Markus Voss – biblischer Völkermord:

Ein kritischer Kommentar von Christian Rahn

Das Video von Markus „Befiehlt Gott in der Bibel VÖLKERMORD? – Warum ist ALTES TESTAMENT so grausam?“ ist zu finden unter  www.youtube.com/watch?v=RuJxwr7tDXU

Aktualisiert: 29.1.2024

Es wäre nicht angemessen, Markus Voss als das schwarze Schaf unter bibeltreuen Theologen anzusehen. Seine oberflächliche, wenig Empathie zeigende und unseriöse Art zu argumentieren ist geradezu typisch für die bibeltreue Theologenszene. Mehr als dieses traurige Niveau wird man – wenn es um deutlich destruktive Bibelstellen geht – wohl kaum erwarten dürfen

Nach Markus Voss Ansicht ist die Frage, ob der in der Bibel erwähnte Vernichtung von Völkern sie unglaubwürdig machen würde, „leichter zu beantworten“ als es auf den ersten Blick aussieht. Wie lauten seine Antworten?

Sein erstes Argument (3:18): wenn das Wunder der Auferstehung wirklich statt gefunden hat, dann gibt es den biblischen Gott wirklich. Dann ist auch alles andere in der Bibel wahr. Und wenn es den biblischen Gott wirklich gibt und er die Vernichtung eines Volkes befohlen hat, dann ist sie geschehen und auch unsere Kritik wird daran nichts ändern. Gott muss auf unsere Wünsche keine Rücksicht nehmen. Und die Auferstehung hat stattgefunden. Viele Historiker, die die Berichte genau gelesen hätten, seien dadurch Christen geworden.

Der Schluss, weil Gott Genozid befohlen hat, könne er nicht existieren, sei ein Logikfehler. (5:08) Umkehrschluss: weil er existiere, sei der göttliche Ausrottungsbefehl auch historische Tatsache und daran würde sich auch nichts ändern, wenn uns diese Entscheidung Gottes nicht gefällt. Wir müssten sie akzeptieren, da sich Gott dem Urteil des Menschen niemals unterordnen würde.

Ein weiteres Argument (9:31) : Gott handle auch beim Genozid richtig, denn er habe das Leben erschaffen und er habe das Recht, das, was er geschaffen hat, wieder zu nehmen. Und da jeder Mensch ewig lebt, wechselt er beim Sterben nur den Ort, geht von der sichtbaren in die unsichtbare Welt.

Das dritte Argument (11:05): die Vernichtung der kananitischen Völker sei die gerechte Strafe für ihre Verbrechen, insbesondere Kinder, die als Menschenopfer verbrannt wurden. Wir sollten dankbar dafür sein, dass die Schuldigen bestraft worden wären.

Das letzte Argument (14:22): die Berichte über Genozide seien reine Rhetorik, ähnlich den Parolen im Sportverein „Wir haben sie vernichtet“, da später über Handel mit diesen Völkerschaften berichtet wurde, die angeblich ausgerottet wurden. Das ist im wesentlichen auch die Argumentation von Paul Copan.

Schon das erste Argument ist grotesk. Ein tatsächlich geschehenes Wunder der Auferstehung wäre ein Beweis, dass alle Berichte in der Bibel absolut zuverlässig seien. Tatsächlich? Wieso ist dadurch die Möglichkeit ausgeschlossen, dass nur das mündliche Wort Gottes fehlerlos war und dass die Menschen, die es gehört, erinnert, weitergegeben, aufgeschrieben, gesammelt und zusammengestellt haben, als unvollkommene Menschen auch bei dieser Tätigkeit nicht fehlerlos sein konnten?

Wenn der Bericht über die Auferstehung zutrifft, müssen auch alle anderen Berichte zutreffen?  Wenn eine Zeitung über ein Wahlergebnis zutreffend berichtet, dann muss automatisch auch der Ufo-Bericht und das Horoskop  auf der nächsten Seite stimmen? Was ist denn das für eine Logik?

Hat Voss nicht Kirchengeschichte studiert? Dann sollte er eigentlich wissen, dass Christen wie Dietrich Bonhoeffer und Adolf Schlatter mit der Möglichkeit menschlicher Fehler in der Bibel gerechnet und wie viele in der Christenheit darauf vertraut haben, dass der Heilige Geist ihnen dennoch die nötige Einsicht geben könne. Voss propagiert jedoch die Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel – die übrigens mit der Bibel selbst widerlegt werden kann! –  als das einzig mögliche Bibelverständnis und hält sich die Unfähigkeit, andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, offenbar noch als moralischen Pluspunkt zugute.  Ob diese Einstellung wirklich ein ethisches Plus ist, wird die folgende Betrachtung zeigen.

