Gift Nr. 24


24. Behauptung: “Die Körperstrafe (Prügeln) ist ein unentbehrliches Erziehungsmittel des Christen.”

Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn bald.” (Spr 13,24). Da steht es ja! Man soll die Rute nicht “schonen“. Wer drauflos prügelt und dabei mehrere Ruten verbraucht, der hat am besten verstanden, was Gott mit “Liebe” meint? Tatsächlich?

Wer die Bibel wörtlich verstehen will, der sollte auch andernorts genau lesen. Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: “Soll ich mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und Sanftmut?” (1.Ko 4,21). Es gibt wohl keinen einzigen Ausleger, der die Ansicht vertritt, dass Paulus tatsächlich mit einer Rute im Gepäck nach Korinth reisen und die Gläubigen durchprügeln wollte. Die Rute ist nur ein Symbol (!) der Bestrafung, die – bei schlimmem Fehlverhalten – entsprechend streng ausfallen kann.

Deswegen trifft diese Übersetzung den tatsächlichen Sinn am besten: “wer seinen Sohn nicht für böses Verhalten bestraft, der hasst ihn; wer ihn aber liebhat, der weist ihn zurecht.”

Die Israeliten waren damals ein Volk von Viehzüchtern und Ackerbauern. Deshalb illustriert die Bibel so manche Glaubenswahrheit mit Beispielen aus der Landwirtschaft. Gott wird mit dem Hirten verglichen, der den “Stecken” gebraucht, um seine Schafe “zum frischen Wasser zu führen“. (Ps 1)

Es hat wenig Sinn, einem Schaf oder einem Rind, das von der Weide wegläuft, um auf dem Feld des Nachbarn zu fressen, einen belehrenden Vortrag zu halten, dass man fremdes Eigentum respektieren müsse. Der Hirte kann nur mit einem unangenehmen Zwangsmittel, einem Stecken oder einem Schäferhund, auf das Tier einwirken.

Daraus muss man aber nicht schließen, dass man seine Kinder wie Tiere behandeln und ggf. prügeln müsse. Es gibt wirksamere und würdigere Zwangsmittel, um Einsicht zu erzeugen.

Wie wichtig es ist, angemessen zu bestrafen, zeigt die Geschichte des Priesters Eli im Alten Testament. Seine Söhne, die ebenfalls Priester waren, vergingen sich an den Frauen im Tempel und stahlen von den Opfergaben. Anstatt sie – was angemessen wäre – sofort vom Tempeldienst zu suspendieren, beließ es Eli bei einem milden Tadel: “Nicht doch, meine Söhne. Was ich über euch gehört habe, das ist nicht gut. Ihr verleitet das Volk Gottes zum Ungehorsam.” (1.Sam 2,24) Auch nachdem ihn ein Prophet ermahnt hatte, konnte er sich nicht zu strengen Maßnahmen durchringen. Die Folgen waren verheerend.

In unserer Zeit hat der gänzliche Verzicht auf Zurechtweisung in Form der antiautoritären Erziehung zu moralischer Haltlosigkeit geführt und die Möglichkeit, sich Gott zuzuwenden, aufs Äußerste erschwert.

Bei etlichen Menschen mag aber dieser Irrweg eine Reaktion auf das Erleiden einer primitiven Prügelpädagogik gewesen sein, deren Autorität nicht mehr auf dem Vorbild und überzeugenden Argumenten, sondern im wesentlichen auf brutaler Einschüchterung beruhte.

Erziehung braucht Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Fehlt diese, dann kann man das Defizit auch nicht durch körperliche Gewalt ausgleichen. Zweifellos werden sich Kinder dann ihren Eltern äußerlich anpassen, solange sie anwesend sind. Sobald die Kinder aber mit ihren Freunden unter sich sind, werden sie sich nicht mehr an diese Normen halten – und später im Leben auch nicht. Das ist nur konsequent. Wenn die Eltern keine Überzeugungskraft haben, dann heucheln sie. Warum soll das Kind dann nicht auch heucheln dürfen? Das, was die Eltern tun, hat immer viel mehr Gewicht als das, was sie sagen.

