Was gaben mir bibeltreue Gemeindelehrer in meiner Jugend in den 70er-80er Jahren mit auf den Weg? Im wesentlichen einen Glauben an die Unfehlbarkeit aller Bibelworte, und einen ebenso starken Glauben an die Unfähigkeit und Unzuständigkeit des Verstandes in Glaubensdingen.
Schon als Kind wurde ich in Bibelstunden und Gottesdiensten mit einem furchterregenden Gott konfrontiert, der dereinst alle Menschen – mit Ausnahme der Erwählten, die sich ihm gehorsam unterwarfen – zu ewiger, unaufhörlicher Qual in der Hölle verurteilen würde. Was dieser Gehorsam beinhaltete, wurde uns mit Hilfe der Begriffe „Heiligkeit, völlige Hingabe, absolute Reinheit“ in einer fordernden Weise erläutert, was mir langfristig gar nicht gut bekam.
Den Verstand durfte ich nicht fragen, als das Gewissen begann, mich zu überfordern und zu erpressen – man konnte aber die Ältesten und andere Gläubige fragen, die ihre Meinung für maßgeblich hielten. Da sich Bibelworte widersprachen, konnte es auch nur Meinungen geben. Es wurde immer viel von Gewissheit geredet, aber ich hatte sehr bald keine mehr.
Im Gegenteil: meine Angst vor Verlust der Liebe Gottes wurde immer größer, die Angst vor einem Gott, der auch bei geringem Anlass schnell zum Zorn gereizt erschien. Eines Tages verlor ich die Hoffnung ganz und hatte nur noch Angst vor der Hölle: mehrere Jahrzehnte lang. Ich verlor meine Arbeitsfähigkeit endgültig und damit sämtliche Zukunftsperspektiven. Mein Leben war kaputt. Als psychisch Schwerbehinderter erhielt ich eine kleine Erwerbsunfähigkeitsrente. Meine Eltern mussten sich vorrangig und ständig um mich kümmern, so dass meine Geschwister zu kurz kamen und Abneigung gegen mich und die Eltern entwickelten. Bis heute sind die Beziehungen schwer gestört.
In den Gemeinden der ev. Allianz wird mein Schicksal als privates, selbstverschuldetes Problem betrachtet. Wer überempfindlich auf Theologie reagiert und alles für bare Münze nimmt, ist selber schuld. Ob dieser bittere Weg mit verbesserter Theologie hätte vermieden werden können, diese Frage scheint dort überflüssig zu sein. Dafür sind die Psychiater zuständig, von denen sich kaum einer gründlich mit Theologie befassen wird.
Heute dominiert in evangelikalen Gemeinden eine Art Wohlfühl-Theologie. Man sucht sich möglichst Ermutigendes aus der Bibel heraus und tut so, als ob es in diesem Buch überhaupt keine gefährlichen Dinge gäbe.
Für die Menschen, die durch den bibeltreuen Extremismus der 70er und 80er Jahre geschädigt wurden, fühlt sich niemand verantwortlich. Zwar haben damals Pfarrer und Gemeindemitarbeiter der Ev Allianz mit dieser Theologie Geld verdient und Vermögen angesammelt, doch Pfarrer, die heute amtieren und wieder von der Einrichtung „Gemeinde“ materiell profitieren, sehen sich für die damals schwer Geschädigten nicht zuständig.
Ebenso wenig verantwortlich sieht man sich für die Menschen, die immer noch in dubiosen „evangelischen“ Glaubensgemeinschaften aufwachsen müssen, in denen Kinder und Jugendliche mit rigoristischer Ethik traktiert werden.
So kommt es, dass das Bekenntnis zur „ausnahmslos zuverlässigen“, irrtumslosen Bibel (die Chicago Erklärung von 1978), unkommentiert und unkritisiert Grundlage der Ev Allianz geblieben ist, und dass bis zum heutigen Tag das Bemühen, Gläubige über die höchst bedenklichen Nebenwirkungen dieses Bekenntnisses zu informieren, wenig Erfolg gehabt hat.
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