Schauen wir uns die übrigen Argumente an. Sie werden durch einen einzigen Bericht widerlegt: 4Mose 31,14-24. Hier ist Mose zornig, weil die Israeliten einen Vernichtungsbefehl nicht ausgeführt haben und fordert sie auf, alle Frauen, die keine Jungfrauen mehr sind, samt ihren Kindern zu töten.

Die Tötung von Kindern und Babys bedarf einer wirklich überzeugenden Begründung. Oder nicht? Doch die übliche Begründung des Ausrottungsbefehls ist nicht nachvollziehbar. Wurde dadurch tatsäch­lich eine Ver­führung zum Götzendienst vermieden? Ging nicht von den Jungfrauen, die man gnädiger­weise am Leben ließ, ebenfalls götzen­dienerischer Einfluss aus? Es ist deutlich genug: Über Tod oder Leben entschied diesmal allein die sexuelle Verwertbarkeit. Für eine Lieferung unbenutzter Jungfrauen bestand noch Bedarf, für Frauen „aus zweiter Hand“ nicht. Und welcher götzendienerische Einfluss war bei den Kindern zu befürchten, die allesamt abgeschlachtet werden sollten?

Hier begehen doch die Israeliten das gleiche Verbrechen, das sie den Kanaanitern vorwerfen: sie ermorden Kinder für ihren Gott. Moslems waren barmherziger: die erbeuteten Christenkinder wurden von ihnen nicht umgebracht, sondern zu Moslems erzogen.  

Geradezu grotesk ist das Argument, die Vernichtungsbefehle wären nur säbelrasselnde Rhetorik gewesen, weil im Anschluss mit Menschen aus diesen Völkern Handel getrieben worden war. Natürlich kam es immer wieder vor, das Vernichtungsbefehle nur halbherzig ausgeführt wurden. Deshalb ja auch die Strafrede des Mose, hier nachzubessern. Der Text lässt wenig Zweifel darüber, dass das dann wenigstens nachträglich geschah. Selbst wenn dieser erneute Befehl wieder nur zu 50% oder meinetwegen auch nur zu 10% ausgeführt worden wäre, würde das etwas an der Tatsache eines grauenhaften Verbrechens ändern? Denken wir auch an den Vernichtungsbefehl, der an König Saul in Bezug auf die Amalekiter erging. Er wurde von ihm an allem Volk vollstreckt. Nur der König Agag wurde am Leben gelassen. Saul verlor wegen der unvollständigen Erfüllung des Tötungsbefehls sein Königtum. (1Sam 15,7 ff) Das sollte eigentlich jedem klarmachen, dass mit  vollständiger Erfüllung solcher Befehle gerechnet wurde. Dass Markus Voss hier die Harmlosigkeit der Tötungsbefehle mit einem Beispiel aus der Fussballrhetorik plausibel machen will, zeugt entweder von eklatanter Unfähigkeit logisch zu denken oder von mangelnder Bereitschaft, sich diese Texte gründlich anzuschauen. Das ist das Problem bei vielen evangelikalen Bibellehrern: sie studieren mehr ein dreiviertel Jahrzehnt lang Theologie und kennen hinterher die eigene Bibel nicht! Der auf gedankenlose Zustimmung dressierte evangelikale Mainstream wird sich aber selbst daran nicht stören.

Inwiefern kann man angesichts dieser Berichte meinen (11:05), eine gerechte, wohlverdiente Strafe sei vollzogen worden, wenn Kinder für die Untaten einiger Erwachsener mit der Höchststrafe bestraft werden?

Alle Kinder dieser Welt werden in aller Harmlosigkeit das nachahmen, was sie bei Mama und Papa sehen. Daraus einen Schuldvorwurf zu konstruieren, der nur mit der Todesstrafe gesühnt werden kann, ist lächerlich.

Umso mehr als der fromme König Salomo später seinen Hunderten von Frauen einen Götzentempel nach dem anderen baut – was für ein Vorbild für das gesamte Volk! – und dafür nicht einmal zu Lebzeiten bestraft wird (1Kö 11, 11-13). Bei König Salomo, der in drei Büchern der Bibel die Gottgläubigen in aller Welt verbindlich belehrt, was gottesfürchtiges Leben beinhaltet, dürfen wir sicherlich ausreichend Einsicht voraussetzen in das, was am Götzendienst verwerflich war – ganz anders als bei den Hunderten Babys und Kindern, die dem frommen Wahnsinn zum Opfer fielen.

Die verstörende Schlussfolgerung aus diesem Bericht: Gott muss sich an seine eigenen, menschenfreundlichen Gesetze nicht halten, zB an das Gesetz, nicht Kinder für die Sünden der Eltern büßen zu lassen (5Mo 24,26 / Hes 18.20). Wenn sein Wort bei Ihm selbst so wenig gilt, warum muss er sich dann an seine Verheißungen halten? Er kann genauso willkürlich jederzeit das Gegenteil tun. Na. klar er ist Gott. Wer wollte daran zweifeln? Aber welche Chance hat unter diesen Bedingungen noch das Vertrauen in Ihn?

