Was ist Glaube?

Echter Glaube ist ein Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der göttlichen Verheißung. Aus der Tatsache, dass manche Aussagen der Bibel nach Prüfung an dem Maßstab der Liebe und Wahrheit als zweifelhafte oder gar schädliche Texte einzuordnen sind, folgt nicht, dass irgendeine der Verheißungen der Bibel in Zweifel gezogen werden darf. Das wäre ein sehr dilettantischer Fehlschluss. Oder glauben wir der Verheißung nur deshalb, weil sie schriftlich fixiert worden ist und wir einen Gott, der sich nicht an seine Zusicherung hält, vor irgendein Gericht zerren könnten? Glauben wir nicht eher deshalb der Verheißung, weil wir grundsätzlich darauf vertrauen, dass Gott die Liebe selbst ist und dass die Verheißung eben dieses Vertrauen zum Ausdruck bringt? Wenn der Inhalt der Verheißung gut ist, und die vollkommene Liebe alles nur erdenkliche Gute dem geliebten Menschen zueignen will, dann ist es nur folgerichtig, von der Gültigkeit und Verlässlichkeit der Verheißung auszugehen. Umgekehrt nützt uns eine schriftliche Zusicherung und ein fehlerloses Glaubensdokument gar nichts, wenn an der Liebe Gottes berechtigte Zweifel bestehen.

So wahr das Axiom der Liebe ausnahmslos gilt und so wahr dieses Axiom das Wesen des göttlichen Charakters widerspiegelt, so wahr ist es auch, dass der Gläubige fest mit der Erfüllung jeder Verheißung rechnen darf, die dem Wesen dieser Liebe entspricht. „Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!“ (Mt 7,11) „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32) Unser Gott, der so unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder erdenken (Eph 3,20) wird nicht durch Misstrauen seiner Kinder, sondern durch ihr Vertrauen geehrt. (Röm 4,20)

Dieses Vertrauen ist mit praktischen Übungen und dem Verzicht auf fragwürdige eigene Lösungen verbunden. Es kostet etwas. Für den praktischen Glaubensschritt ist eine Antwort Gottes verheißen. (‚Jak 4,4,) Sie macht Mut zu weiteren Vertrauensschritten: „aus Glauben in Glauben„. (Rö 1,17)

Hier fällt die Entscheidung zwischen einer glaubensfreundlichen und einer glaubensfeindlichen Theologie. Eine liberal-materialistische Theologie geht davon aus, dass es keinen Gott gibt, der einen Menschen persönlich anspricht und dessen Vertrauen beantwortet. Gott ist tot, keine Person, allenfalls ein Begriff für alles Unerklärbare. Gebete sind Selbstgespräche. Mit frommer Rhetorik, romantischem Ambiente und Ritualen lassen sich allenfalls Stimmungen erzeugen, die der Mensch genießen kann. Eine liberal-materialistische Theologie ist der definitive, endgültige Verzicht auf das Wagnis des Glaubens.

Vertrauen auf eine Zusage Gottes bleibt immer ein Wagnis  – und dieses Wagnis wird nicht größer, wenn wir gelegentliche Fehler in der Bibel für möglich halten, und nicht geringer, wenn wir ausnahmslos alles in der Bibel für wahr halten.

Dieses Wagnis wird gerne durch Rechtgläubigkeit ersetzt, durch Zustimmung zu einem Dogmensystem, durch entschiedenes „Bekenntnis“ zur Fehlerlosigkeit der Bibel. Die Zustimmung kostet nichts, sie bringt Vorteile, da sie Anerkennung und Unterstützung durch die Glaubensgemeinschaft einbringt, die auf ein Dogmensystem eingeschworen ist.

In buchstabenhörigen Gemeinden wird üblicherweise unterstellt, dass echter Glaube mit dem Glauben an eine irrtumslose Bibel identisch ist. Der Zweifel daran käme der verführerischen Frage der Schlange im Paradies gleich: „Sollte Gott gesagt haben?“ (1Mo 3,1) Tatsächlich? Kein Gläubiger wird bezweifeln, dass die mündliche Rede Gottes von Irrtum frei ist.

