aussage ohne weiteres auf spätere Zeiten beziehen kann, und ich denke auch, dass ich das mit zwei anderen Bibelstellen belegen kann:
Jesaja 53, 11:
„…denn er (gemeint ist der „leidende Gottesknecht“, also Jesus) wird vielen (!) zur Gerechtigkeit verhelfen…“
Und aus Jesu eigenem Munde, Mt. 26, 28:
„…denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele (!) vergossen wird zur Vergebung der Sünden“.
Wenn man immer wieder predigt, dass nur wenige in den Himmel kommen (und sich selbstredend natürlich zu dieser privilegierten Gruppe zählt), scheint man damit auf die Außenwelt eine Art von selbstgerechtem Exklusivismus zu vermitteln, der (gewollt oder ungewollt) Andersdenkende nachhaltig abschreckt vom Konzept unseres christlichen Glaubens.
Und nein: ich predige keine Allversöhnung und nehme Jesu Warnungen vor der Gehenna ernst, aber ich will und darf trotzdem hoffen, dass jener Ort, der landläufig mit „Hölle“ bezeichnet wird, am Ende aller irdischen Tage vielleicht trotz aller menschlicher Widrigkeit leer bleibt.
(wie es Urs von Balthasar, ein bedeutender kath. Theologe des 20. Jahrhunderts, auch sinngemäß ausdrückte)
Jesus antwortete auf die besorgte Frage der Umstehenden, wer denn überhaupt gerettet werden könne, es sei bei den Menschen unmöglich, aber bei Gott ist alles möglich.
(Lk 18,27)
Diese Aussage dürfte auch den ach so widerspenstigen freien Willen (falls es den überhaupt gibt !) mit einkalkulieren, der ja gerade von modernen Evangelikalen so betont wird …
(„Entscheide dich noch heute für Jesus !“
Oder: „Gott gibt jedem Menschen dreimal im Leben die Chance, sich für ihn zu entscheiden !“
(keine Ahnung, wie man auf diese Zahl kommt, biblisch scheint mir das eher nicht zu sein… ;-)
Oder: „Wer sich nicht für Jesus entscheidend, der tut das in voller Verantwortlichkeit dafür, dass er in ewiger Gottesferne bleiben wird !“)
Was ja bei Lichte besehen schon erstaunlich anmutet: der vermeintlich „freie Wille“ des Menschen ist demnach stärker als die göttliche Liebe, also stärker als Gott selbst !
Aber klar, es wird dann gebetsmühlenartig und unisono vorgebracht, dass sich Gottes Liebe ja gerade im Zugestehen dieses die eigene göttliche Macht übersteigenden „freien“ Willens zeige…
ich weiß nicht… kann sein, kann nicht sein… demnach besteht aber die reelle Gefahr in steter Angst davor zu leben, dass mich mein „freier“ Wille irgendwann dazu führen könnte, dem christlichen Glauben abzuschwören, weil mir meine Ohren nach anderen Lehren jucken, die gerade mehr „fancy“ sind als das gute alte Christentum… (Timotheus-Brief lässt grüßen… wird gerne von „Bibeltreuen zitiert !)
„Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“…. dieser Spruch wird Schopenhauer zugeschrieben, aber er scheint voll ins Schwarze zu treffen.
(kann sogar sein, dass ich auf dieses Zitat durch diese Site gestoßen bin !)
:-)
Liebe Albertine,
Vielen Dank für dein Angebot, mir ein Buch zu schicken, das schwierige Bibelstellen erklärt. Ich nehme es gern in Anspruch. Vielleicht genügt es ja, die wichtigsten Stellen zu scannen. Wie Luther feststellte, stehen sie insbesondere im Hebräerbrief. Aber auch die nebulose „Sunde zum Tode“ jagt manchem sinnlos Angst und Schrecken ein. Diese Stelle hat in der frühen Christenheit zu den Lehren geführt, dass nur die bis zur Taufe begangenen Sunden vergeben werden können. Auch wurde gelehrt, dass ein Christ, der unter Todesandrohung dem Kaiser geopfert hatte, unrettbar der Hölle verfallen sei. Entsetzliche psychische Gewalt!
John Bunyan hat über den Mann im Käfig als Illustration der unvergebbaren Sünde geschrieben. mir hat seine Darstellung an entscheidender Stelle keine Klarheit vermittelt, sondern nur neue undefinierbare Ängste erzeugt.
Natürlich sollen Christen ihren Glauben ernst nehmen und sich hüten in eine willkürliche bequeme Auswahl des Gebotenen hinein zu geraten. Das schließt aber nicht aus, dass sie von der Wahrheit des Gebotenen überzeugt sein müssen. Das Ringen um Wahrheit und Widerspruchsfreiheit ist unabdingbar und kann nicht zugunsten blinder Buchstabentreue eingeschränkt werden.