Wenn Bibelstellen wie diese irrtumslos und unfehlbar richtig sein sollen, dann können sie bei gründlich lesenden Gläubigen Heilsgewissheit und Gottvertrauen erheblich beschädigen. Als Ausweg bleibt dann doch nur noch die Pflege einer optimistischen Wunschvorstellung. Bloß nicht genau hinschauen! Die Gabe der Verdrängung ist bei vielen Evangelikalen wie auch bei Markus Voss, der m.E. selber alles andere als „bibelfit“ ist, deutlich zu sehen: ein Text wie 4Mose 31,14-28 ist dem „Diplom-Theologen“ offensichtlich nicht bekannt.

Dieser fatale Text hatte später verheerende Auswirkungen. Die vollständige Auslöschung von Familien bis zum Säugling gilt fortan als völlig normales, übliches Verhalten in der Kriegsführung. So löschten die Israeliten zur Sühnung der Schandtat in Gibea fast alle jüdischen (!) Familien dieser Stadt aus (Ri 20,48).

Kein Problem, sagt Markus Voss, die Getöteten „wechseln ja nur ihren Aufenthaltsort, sie verlassen die irdische und gehen in die unsichtbare Welt“.  Ist das die Art Schlagfertigkeit, die gläubigen Menschen beigebracht werden muss, um den christlichen Glauben zu verteidigen? Ich kann hierin nur Gefühlabstumpfung, Verrohung und Mangel an Bereitschaft erkennen, sich in die konkrete Situation von Menschen zu versetzen, die in schlimmeren Zeiten lebten. Dass Markus Voss es nach solch grauenvollen Tatsachenberichten zu guter Letzt noch für angebracht hält, sich mit einem Witz zu verabschieden, ist schon erstaunlich.

Ist es nicht ein bekanntes Phänomen der Seelenschwäche, dass Menschen übermächtigen Personen, deren Willkür sie ausgesetzt sind, nach dem Mund reden, ja sich sogar deren Ansichten zu eigen machen, um die eigene Situation erträglicher zu gestalten („Stockholm-Syndrom“)? Gott wider besseres Wissen nach dem Munde reden, um seine Sympathie zu gewinnen, um etwas größere Chancen auf den Himmel zu haben? Eine Variante des Mottos „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ ? Erwartet Gott denn kein bisschen Charakter von seinen Gläubigen? Was soll an diesem servil-schmierigem Verhalten, das alle Diktatoren der Welt erwarten, nachahmungswürdig sein? Zumal es schon im Buch Hiob verboten ist: “ Wollt ihr Gott verteidigen mit Unrecht und Trug für ihn reden? Wollt ihr für ihn Partei ergreifen? Wollt ihr Gottes Sache vertreten? Er wird euch hart zurechtweisen, wenn ihr heimlich Partei ergreift. Werdet ihr euch nicht entsetzen, wenn er sich erhebt, und wird sein Schrecken nicht über euch fallen“ (Hiob 13, 8,11)

Hat der Gläubige hingegen das Bibelverständnis eines Dietrich Bonhoeffer oder Adolf Schlatter, das statt auf Dressur auf Beobachtung und ehrlicher Auswertung beruht und deshalb die Zulassung gelegentlicher Fehler in der Bibel für möglich hält, entsteht gar kein Problem. Der üble Text ist dann versehentlich in die biblische Lose-Blatt-Sammlung hineingeraten, um die man sich in der Geschichte Israel jahrzehntelang überhaupt nicht gekümmert hat (Ri 2,10 !) und die Gläubigen damals haben aus falscher Pietät versäumt, ihn rechtzeitig zu entfernen. Wenn sie ihn nun wenigstens nachträglich als falsch identifizieren und aussortieren, so orientieren sie sich an 1Kor 2,15: „der vom Geist geleitete Mensch beurteilt alles und ein geistliches Urteil wird von niemandem in Frage gestellt.“ In der angeblich „bibeltreuen“ Theologie hat dieser wichtige Satz überhaupt keine Bedeutung. Das einzige, was Markus Voss mit seinem Beitrag gelungen ist: uns eindrücklich vorzuführen, wie gründlich Urteilsvermögen und Empathie durch den Wahn einer irrtumslosen Bibel beschädigt wird.

P.S. Wenn dir dieser Beitrag gut recherchiert, konstruktiv und geeignet erscheint, religiösen Selbstbetrug zu korrigieren, dann würden wir uns freuen, wenn du den Link dieses Beitrages kopierst und weitergibst.

Artikel aktualisiert am 17.11.2024

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert