Korrigierbare Aussagen in der Heiligen Schrift?
Diese Frage wird üblicherweise von Chicago-Theologen mit einem strikten NEIN beantwortet. Wir möchten diese Frage nicht von einem bibelkritischen Standpunkt aus, sondern mit der Heiligen Schrift selbst beantworten. Das Zeugnis der Heiligen Schrift (!) zeigt etwas anderes.
Wir stellen fest, dass der buchstäbliche Text manchmal in die Irre führen kann (und offensichtlich soll !), die Beachtung der Qualitätsmaßstäbe Jesu aber diesen Irrtum erkennen lässt. Die Nichtbeachtung führt in den Irrtum. Auf diese Weise wird der Gläubige daran gewöhnt, den hohen Rang dieser Qualitätsmaßstäbe anzuerkennen.
Fundamentales Beispiel: Mose verhieß den Gläubigen Segen, die alles genauso tun, wie es im mosaischen Gesetz geschrieben steht. (Deu 30, 2) Die Entlassung des Ehefrau ist aber nirgends im Gesetz verboten. Für die Entlassung kriegsgefangener Frauen gibt es ein Gesetz, dass ihren Verkauf verbietet. Die Entlassung aus dem doch recht niedrigen Motiv der Überdrüssigkeit („weil du keine Lust mehr an ihr hast„) wird hingegen ausdrücklich gestattet. (Deu 21,14)
Für die Entlassung einer jüdischen Ehefrau waren die Bedingungen etwas verschärft: „weil du etwas Schändliches an ihr gefunden hast„. Auch musste ein Scheidebrief ausgestellt werden. (Deu 24,1) Der Begriff „Schändlich“ wird nicht näher definiert und bietet viel Raum für die Willkür des Mannes. (Folglich gab es auch zwei jüdische Auslegungsrichtungen, die jeweils die Rechte des Mannes oder der Ehefrau mehr betonten.) Das Gesetz erwähnt nicht, wie oft das „Schändliche“ Ereignis eintreten musste. Offenbar genügt hier recht wenig. Auch ein eher seltenes Fehlverhalten kann als „schändlich“ gewertet werden: dem Ehemann wiedersprechen, eine Anweisung ignorieren, Familieninterna ausplaudern, nur Töchter gebären usw.
Wer nun etwas vorweisen konnte, was ohne Zweifel „schändlich“ war, der konnte guten Gewissens seine Frau entlassen, zumal kriegsgefangene Frauen sogar grundlos entlassen werden konnten. Er hatte nicht gegen den Wortlaut des Gesetzes verstoßen und falls er sich ansonsten an die Vorschriften des Gesetzes hielt, durfte er des Segens gewiss sein.
Doch schon im Alten Testament wird diese „Gewissheit“ ganz deutlich in Frage gestellt.
Maleachi warnt ausdrücklich alle, die ihre Ehefrau verlassen, vor einem Fluch ! „Weiter tut ihr auch das: ihr bedeckt den Altar des HERRN mit Tränen und Weinen und Seufzen, weil er nicht mehr eure Speisopfer ansehen noch etwas Angenehmes von euren Händen empfangen. will. Ihr jammert: „Warum nur ?“ Der Grund ist einfach: der HERR war zwischen dir und dem Weibe deiner Jugend Zeuge, die du nun verachtest, obwohl sie doch dein Lebensgefährte und die Frau deines Bundes ist.“ (Mal 2,13-14) Maleachi lässt überhaupt kein Motiv für eine Entlassung gelten.
Jesus äußerte sich später ähnlich streng, nennt aber eine Ausnahme (Mt 19,9: Auflösung einer Ehe wegen Unzucht).
Somit bekamen die Frommen, die ihre Frau entließen und sich ansonsten an den Buchstaben des mosaischen Gesetzes wortgetreu hielten, nicht den Segen, den sie erwarteten, sondern was ? Gar nichts !
Paulus resümierte später, dass er sich vorbildlich an das Gesetz gehalten hatte und einer Illusion aufgesessen war. Maleachi erschien erst Jahrhunderte nach dem mosaischen Gesetz. Man kann die Frommen förmlich meckern hören: uns hat niemand etwas von dieser „Falle“ gesagt. Und nun sollen wir für die Entlassung auch noch bestraft werden ?
Offenbar gibt es in der Bibel Aussagen, die nicht mithilfe der Tradition und Logik richtig interpretiert werden, sondern nur im Lichte des Liebesgebots.