Aber wieso können wir sicher sein, dass diese Qualität erhalten bleibt, wenn fehlbare Menschen diese Rede aufschreiben und weitergeben? Eine folgenschwere Fehlentscheidung bei der Zusammenstellung des Bibelkanons ist für die Zeit um 145 n.Chr. nachweisbar, als die Mehrheit der Gläubigen die sogenannte „Petrusoffenbarung“ als inspiriertes Gottesort anerkannte.  Ein peinliches Dokument, das im 3.Jahrhundert wieder aus der Bibel verschwand. Es gibt – gottlob selten –  grauenhafte, vertrauensstörende Aussagen in der Bibel – gottlob nur einzelne Sätze. Könnten sie nicht menschlich bedingte Mängel im biblischen Text sein, wo Gott doch auf unser Vertrauen so großen Wert legt?  Könnte es nicht sein, dass Gott die Beschädigung des Textes vorhergesehen und deshalb Reparaturinstrumente in der Bibel mitgeschickt hat? Könnte es nicht sein, dass gerade die Anwendung dieser Reparaturinstrumente der entscheidende praktische Vertrauensschritt ist, der Menschen, die Gott näher kommen wollen, weiterhilft?

Wie können wir mit der Bibel sinnvoll und glaubwürdig umgehen? Einen Vorschlag, der mE bedenkenswert ist, liefert das sogenannte schöpfungsgemäße Bibelverständnis – auch ein bibeltreues Konzept („Update 2.0„) und eine sinnvolle Alternative zur Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit, die ihr gegenüber den unbestreitbaren Vorteil hat, dass Problemstellen nicht verdrängt werden müssen. Dadurch ist sie viel fruchtbarer in der Seelsorge, die immer wieder mit geängstigten Gläubigen zu tun hat, denen der Appell zur Verdrängung nicht hilft. Sie ist auch viel glaubwürdiger im Gespräch mit Nichtchristen.

Was an der Chicago-Erklärung zweifeln lässt, ist zum  ersten die nachweislich falsche Behauptung, dass ein Christ an die Fehlerlosigkeit der Bibel glauben müssen, wenn er seinen Glauben nicht verlieren wolle. Es gibt viele Christen, die auch ohne den Glauben an eine fehlerlose Bibel praktische Vertrauensschritte machen und einen lebendigen Glauben haben. Ein bekanntes Beispiel ist Dietrich Bonhoeffer.  Abraham, Henoch und Hiob gingen ihren Weg mit Gott, ohne überhaupt eine Bibel zu haben!  (Eph 3,20 / 2Pet 1,3) Es ist genau umgekehrt. Die Chicago-Erklärung hat vielen Menschen den Glauben kaputt gemacht, da sie ohne Verdrängung und Lüge nicht auskommt und sich auch eine zensurfreie Diskussionsplattform, wie sie hier angeboten wird, gar nicht leisten kann. Die vielen Menschen, die weggehen, zählt niemand. Eine Gemeinde die genug ahnungslose Neulinge anwerben kann und sich damit brüstet, gilt als „gesund“.

Zum zweiten ist es die Hemmungslosigkeit, mit der ihre Vertreter ihre Mitchristen als Glaubensschädlinge und Verführer verleumden, bloß weil diese ehrliche Antworten auf destruktive Bibelstellen erwarten und sich im Interesse der dadurch psychisch Geschädigten nicht mit nutzlosen Phrasen oder der Vertröstung auf den Sankt-Nimmerleinstag abspeisen lassen. Wie wenig scheut man sich doch, solche Gläubige, die aus Liebe und Mitgefühl anders denken, mit den liberal-materialistisch denkenden Gottlosen, die an gar nichts glauben wollen, in einen Topf zu werfen. Um die solcherart Gebrandmarkten macht dann der Großteil der dressierten Gläubigen einen großen Bogen, um sich nicht zu infizieren, denn die Propaganda hat ja schon für genügend hirnlose Panik gesorgt. 

Das dritte ist die erschreckende Unehrlichkeit, die niemandem mehr auffällt. Immer wieder haben mir bibeltreue Gemeindeleiter – unter vier Augen! –  gesagt, dass sie eigentlich selbst nicht an biblische Fehlerlosigkeit glauben, aber dass die Gemeinde es von ihnen erwartet, und dass sie sich anpassen, damit nicht die Empfindlichen in ihrer Klientel zu anderen Gemeinde abwandern. Ist das nicht erbärmlich? Wie hatte Jesus sich verhalten? Als den Leuten seine Rede nicht gefiel, fragte er seine Jünger: „Wollt ihr auch weggehen?“ (Joh 6,67) In der evangelikalen Landschaft vorstellbar? Warum gilt das Vorbild Jesu nichts, wenn alle doch angeblich so „bibeltreu“ sind?

Unsere Website will sich an das Vorbild Jesu halten!  Wir haben es versprochen: alle Kritik, alle Korrektur, alle Verbesserungsvorschläge werden binnen sieben Tagen online gestellt. Es gibt keine Zensur. Das ist Wahrheitsliebe und Respekt vor dem Leser. Und es ist ein Vertrauen in die Durchsetzungskraft der göttlichen Wahrheit. Wo findet man das bei anderen bibeltreuen Websites?

In streng buchstabenhörigen Gemeinden ist – ungeachtet aller vollmundigen Erlösungspropaganda – Angst das bestimmende, ja herrschende Motiv. Die Gemeindeleiter haben Angst, dass Mitglieder abwandern könnten. Insofern müssen die emotionalen Erwartungen der Mehrheit erfüllt werden.  Sie haben Angst, im Verband der gleichgesinnten Amtsbrüder unangenehm aufzufallen. Die Mehrheit der Gläubigen möchte möglichst binnen einer Stunde „erbauliche“, positive Gefühle angeboten bekommen. Auch soll die Zusammenkunft einen Erholungseffekt haben ohne großen Dissens oder Wortstreit. Das sind für die Wahrheitssuche oder auch für notwendige Klärung von missbräuchlicher Bibellehre die denkbar schlechtesten Voraussetzungen.

Die Angst um das eigene Wohl wird an die Mitglieder weitergegeben. Das buchstabenhörige Establishment versteht es, starke religiöse Gefühle zu erzeugen: ein Sinngefühl (Gott nimmt dich als Person ernst, gibt deinem Leben einen sinnvolle Aufgabe),  ein Sicherheitsgefühl (Gott sorgt für dich, beschützt dich), ein Exklusivitätsgefühl (du gehörst zu den Erwählten und hast Teil an der Autorität, anderen den rechten Weg zu zeigen) sowie auch das Gemeinschaftsgefühl (wir bieten dir ein Zuhause, in dem du Freundschaft und vielfältige gute Impulse findest).

Parallel dazu wird den Gläubigen die Angst vermittelt, dass all diese Gefühlsschätze sofort verloren gingen, „wenn die Bibel einen Fehler enthielte“. Als große Bedrohung wird hier der Papiertiger der „liberalen“ Theologie aufgebaut, die alles Übernatürliche leugne und zur spirituellen Erbauung unfähig sei. So braucht ein Bibellehrer nur jemandem das Etikett „liberal“ umzuhängen, um zu erreichen, dass panische Angst vor dem Glaubensverlust einsetzt und niemand mehr zuhört. Alle scharen sich eng um den berufenen Hirten, der nun als Beschützer des Glaubens aufgewertet wird.

Eigentlich ein durchschaubarer, ja primitiver Mechanismus. Da die Angst alles bestimmt, kann sich ein Interesse an anstrengender Wahrheitsfindung und an ehrlicher Selbstreflexion gar nicht entwickeln. Stattdessen gedeiht der fromme Egoismus, der auf eine evt Schädigung sorgfältig denkender Mitchristen keine Rücksicht mehr nimmt. Da „der Glaube in Gefahr ist“, erscheint jedes Mittel recht:  Verdrängung, Manipulation und Selbstbetrug.

Folglich werden in solchen buchstabenhörigen Gemeinden Gläubige  – was die Bibelkunde betrifft – auf einem sehr schlechten Informationsstand gehalten. Hartnäckig klammert man sich an Behauptungen, die schon durch einfaches Beobachten widerlegbar sind. Theologie verkommt zu einem Reservoir an Ausreden, die tieferes Nachdenken überflüssig machen. Anregungen werden nur dann akzeptiert, wenn sie aus dem ideologisch gleichgesinnten Lager kommen. Wer gute Impulse, tiefgründige Gedanken von umstrittenen Autoren bringt, fällt unangenehm auf. Die häufigste Reaktion auf eine In-Frage-Stellung: das Ausbleiben der Reaktion, Schweigen, Ignorieren, Tot stellen nach dem Motto: „die Hunde bellen – die Karawane zieht vorüber“. Ein längeres Arbeiten an einer schwierigen, belastenden Bibelfrage mit kontroversen Meinungen ist unüblich oder gar unmöglich, die Gläubigen erwarten, binnen einer Stunde ein emotional zufriedenstellendes Ergebnis geliefert zu bekommen.