Die Voraussetzung der Bereitschaft, für Jesus Leid in Kauf zu nehmen, ist das Vorhandensein starker Liebe und innerer Freiheit. Die Erpressung mit der Hölle zerstört den Glauben an Gottes Treue. Kann man da vom Gläubigen erwarten, seinerseits treu zu bleiben trotz aller Nachteile ?
Ich halte es für hilfreich, in den Gemeinden das Schadenspotential von Fehlinterpretationen ehrlich anzusprechen. Leider wird in der Regel nur eine Art Fast Food angeboten .bis heute weiß kaum jemand über Luthers Beurteilung des. Hebräerbriefes Bescheid. Wenn nur oberflächlich geglättet und verharmlost wird, wie soll es dann zu verlässlichen Einsichten kommen?
Lieber Benignus,
danke für Deine letzte Antwort, hier zum Flyer Alte-Neues Kreuz/Tozer. Ich bin nicht ganz Deiner Auffassung. In vielen Gemeinden wird heute nicht nur nach meiner Sicht das fleischfreundliche neue Kreuz gepredigt, entgegen Bibelworten wie Lk. 13,24/9,62/9,23/14, 17+33/Mk. 9,43-49/1.Kor. 9,24-25/2.Tim. 2,3/Apg. 12,22/Röm. 13,11-14/1. Kor. 6,18/10,14/2. Tim. 2,22/1.Tim. 6,11-12/Eph. 6,10-13/1. Kor. 9,26-27/Phil. 3,10-14/1. Kor. 4,11-13/2. Kor. 4,8-10/2. Kor. 6,4-10/1. Kor. 15,30-32/2. Ptr. 1,5-11/1. Ptr. 2,11/1. Ptr. 4,1-3/1. Ptr. 5,8-9/1. Ptr. 1,6/2,19-21/3,14+17/4,12-13+19/5,10
Diese Zusammenstellung habe ich – auszugsweise – aus dem Buch „Gnade ohne Ende ? – die moderne Gnaden-Bewegung“ von Michael L. Brown. Der Verfasser lehnt Gnade und Barmherzigkeit in keiner Weise ab, wendet sich aber gegen die extremen Gnadenlehrer, die nur diesen Teil betonen und das andere weglassen.
Das ist einfach ein großes Problem in der Christenheit: Man konzentriert sich zu sehr auf seine Lieblings-Überzeugungen und Lieblingslehren und lässt das andere mehr oder weniger weg. Kürzlich sagte mir ein geistlicher und auch sonstiger Freund, dass in Predigten zur Heilsgewissheit Jh. 15,6 bewusst weggelassen wird. Inzwischen gibt es in der evangelikalen Welt doch große Unsicherheit zu diesem Thema.
Lieber Benignus ! Mir geht es dabei nicht um die Schwachen und Angefochtenen im Glauben, denen würde ich so etwas bestimmt nicht schreiben was ich Dir gerade schreibe. Wenn Jesus und die Apostel die Starken – das unterstelle ich jetzt mal – auffordert, ihnen im Leiden nachzufolgen, dann kann ich doch das nicht weglassen. Wie will man da die letzten Auseinandersetzungen und Verfolgungen auf dieser Erde – die bestehen und schlimmer noch kommen werden, siehe die Offb. – bestehen ??
Bücher wie die von John Bunyan sprechen Klartext. Und Jesus sagt deutlich, daß nur wenige auf dem schmalen Pfad nachfolgen und nur wenige erwählt sind. Wie gesagt, was den behutsamen Umfang mit Schwachen und Angefochtenen usw. anbetrifft da bin ich denke ich ganz auf Deiner Seite. Doch den Starken sollte das ganze Licht scheinen, finde ich. Diese sollen wie gesagt doch die Speerspitze des (geistlichen) Kampfes mit den Mächten der Finsternis sein.
Titel/auf deutsch: Ich würde Dir gerne das Buch „Siehe, das ist unser Gott“ von Frederic Thomas Wright schenken. (zu ihm siehe die englischsprachige Wikipedia – er war der Begründer der Sabbatruhe-Bewegung)…. Es hat schon 515 Seiten, ich würde Dir ggf. einige Kapitel daraus empfehlen. Einschränkend: Er zitiert nicht nur aus der Bibel, sondern eben auch aus adventistischen Büchern, hauptsächlich von E.G. White, der adventistischen Prophetin. Das stellt letztendlich aber m.E. die Grundaussagen des Buches nicht in Frage.