Das Liebesgebot war auch schon im mosaischen Gesetz vorhanden. (Lev 19, 18) Allerdings erkannten nur ein Teil der Gläubigen seine überragende Bedeutung für die Textauslegung.
Das Gesetz des Mose verbot, „etwas zum Text hinzuzufügen. (Deu 12, 32) Was Maleachi schrieb, galt jedoch nicht erst ab der Abfassungszeit seines Textes sondern schon vorher, ja zur Zeit des Mose. Die Gläubigen hätten selber darauf kommen müssen. Dies impliziert auch, dass man die schäbige Behandlung einer kriegsgefangenen Frau selbständig hätte ein für alle Mal ächten müssen.
Somit ist auch das Verbot des Mose, etwas zum Gesetz hinzuzufügen ein vorläufiger Text („Schatten – Text„). Dass später von inspirierten Autoren viele andere Bücher der Bibel hinzugefügt wurden, die Aussagen des mosaischen Gesetzes teilweise aufheben, ist ein deutlicher Beweis für die vorläufige Natur dieses absolut erscheinenden Verbotes.
Ein Schatten-Text ist ein „Übungstext“ für die Gläubigen, die lernen sollen, ihn in das Licht des Liebesgebotes zu stellen. Man sieht, dass Gott von seinen „Freunden“ – die es ja auch schon zur Zeit des AT gab (Heb 2,23) schöpferisches Mitgestalten bei der Auslegung erwartete – bei aller Ehrfurcht, die vor fleischlicher Willkür bewahrte. Gottes Freunde haben „Christi Sinn“ (1.Kor 2,16) und seinen „Geist, der in ALLE Wahrheit leitet“ (Joh 16, 13).
„Schatten-Texte“ sind ohne Zweifel irreführende Texte, Texte, die nicht nur verbessert werden dürfen, sondern müssen. Sie sind als verbesserungswürdige Texte selbstredend mangelhaft und nicht vollkommen. Denn Vollkommenes muss man nicht verbessern. Gleichwohl sind sie göttliches Werkzeug und gehören zu Gottes vollkommenem Plan.
Auch Jesus schloss die Bibel nur denen auf, die das Liebesgebot ernstnahmen und verbarg den Sinn seiner Texte vor anderen (Mt 13, 11). Das ist das biblische Konzept der Selbstverstärkung.
Das ist das Zeugnis der Heiligen Schrift selbst. Mit bibelkritischer Wissenschaft und Materialismus hat diese Tatsache überhaupt nichts zu tun !
Viele andere Beispiele von „Übungstexten“ liegen als Texte im sogenannten No-Comment-Stil vor.
Wenn Gläubige dieses Zeugnis der Bibel nicht anerkennen können und die Mangelhaftigkeit solcher Texte bestreiten, so machen sie damit ein wichtiges Hilfmittel für geistliches Erkennen unbrauchbar. Ein erheblicher Teil biblischer Texte wird dadurch bedeutungslos, todlangweilig und armselig.
Übrig bleibt für alle diese Texte nur eine Funktion: etwas wider besser Wissen als fehlerlos und perfekt zu bekennen, bloß weil es angeblich von Gott verlangt wird.
Dieses „Bekenntnis“ wird als „Bewährung des Glaubens“ gesehen.
Ob es das ist ? Beweise dafür gibt es keine. Tatsache ist, dass in etlichen Gemeinden auf ein Abweichen von dieser eingeschränkten Sicht mit starkem sozialen Druck reagiert wird.
Wieviele Pfarrer tönen auf der Kanzel von der Fehlerlosigkeit, weil sie meinen, dass ihnen anderfalls die fromme Klientel davonläuft ! Wieviel haben gar nicht den Mut, sich zu ihren Beobachtungen zu bekennen, weil sie Angst vor Mobbing und Ausgrenzung haben !
Und Gott soll bei solchen Machtspielchen mitmischen ? Was ist das für ein Bild von Gott ? Ein Gott, der Wert darauf legt, dass man ihm nach dem Munde redet ! Der Wert darauf legt, dass man feige vor dem Meinungsdruck anderer kuscht, obwohl längst ein ehrlicher Kommentar angebracht wäre, der das Liebesgebot angemessen respektiert !
Haben wir Jesus so kennengelernt ? Können wir uns vorstellen, dass ihm solche Lippenbekenntnisse gefallen ? Wie soll denn bei solch einer Gottesvorstellung, die die Geringschatzung der Ehrlichkeit und Fairness impliziert, wirkliches Vertrauen entstehen ?