Es muss davor gewarnt werden, das Kind immer und immer wieder durch Androhung von Prügel in Angst zu versetzen. “Warte, bis Papa nach Hause kommt, dann kannst du was erleben…” Wenn die Theologie das schlechte Gewissen überstrapaziert, verknüpften sich solche Ängste zu leicht mit dem Bild eines Gottes, zu dem man kein Vertrauen mehr fassen kann, weil man ständig Angst hat. Ständige Angst macht selbstbezogen und liebesunfähig, auch unfähig, den Segen der göttlichen Gebote zu erkennen.

Ohne Strafen geht es nicht. Ausschluss von einer schönen Unternehmung, Kürzung des Taschengeldes, Wegsperren der Musikanlage oder des Handys und dergleichen mehr sind wirksam genug, erzeugen aber keine Angst. Solche Strafen sind auch nachvollziehbar. Das Kind hat kein eigenes Einkommen. Alles was es hat, verdankt es seinen Eltern. Das, was es zurückgeben kann, ist Respekt und Gehorsam und wenn das fehlt, dann müssen die Eltern dieses Verhalten nicht mit weiterer Großzügigkeit belohnen.

Arbeitsaufträge als Strafe sind umstritten, da es ein Vorrecht ist, arbeiten zu dürfen.

Das Wohl des Kindes erfordert auch, sich weitergehende Überlegungen zur Effizienz einer Strafe und zu unerwünschten Nebenwirkungen zu machen (vgl. Michael Dieterich, Psychologie und Seelsorge, Wuppertal und Zürich, 1989, pp. 78-83)

Auch in der Strafe sollte immer die Liebe der Eltern zu erkennen sein. Strafe darf keine Aktion sein, in der die Eltern ihre Wut abreagieren – und insoweit selber undiszipliniert sind. Schadenfreude, Triumph, eine “Wie du mir- so ich dir” – Mentalität sind unglaubwürdige Verhaltensweisen. Genauso wie die Freundlichkeit kommt auch die Strafe “von Herzen”. Das Motiv ist immer das Wohl des Kindes.

Wenn es um den Glauben geht, wirken Zwang und Druck besonders verheerend. Man kann ein Kind nicht zwingen, Gott zu lieben und zu respektieren. Zwang in Glaubensdingen drängt die Seele in die Sackgasse frustrierender Werkgerechtigkeit hinein. Es gibt nichts Wirksameres, um Kindern auf lange Sicht den Glauben abzugewöhnen. Mancher Gläubige übt Druck aus Angst aus, seine Kinder könnten in die Hölle kommen. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber ! Es ist besser, für sie fleißig zu beten und selbst Vorbild im Glauben zu sein.

Kontraproduktiv ist auch die Vermittlung einer deprimierenden Gottesvorstellung, die mit brutaler Einschüchterung, erbarmungsloser Abrechnung, minutiöser Überwachung verbunden ist (“Big Brother”). Wenn der Glaube überwiegend deprimierende Impulse vermittelt, dann muss man sich nicht wundern, wenn er zu guter Letzt nicht mehr interessiert. Man begnügt sich dann vielleicht noch mit einer frommen Fassade, mit ein bisschen Frömmigkeit anlässlich der Feiertage, aber erwartet das eigentliche Glück einzig vom materiellen Erwerb.

Manche Gläubige bemerken gar nicht, dass sie Druck ausüben. Das Kind kann schon die Erwartung, an Ritualen wie z.B. einer Gebetsgemeinschaft teilzunehmen, als sehr unangenehm empfinden. Noch mehr Druck wird ausgeübt, wenn die Eltern ihre Enttäuschung und Frustration offen zeigen, falls das Kind keine Lust hat, mitzumachen.

Was soll ein solches Gebet wert sein ? Es entspringt ja gar nicht einem echten Bedürfnis. Das Herz bleibt kalt und unbeteiligt. Hier werden ein paar Phrasen an Gott gerichtet, sein Name wird missbraucht, nur damit die Eltern Ruhe geben.

Viel besser ist es, wenn man den Kindern baldmöglichst mitteilt, dass sie ein Recht auf religiöse Selbstbestimmung haben. Noch besser ist es, wenn man ihnen erläutert, warum Zwang in Glaubensdingen schädlich ist und wie Jesus sich echte Jüngerschaft gedacht hat.

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Artikel aktualisiert am 25.04.2018

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