Das Urteilsvermögen kann sich nur wenig entwickeln, da ja auch bei den destruktivsten Bibelstellen immer nur Zustimmung erlaubt ist. So sammeln sich im Kopf ständig Aussagen, die nicht zusammenpassen, die sich gegenseitig relativieren, schwächen, und das Denken lähmen. Entsprechend sind auch die Chats solcher Gemeinschaften durch auffallende gedankliche Armut  charakterisiert: man beschränkt sich im großen und ganzen darauf, sich gegenseitig Bibelsprüche vorzusetzen und Bestätigungen (Amen. So ist es. Halleluja) zu schicken. Es ist die Angst spürbar, zu viel von sich preiszugeben und dann von anderen als jemand, der „im Glauben zurückgeblieben ist“, zurechtgewiesen zu werden.  Auch ist es das oberste Gebot, die Harmonie der Gemeinschaft nicht durch „irritierende Wahrheitssuche“ zu gefährden.

Gleichwohl sieht man sich selbst als diejenigen, die die Bibel am besten verstanden haben.  Auch wenn man sich im Alleinbesitz der „Wahrheit“ wähnt, so fehlt doch das Vertrauen in die Durchsetzungskraft der göttlichen Wahrheit gänzlich. Um der Irrtumslosigkeitsdoktrin Geltung zu verschaffen, muss man mit manipulativen Tricks, mit Abschirmung vor Informationen, mit der ganzen Palette, die Sekten zu bieten haben, nachhelfen.  Die Leitung bestimmt, was die Gläubigen denken und verkünden dürfen. Sie betrachten diese Bevormundung als ein ihr von Gott gegebenes Recht.

In einer Schule dieser Art werden 1001 Variationen der ewig gleichen Schallplatte abgespielt. Hier bleibt die  Erkenntnis, dass man Gott durch Unehrlichkeit weder ehren noch verteidigen kann, auf der Strecke. (Hiob 13,7ff)

Martin Luther hat schon vor 500 Jahren festgestellt, dass der Hebräerbrief der paulinischen Gnadenbotschaft widerspricht und sich deshalb bei sensiblen, sorgfältigen Gläubigen destruktiv auf Glaubensfreude und Heilsgewissheit auswirken kann. Dennoch war es leider bisher nicht möglich, buchstabenhörige Gemeindeleiter zu motivieren, in ihrer Gemeinde die Warnung Luthers zum Thema zu machen und die diesbezügliche Untersuchung (Adresse: www.hebraeerbrief.de) vorzustellen. Oberflächlich und phantasielos denkende Christen – und das ist nun einmal die Mehrheit – (s. 1.Kor 1,26) haben natürlich damit keine großen Probleme.

Überhaupt sehen sie in der Heiligen Schrift kaum Probleme, da ja gemäß Artikel XIV der Chicago-Erklärung „keine Widersprüche in der Bibel“ vorkommen. So genügt die Kenntnis einiger Bibelstellen, denen man spontan die gewünschte Bedeutung unterschiebt, um sich als maßgeblicher Ausleger zu verstehen, der gerufen ist, andere zu belehren. In die Tiefe gehen, sich hinterfragen, vor allem, die eigenen theologische Sichtweise immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, das ist für solche an schnellem Gefühlsgewinn orientierten Glaubensgemeinschaften viel zu anstrengend und anspruchsvoll. Da einfache Scheinlösungen schnell zur Hand sind, braucht man natürlich für Mitchristen, die sich quälen, keine tiefergehenden Gedanken zu investieren! Wenn ihnen die Schnelllösungen nicht helfen, wenn sie  ihr Leben lang unter schweren Ängsten leiden, die man dann in der Psychiatrie notdürftig mit massivem Einsatz von Psychopharmaka zu dämpfen versucht, so haben sie eben selber schuld. Eine quälende Not für den Seelsorger werden sie jedenfalls nicht.

Das sind die Früchte der Irrtumslosigkeitsdoktrin: Sie hat das exakte, rechenschaftsfähige Denken in dem besonders wichtigen Bereich der Seelsorge zu einem erheblichen Teil verkümmern lassen. 

 

 

Artikel aktualisiert am 25.08.2023

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert